BGH,
Beschl. v. 27.6.2006 - 1 StR 224/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 224/06
vom
27.6.2006
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27.06.2006
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München II vom 20. Januar 2006
a) im Schuldspruch aufgehoben; die Feststellungen bleiben
aufrechterhalten mit Ausnahme der Feststellungen zur Tatzeit,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des
Angeklagten sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von
Schutzbefohlenen in drei tatmehrheitlichen Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Soweit dem Angeklagten in der Anklage 197 weitere Fälle zur
Last gelegt worden waren, konnte das Landgericht
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keine weiteren Feststellungen treffen, weshalb der Angeklagte insoweit
freigesprochen wurde.
2. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf zwei
Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten
Revision gegen seine Verurteilung. Die Revision des Angeklagten
führt zur Aufhebung des Schuldspruchs und des Strafausspruchs;
im Übrigen ist sie unbegründet.
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II.
1. Die Verfahrensrügen, mit denen der Angeklagte eine
Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2
StPO sowie die Ablehnung einer hilfsweise beantragten Vernehmung eines
gynäkologischen Sachverständigen rügt, sind
aus den Gründen, die der Generalbundesanwalt in seiner
Zuschrift angeführt hat, unbegründet.
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2. Die Überprüfung des Urteils auf die
Sachrüge führt zur Aufhebung des Schuldspruchs; im
Übrigen hat sie keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben.
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Die Strafkammer vermochte sich nur davon zu überzeugen, dass
der Angeklagte an der Geschädigten insgesamt drei sexuelle
Handlungen vorgenommen hat, obgleich die Geschädigte noch zu
Beginn der Hauptverhandlung von vier bis fünf sexuellen
Übergriffen pro Woche (UA S. 19) und einem Tatzeitraum von Mai
1998 bis September 1999 (UA S. 9 f.) berichtet hatte. Das ist
hinzunehmen. Der Senat hebt jedoch den Schuldspruch auf, weil die
Strafkammer bisher keine näheren Feststellungen zu den genauen
Tatzeitpunkten getroffen hat. Das ist geboten, weil auf der Grundlage
der bisherigen Feststellungen in Betracht kommt, dass der sexuelle
Missbrauch von Schutzbefohlenen verjährt ist. Die Jugendkammer
hat als Tatzeitraum "Mai 1998 bis 31.08.1999" ange-
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nommen. Die im Jahre 2005 zur Anzeige gekommenen Tatvorwürfe
gegen den Angeklagten waren hinsichtlich des tateinheitlich begangenen
sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu diesem Zeitpunkt nur dann
noch nicht verjährt, wenn beim Inkrafttreten des Gesetzes zur
Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen
die sexuelle Selbstbestimmung vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3007) am
1. April 2004 die Verjährungsfrist von fünf Jahren
(§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) noch nicht abgelaufen war. Somit
kommt es vorliegend darauf an, ob eine oder mehrere der Taten, welche
der Verurteilung zu Grunde liegen, vor dem 1. April 1999 begangen
worden sind.
Der Senat kann über die Frage der Verjährung nicht
abschließend entscheiden. Ausgehend von ihrem Standpunkt
hatte die Strafkammer keinen Anlass, die Tatzeiten näher
einzugrenzen. Es erscheint aber möglich, dass die neu zur
Entscheidung berufene Kammer die Tatzeitpunkte genauer bestimmen kann,
so dass insoweit noch keine Verjährung eingetreten ist.
Deshalb hat der Senat die Sache zurückverwiesen mit der
Maßgabe, dass die getroffenen Feststellungen aufrechterhalten
bleiben mit der Ausnahme der Feststellungen zu den genauen
Tatzeitpunkten. Ist eine weitere Aufklärung nicht
möglich, wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu
Gunsten des Angeklagten davon ausgehen müssen, dass die Taten
vor dem 1. April 1999 begangen worden sein können und damit
der jeweils tateinheitliche Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von
Schutzbefohlenen verjährt ist.
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3. Die Aufhebung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des
gesamten Strafausspruchs. Falls der neue Tatrichter (bei
Verjährung der tateinheitlich begangenen Taten des sexuellen
Missbrauchs von Schutzbefohlenen) nur noch zu einer Verurteilung wegen
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen
kommen sollte, wird darauf hingewiesen, dass auch verjährte
Taten, wenn auch mit geringerem Gewicht, bei der Strafzumessung
Berücksichtigung
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finden können (Senat, Beschluss vom 14. März 2000 - 1
StR 65/00; Beschluss vom 17. März 2006 - 1 StR 577/05; BGHR
StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 20).
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