BGH,
Beschl. v. 27.10.2000 - 2 StR 381/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 381/00
vom
27. Oktober 2000
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts, zu Ziffer 1 a und 3 auf dessen Antrag, am 27.
Oktober 2000 einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mühlhausen vom 14. April 2000
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung sowie mit
Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe und mit der
Ausübung der tatsächlichen Gewalt hierüber
schuldig ist;
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Kammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz zu einer
Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und seine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die hiergegen
eingelegte Revision des Angeklagten rügt die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Die Verfahrensrügen
genügen aus den vom Generalbundesanwalt ausgeführten
Gründen den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO nicht; im übrigen wären sie auch
unbegründet. Die Sachrüge führt zur
Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts drang der Angeklagte, der
zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2,93 o/oo aufwies,
nach einer vorausgegangenen Auseinandersetzung gewaltsam in die Wohnung
des Geschädigten T. ein, nachdem er aus seinem Kraftfahrzeug
eine dort verwahrte Pistole geholt hatte, die mit drei Patronen geladen
war. Während der Angeklagte die Eingangstür zur
Wohnung des Geschädigten aufbrach, rief diesen der gemeinsame
Bekannte L. an, den T. zuvor, ebenso wie die Mutter des Angeklagten und
die Polizei, telefonisch davon verständigt hatte,
daß der Angeklagte, nachdem T. ihm wegen seiner Trunkenheit
den Zündschlüssel seines Fahrzeugs weggenommen hatte,
auf dem Hof vor dem Haus randaliere.
Während der Geschädigte mit dem Zeugen L.
telefonierte, betrat der Angeklagte das Zimmer, lud die Pistole durch -
wodurch die im Lauf befindliche Patrone ausgeworfen wurde - und
schoß aus zwei Metern Entfernung gezielt auf den Kopf des
Geschädigten. Das Geschoß traf den
Telefonhörer; hierdurch wurde seine Durchschlagskraft so
gemindert, daß das Projektil zwar in den Kopf des
Geschädigten eindrang, jedoch im Weichteilgewebe unterhalb des
Jochbeines stecken blieb. Aufgrund einer Fehlfunktion verklemmte der
Verschluß der Waffe, so daß die dritte Patrone
nicht abgefeuert werden konnte. Während der Angeklagte
versuchte, diese Störung zu beseitigen, warf sich der
Geschädigte auf ihn und nahm ihm die Pistole ab. Die erlittene
Verletzung war nicht lebensbedrohlich.
2. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags begegnet keinen
rechtlichen Bedenken.
a) Soweit sich die Revision gegen die Annahme eines
Tötungsvorsatzes wendet, kann sie keinen Erfolg haben, da sie
nur eine eigene Beweiswürdigung an die Stelle der
tatrichterlichen setzt. Das Landgericht hat jedoch rechtsfehlerfrei aus
dem Umstand, daß der Angeklagte, der ein "Waffennarr" und
geübter Schütze ist, aus einer geringen Entfernung
auf den Kopf des Geschädigten zielte und die Pistole, als
dieser aufstand, unter fortdauerndem Zielen auf den Kopf
mitführte, auf einen "mindestens bedingten"
Tötungsvorsatz geschlossen. Auf die widersprüchlichen
Äußerungen des Angeklagten nach der Tat kommt es
daher nicht an.
b) Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch lag nicht vor.
Soweit das Landgericht ausgeführt hat, der Angeklagte habe
"alles getan", um den Tod des Geschädigten
herbeizuführen (UA S. 32), ist diese Formulierung zwar
mißverständlich, da ein beendeter Versuch nicht
vorlag. Der Versuch war jedoch fehlgeschlagen und ein strafbefreiender
Rücktritt daher ausgeschlossen. Der Angeklagte war durch die
Fehlfunktion der Waffe daran gehindert, erneut zu schießen;
bevor er die Störung beseitigen konnte, wurde er vom
Geschädigten überwältigt und entwaffnet.
c) Auch die Annahme (nur) verminderter Schuldfähigkeit
begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat unter
eingehender Würdigung der Beweisanzeichen sowie der
Beurteilung durch den hierzu gehörten
Sachverständigen das Vorliegen von Schuldunfähigkeit
mit rechtlich nicht zu beanstandenden Erwägungen verneint.
3. Der Rechtsfolgenausspruch hat jedoch keinen Bestand.
a) Der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hat das
Landgericht die Feststellung zugrunde gelegt, der - nicht vorbestrafte
- Angeklagte, der sich selbst nicht alkoholabhängig
fühle, trinke in unregelmäßigen
Abständen, dann aber in erheblichen Mengen Alkohol. Er sei
zwar nicht alkoholkrank, habe aber eine Neigung zum
Alkoholmißbrauch. "Demzufolge" sei ein Hang im Sinne von
§ 64 StGB "zweifelsfrei gegeben" (UA S. 34). Die vorliegende
Tat habe gezeigt, daß der Angeklagte unter Alkohol in
aggressive Stimmung verfallen und diese durch Begehung schwerer
Straftaten gegenüber anderen ausleben könne;
"demzufolge" bestehe die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten
infolge des Hanges.
Diese Ausführungen tragen die Anordnung der Maßregel
nicht. Die Feststellung einer Neigung zum Alkoholmißbrauch
belegt nicht, daß beim Angeklagten ein Hang im Sinne von
§ 64 Abs. 1 StGB vorliegt. Hierfür reicht
gelegentliches oder auch häufiges Sichbetrinken nicht aus; ein
Hang liegt vielmehr erst vor, wenn das Verlangen nach
übermäßigem Alkoholgenuß den Grad
einer psychischen Abhängigkeit erreicht hat (BGH NStZ 1998,
407; BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1, 6 m.w.N.).
Auch eine Gefahr im Sinne von § 64 Abs. 1 StGB ist mit den
genannten Erwägungen des Landgerichts nicht hinreichend
begründet. Zwar kann, worauf der Generalbundesanwalt
zutreffend hingewiesen hat, die Annahme einer negativen Prognose
grundsätzlich auch auf eine einzelne schwere Gewalttat
gestützt werden. Voraussetzung ist jedoch stets, daß
die Anlaßtat auf den Hang zurückzuführen
ist. Vorliegend hat die Kammer im Rahmen der Prüfung der
Schuldfähigkeit zwar das Vorliegen eines alkoholbedingten
psychischen Dämmerzustands erörtert, dessen Vorliegen
jedoch gerade verneint. Daß die
- allgemeine - Möglichkeit besteht, der Angeklagte
könne unter Alkoholeinwirkung Aggressionstaten begehen, reicht
für den von § 64 Abs. 1 StGB vorausgesetzten
prognostischen Zusammenhang nicht aus.
b) Der Senat kann nicht ausschließen, daß sich die
rechtsfehlerhaften Erwägungen zur Maßregelanordnung
auch auf den Strafausspruch ausgewirkt haben; er hebt den
Rechtsfolgenausspruch daher insgesamt auf.
Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, daß auch die
Gründe, aus denen das Landgericht eine Milderung des
Strafrahmens nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB
versagt hat, rechtlichen Bedenken begegnen. Eine Strafrahmensenkung hat
das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, es sei "nicht
dem Verhalten des Angeklagten zuzurechnen, daß der
Tötungserfolg nicht eingetreten ist". Der Umstand,
daß das Projektil von dem Telefonhörer so gehemmt
und abgelenkt wurde, daß der Geschädigte nur eine
Fleischwunde erlitt, könne dem Angeklagten nicht zugute
kommen; dieser habe "alles getan, um den Tod (des
Geschädigten) herbeizuführen, was er auch zumindest
billigend in Kauf nahm" (UA S. 32). Diese Erwägungen enthalten
im Ergebnis nur die Feststellung, daß der Angeklagte
vorsätzlich handelte und vom Versuch nicht - strafbefreiend -
zurückgetreten ist; beide Gesichtspunkte begründen
jedoch erst die Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags und
können daher in der Regel einer Strafrahmenmilderung nicht
entgegenstehen (vgl. BGH StV 1995, 462; BGHR StGB § 23 Abs. 2
Strafrahmenverschiebung 8, 12). Zwar könnten hier einer
Strafrahmensenkung die besondere Gefährlichkeit der
Tathandlung sowie die darin zum Ausdruck kommende kriminelle Energie
des Angeklagten entgegenstehen; die Entscheidung bedarf jedoch einer
vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung (vgl. BGHSt 36,
1, 18).
4. Die vom Angeklagten begangene gefährliche
Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB
steht zu dem versuchten Tötungsdelikt im Verhältnis
der Tateinheit (BGHSt 44, 196). Der Senat hat insoweit auf Anregung des
Generalbundesanwalts den Schuldspruch ergänzt. § 265
StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders
hätte verteidigen können.
Mangels gesetzlicher Überschrift ist der Tatbestand der
zugleich verwirklichten Delikte nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 a
Buchst. a und b Waffengesetz im Schuldspruch durch Umschreibung
hinreichend deutlich zu kennzeichnen (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 260 Rdn.
23).
Jähnke Otten Rothfuß
Fischer Elf |