BGH,
Beschl. v. 27.5.2009 - 1 StR 99/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 99/09
vom
27. Mai 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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StPO § 161 Abs. 1 Satz 2, GVG § 152 Abs. 1
Zur Leitungs- und Kontrollbefugnis der Staatsanwaltschaft im
Ermittlungsverfahren - insbesondere bei Tötungsdelikten.
BGH, Beschl. vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09 - LG Augsburg
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Mai 2009
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg
vom 9. Oktober 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tatmehrheit mit
Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, in einem
Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hinsichtlich der
Verurteilung wegen Mordes hat es folgende Feststellungen getroffen:
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In der Nacht vom 10. auf den 11. November 2007 befand sich die
einjährige L. , das Kind der Lebensgefährtin des
Angeklagten, in ihrem Kinderbett, das sich im Schlafzimmer der Wohnung
befand. Auch der Angeklagte schlief in diesem Schlafzimmer,
während L. s Mutter, die Zeugin S. , die Nacht im Wohnzimmer
verbrachte. Gegen 2.30 Uhr begann L. zu schreien, wodurch der
Angeklagte geweckt wurde. Er fühlte sich durch das Schreien
des in dem Kinderbett stehenden, weinenden Kindes
„genervt“ und wollte die störende
Geräuschquelle um jeden Preis abstellen. Der Angeklagte ging
zu dem Kinder-
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bett und schlug L. mit der Hand zweimal kräftig ins Gesicht,
wodurch diese stürzte, im Bett auf dem Rücken zum
Liegen kam und weiter weinte. Der Angeklagte würgte sie
daraufhin so lange mit der rechten Hand am Hals, bis sie kein
Lebenszeichen mehr von sich gab, insbesondere nicht mehr atmete und er
sich dachte „jetzt ist sie endlich still“. Sodann
nahm er L. aus dem Bettchen und vergewisserte sich, dass sie tot war.
Anschließend legte er die Kinderleiche in Bauchlage
zurück ins Bett und deckte sie zu, da er der Meinung war, so
deute nichts auf eine gewaltsame Todesursache hin.
Danach schlief der Angeklagte in seinem Bett bis 8.30 Uhr. Auf Bitten
der Zeugin S. sah der Angeklagte nach L. und erklärte, dass
sie sich nicht mehr bewege. Der verständigte Notarzt stellte
gegen 9.09 Uhr den Tod des Kindes fest.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge
wegen eines Belehrungsverstoßes (§ 136 Abs. 1 Satz 2
StPO) und die näher ausgeführte Sachrüge
gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt
erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). Näher
auszuführen ist nur Folgendes:
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2. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zu Grunde:
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Noch am Tattag, dem 11. November 2007, wurde der Angeklagte von der
Polizei als Zeuge vernommen. Am 13. November 2007 wurde er
zunächst erneut als Zeuge vernommen. Nachdem ihm
eröffnet worden war, dass bei der am Vortag erfolgten, von der
Staatsanwaltschaft angeordneten Obduktion Verletzungen des
getöteten Kindes festgestellt worden waren, wurde er
gemäß § 55 StPO belehrt.
Anschließend wurde ihm ausdrücklich mitgeteilt, dass
aufgrund des Verletzungsmusters der Verdacht bestehe, dass er etwas mit
der Beibringung dieser Verletzungen zu tun habe.
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Nachdem dem Angeklagten auf seinen Wunsch hin eine
fünfminütige Zigarettenpause gewährt worden
war, erklärte er, er habe L. am 11. November 2007 einen Schlag
ins Gesicht gegeben und diese gewürgt, bis sie ruhig gewesen
sei. Im Anschluss hieran wurde er nach § 136 Abs. 1,
§ 163a Abs. 4 Satz 2 StPO belehrt, allerdings ohne dass auf
die Nichtverwertbarkeit seiner früheren Aussagen hingewiesen
wurde („qualifizierte Belehrung“ - vgl. dazu BGH
NStZ 2009, 281 f.), woraufhin er den äußeren
Tathergang - auch zu den Vorwürfen der Misshandlung von
Schutzbefohlenen und der gefährlichen
Körperverletzung - detailliert, so wie vom Landgericht
festgestellt, schilderte.
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Nach erneuter - wiederum nicht qualifizierter - Beschuldigtenbelehrung
am Morgen des 14. November 2007 bestätigte der Angeklagte
seine am Vortag gemachten Angaben als vollumfänglich richtig.
Bei der Haftbefehlseröffnung durch den Ermittlungsrichter am
Nachmittag dieses Tages machte er zur Sache keine Angaben mehr. Zu
Beginn der Hauptverhandlung ließ der Angeklagte über
seinen Verteidiger erklären, dass er das am 13. November 2007
abgelegte Geständnis widerrufe und im Übrigen von
seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache. Im Rahmen der
Beweisaufnahme widersprach die Verteidigung rechtzeitig der
Zeugenvernehmung der beiden polizeilichen Vernehmungsbeamten
hinsichtlich der Vernehmungen des Angeklagten am 13. und 14. November
2007.
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3. Das Revisionsvorbringen genügt den Anforderungen des
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO jedenfalls deshalb, weil aufgrund der
zulässig erhobenen Sachrüge ergänzend auf
den Inhalt des Urteils zurückgegriffen werden kann (vgl.
Senat, Beschl. vom 18. Juli 2007 - 1 StR 296/07 [insoweit nicht
abgedruckt in BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verzicht 1]; BGHSt
46, 189, 190 f.; 45, 203, 204 f. m.w.N.), das den Kern der Aussagen des
Angeklagten wiedergibt. Die
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Rüge ist jedoch aus den vom Generalbundesanwalt näher
dargelegten Gründen unbegründet, weil das Landgericht
aufgrund der vorgenommenen Einzelfallabwägung (vgl. BGH NStZ
2009, 281, 282) die vom Angeklagten im Rahmen seiner polizeilichen
Beschuldigtenvernehmung nach Belehrung gemäß
§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO gemachten Angaben - trotz
unterbliebener qualifizierter Belehrung - zu Recht als verwertbar
angesehen hat. Auch die Nachprüfung des Urteils auf die
Sachrüge hin hat keinen den Angeklagten belastenden
Rechtsfehler ergeben.
Die Urteilsgründe veranlassen jedoch zu dem Hinweis, dass
Verfahrensvorgänge im Urteil grundsätzlich nicht zu
erörtern sind. Insbesondere sind Ausführungen zur
Verwertbarkeit von Beweismitteln von Rechts wegen nicht geboten. Zur
Vermeidung der Überfrachtung der schriftlichen
Urteilsgründe sind sie regelmäßig sogar
tunlichst zu unterlassen (vgl. Senat, NStZ-RR 2007, 244 m.w.N.).
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4. Im Übrigen gibt der vorliegende Fall Anlass, auf Folgendes
hinzuweisen:
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a) Es ist nicht erst Sache der Hauptverhandlung und des
Revisionsverfahrens, der immer größer werdenden
praktischen Bedeutung der Beweisverwertungsverbote gerecht zu werden.
Diese Aufgabe beginnt vielmehr bereits bei Einleitung des
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens (vgl. Schlothauer in FS
Lüderssen S. 761, 772).
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Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren und
trägt die Gesamtverantwortung für eine
rechtsstaatliche, faire und ordnungsgemäße
Durchführung des Verfahrens, auch soweit es durch die Polizei
geführt wird (vgl. Nr. 1 RiStBV; Erb in
Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Vor § 158 Rdn. 21;
Meyer-
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Goßner, StPO 51. Aufl. Einl. Rdn. 41, § 160 Rdn. 1,
§ 163 Rdn. 3; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 160 Rdn. 4,
§ 163 Rdn. 2 jew. m.w.N.). Aufgrund dieser umfassenden
Verantwortung steht der Staatsanwaltschaft gegenüber ihren
Ermittlungspersonen ein uneingeschränktes Weisungsrecht in
Bezug auf ihre auf die Sachverhaltserforschung gerichtete
strafverfolgende Tätigkeit zu, vgl. § 161 Abs. 1 Satz
2 StPO, § 152 Abs. 1 GVG (siehe dazu Erb in
Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Vor § 158 Rdn. 33,
§ 161 Rdn. 46, § 163 Rdn. 7; Griesbaum in KK 6. Aufl.
§ 163 Rdn. 2 f.). Dabei kann sie konkrete Einzelweisungen zu
Art und Durchführung einzelner Ermittlungshandlungen erteilen,
Nr. 3 Abs. 2, Nr. 11 RiStBV, oder ihre Leitungsbefugnis im Rahmen der
Aufklärung von Straftaten unabhängig vom Einzelfall
durch allgemeine Weisungen im Voraus in Anspruch nehmen (vgl. Erb in
Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 163 Rdn. 9;
Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 163 Rdn. 3 f.;
Griesbaum in KK 6. Aufl. § 163 Rdn. 2 f. m.w.N.).
b) Bereits mit Blick auf mögliche Beweisverwertungsverbote
wegen fehlender oder nicht rechtzeitiger Belehrung als Beschuldigter
nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO (vgl.
dazu BGHSt 51, 367 ff.) oder mangels
„qualifizierter“ Belehrung nach zunächst
zu Unrecht erfolgter Vernehmung als Zeuge (vgl. dazu BGH NStZ 2009, 281
f.) erfordert die der Staatsanwaltschaft zugewiesene
Verantwortlichkeit, dass sie die ihr zustehenden Leitungs und
Kontrollbefugnisse auch effektiv ausübt. Dazu genügt
es nicht, wenn sie lediglich Richtung und Umfang der von der Polizei
vorzunehmenden Ermittlungen ganz allgemein vorgibt (vgl. Erb in
Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Vor § 158 Rdn. 39
m.w.N.).
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Jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art, bei denen es um die
Aufklärung und Verfolgung von Tötungsdelikten geht,
hat daher die Staatsanwaltschaft, der
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derartige Fälle sofort anzuzeigen sind (vgl. § 159
Abs. 1 StPO), insbesondere den Status des zu Vernehmenden als Zeuge
oder Beschuldigter klarzustellen und durch allgemeine Weisungen im
Voraus oder durch konkrete Einzelweisungen eine
ordnungsgemäße, rechtzeitige Beschuldigtenbelehrung
gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a
Abs. 4 StPO sicherzustellen. Wird ein Tatverdächtiger dennoch
zu Unrecht als Zeuge vernommen, so hat sie wegen des
Belehrungsverstoßes darauf hin zu wirken, dass dieser bei
Beginn der nachfolgenden Vernehmung als Beschuldigter auf die
Nichtverwertbarkeit der früheren Angaben hingewiesen wird
(„qualifizierte Belehrung“ - vgl. dazu BGH NStZ
2009, 281 f.).
Nack Wahl Elf
Jäger Sander |