BGH,
Beschl. v. 27.10.2009 - 3 StR 369/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 369/09
vom
27. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 27. Oktober 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 24. April 2009 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch
bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der
gefährlichen Körperverletzung (in zwei
Fällen) wegen Schuldunfähigkeit bei Begehung der Tat
(§ 20 StGB) freigesprochen und seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Hiergegen
wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der
Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils. Jedoch können die
rechtsfeh-
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lerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bestehen
bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
1. Die vom Landgericht angenommene Schuldunfähigkeit des
Angeklagten bei Begehung der Tat wird durch das angefochtene Urteil
nicht hinreichend belegt. Das Landgericht hat sich im Rahmen der
Beweiswürdigung nicht in dem hier notwendigen Umfang mit der
Frage befasst, ob die festgestellten rechtswidrigen Taten des
Angeklagten in dem nach § 20 StGB erforderlichen inneren
Zusammenhang mit seiner psychischen Erkrankung standen (s. dazu
Fischer, StGB 56. Aufl. § 20 Rdn. 45 a m. w. N.). Damit ist
aber die Grundvoraussetzung für die Anordnung der
Maßregel nach § 63 StGB unzureichend dargetan; denn
diese darf nur ergehen, wenn sicher feststeht, dass der Angeklagte bei
Tatbegehung schuldunfähig oder (zumindest) in seiner
Schuldfähigkeit erheblich vermindert im Sinne des §
21 StGB war (Fischer aaO § 63 Rdn. 11 m. w. N.).
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a) Der Angeklagte hielt sich regelmäßig mit anderen
Männern in einer Grün- und Parkanlage zum Biertrinken
auf. Etwa drei Monate vor der Tat stieß der
Geschädigte zu der Gruppe. Er war als "Stänkerer"
bekannt, trank viel, warf Flaschen umher und stritt besonders mit dem
Angeklagten. Dieser ging dem Geschädigten indes immer aus dem
Weg. Am Tag vor der Tat hatte der Geschädigte Pfefferspray
gekauft, um dieses gegen den Angeklagten einzusetzen. Der Angeklagte,
dem das Vorhaben des Geschädigten berichtet worden war, hatte
kein Interesse an einer Auseinandersetzung und ging diesem weiter aus
dem Weg. Am Tattag saßen der Angeklagte und der
Geschädigte mit zwei anderen aus der Gruppe auf einer Bank in
der Parkanlage. Nach einiger Zeit stand der Geschädigte
plötzlich auf, stellte sich vor den Angeklagten und
sprühte diesem unvermittelt Pfefferspray in die Augen. Der
Angeklagte, der Probleme mit den Augen hatte und nur über 20%
Sehkraft verfügte, wusch sich daraufhin
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die Augen mit Bier aus. Der Geschädigte fragte provozierend:
"Na, brennt`s schön?" Der Angeklagte geriet nun in Wut und
ging nach einer kleinen Pause auf den Geschädigten los. Er
riss ihn zu Boden, schlug auf ihn ein und traktierte den auf dem Boden
Liegenden mit Faustschlägen in das Gesicht. Er trat mehrmals
von oben mit dem beschuhten Fuß auf den Kopf des Opfers ein
und versetzte diesem einen Kopfstoß. Anschließend
ließ er von dem am Boden Liegenden ab und setzte sich wieder
auf die Bank. Als der Geschädigte versuchte, sich wieder
aufzurichten, kehrte der Angeklagte zu diesem zurück, sprang
auf dessen rechten Arm und trat mindestens zweimal von oben in das
Gesicht des Opfers. Der lebensbedrohlich Verletzte musste auf die
Intensivstation eines Krankenhauses verbracht und dort behandelt werden.
b) Die Strafkammer ist - dem Gutachten der psychiatrischen
Sachverständigen folgend - davon ausgegangen, dass die
Einsichtsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit infolge einer
krankhaften seelischen Störung aufgehoben und darüber
hinaus dessen Steuerungsfähigkeit aufgrund einer
Alkoholintoxikation erheblich eingeschränkt gewesen sei. Beim
Angeklagten habe eine wahnhafte Symptomatik infolge einer
mehrjährigen paranoiden Schizophrenie (etwa seit 2002)
vorgelegen. Er verfüge über ein komplexes Wahnsystem,
teile die Welt in "Gut und Böse" ein, sehe sich selbst als gut
und wolle die Welt retten. Reale Wahrnehmungen beziehe er immer auf
sich. Zum Tathergang entstehe unter psychodynamischen und
psychopathologischen Gesichtspunkten ein Bild, in welchem der
Angeklagte bereits in vorherigen Kontakten mit dem späteren
Opfer misstrauische bis ängstliche Affekte entwickelt habe und
zunehmend zu der Überzeugung gelangt sei, dass das
spätere Opfer eine Bedrohung für den Frieden im Park
und die dortigen Personen, im Wesentlichen jedoch für ihn
selbst, darstelle. Der Geschädigte habe im System des
Angeklagten nichts Gutes verkörpert. Der Angeklagte habe seine
Ruhe haben wollen und sich deshalb
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das Umfeld biertrinkender älterer Männer gesucht, das
für ihn keine Bedrohung bedeutet hätte. Das
Auftauchen des Geschädigten habe bei ihm zu einer
ängstlichen Gespanntheit geführt, zu einem
Gefühl, vor der Person nie Ruhe zu haben. Im Rahmen der
Auseinandersetzung und durch das Besprühen mit dem
Pfefferspray habe diese Ansicht noch zugenommen. Der wesentliche
kausale und symptomatische Zusammenhang zwischen der Erkrankung des
Angeklagten und seiner Tat sei "vor dem lange bestehenden Wahnsystem
mit Einteilung der Welt in Gut und Böse und sich selbst auf
der Seite des Guten gegen das Böse kämpfend zu sehen.
Der Angeklagte habe sich während der Tat und auch jetzt noch
in der Hauptverhandlung als Opfer erlebt, das
rechtmäßig gehandelt habe und für das in
seinem Gerechtigkeitserleben keine andere Möglichkeit gegeben
war. Er habe den Park vom bösen Dylka befreien wollen."
c) Damit ist nicht hinreichend belegt, dass der Angeklagte zum
Zeitpunkt der Tat als Folge seiner krankhaften seelischen
Störung unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen.
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Voraussetzung für einen Schuldausschluss
gemäß § 20 StGB ist, dass bei dem
Täter eine - einem der in dieser Vorschrift genannten
psychopathologischen Eingangsmerkmale zu subsumierende -
Störung der Geistestätigkeit vorlag, die dessen
psychische Funktionsfähigkeit in einem Umfang
beeinträchtigte, dass die normativ erwartete soziale
Anpassungsfähigkeit bei der Tatbegehung ausgeschlossen war.
Bei der Entscheidung, ob dies der Fall war, wird der Richter zwar
häufig - soweit die Verhängung von
Maßregeln in Betracht kommt stets (vgl. § 246 a
StPO) - auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen sein
und von diesem Ausführungen zur Diagnose einer psychischen
Störung, zu deren Schweregrad und deren innerer Beziehung zur
Tat erwarten. Gleichwohl handelt es sich sowohl bei der Bejahung eines
der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als auch bei der Annahme
eingeschränkter oder fehlender Schuldfähig-
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keit um Rechtsfragen. Der Tatrichter hat daher zum einen bei der
Entscheidung darüber die Darlegungen des
Sachverständigen zu überprüfen; zum anderen
ist er verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das
Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen
(vgl. BGH NStZ-RR 2007, 74; BGH StraFo 2003, 282; Fischer aaO
§ 20 Rdn. 3, 44 m. w. N.). An beiden Erfordernissen fehlt es
im Hinblick auf die Notwendigkeit einer inneren Beziehung der
psychischen Störung des Angeklagten zu seiner Tat. Das
Landgericht hat sich nicht mit der Auffassung der
Sachverständigen auseinandergesetzt, es bestehe der
erforderliche kausale und symptomatische Zusammenhang zwischen der
diagnostizierten Schizophrenie des Angeklagten und der Tat. Dieser
verstand sich unter den festgestellten Umständen nicht von
selbst. Vielmehr bestand für ein Hinterfragen dieses
Ergebnisses der Sachverständigen Anlass, weil der Angeklagte
dem ihn provozierenden Geschädigten schon längere
Zeit vor dem Tattag stets "aus dem Weg gegangen" war und dies auch dann
noch tat, als er von dessen geplanter Pfeffersprayattacke gegen ihn
erfahren hatte. Erst nachdem der Geschädigte dieses Reizmittel
tatsächlich gegen ihn eingesetzt und ihn dadurch an einem
empfindlichen sowie vorgeschädigten Sinnesorgan nicht
unerheblich beeinträchtigt hatte, beging er - zudem erst nach
einer weiteren verbalen Provokation durch den Geschädigten und
einer kurzen Pause - die gegenständliche Gewalttat. Dieser
Verlauf spricht eher dagegen, dass der Angeklagte sich in Verkennung
der Realität als Opfer des Geschädigten empfand, weil
er diesen in sein Wahnsystem der Einteilung der Welt in Gut und
Böse auf Seiten des Bösen einordnete, das es zu
bekämpfen gelte. Denn der Geschädigte hatte vor dem
Hintergrund längerer Provokationen durch sein Verhalten am
Tattag dem Angeklagten, der sich einer Konfrontation mit dem
Geschädigten bis dahin bewusst entzogen hatte, einen zumindest
nachvollziehbaren, konkreten Anlass zu dessen Vorgehen gegeben. Das
angefochtene Urteil lässt daher eine schlüssige
Begründung für die Annahme vermissen, die
Einsichtsfähigkeit des Ange-
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klagten sei bei der Tatbegehung infolge seiner paranoiden Schizophrenie
aufgehoben gewesen.
Auch soweit das Landgericht - der Sachverständigen folgend -
eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit
des Angeklagten aufgrund einer akuten Alkoholintoxikation feststellt,
hält das Urteil rechtlicher Prüfung nicht stand und
vermag daher die Unterbringungsanordnung ebenfalls nicht zu tragen.
Abgesehen davon, dass zwischen Beeinträchtigungen der
Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit - gerade wenn die
Unterbringung nach § 63 StGB in Rede steht - zu differenzieren
ist und beides an sich nicht gleichzeitig vorliegen kann (Fischer aaO
§ 20 Rdn. 44 a f. m. w. N.), fehlt dem Urteil jede
Begründung für die Annahme alkoholbedingter
erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Lediglich
die Tatzeitblutalkoholkonzentration wird mitgeteilt. Auch zur
eventuellen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit
aufgrund Zusammenwirkens von Schizophrenie und Alkoholisierung
verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
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Die Beweiswürdigung des Landgerichts zur
Schuldfähigkeit des Angeklagten erweist sich daher insgesamt
als lückenhaft, so dass die Anordnung der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus keinen Bestand haben kann.
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2. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung.
Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision
eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn
durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.
Juli 2007 (BGBl I 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin
geändert, dass es gemäß § 358 Abs.
2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen
Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus den Täter schuldig zu
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sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf
die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden
ein Freispruch aufgehoben werden kann (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl.
§ 358 Rdn. 24 a). Die Aufhebung (auch) des Freispruchs
entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die
Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines
Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener
Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB
die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen
Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat
schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach
Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und
zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BTDrucks. 16/1344
S. 17 f.).
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes
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Die rechtliche Würdigung der Tathandlungen des Angeklagten als
zwei selbständige Vergehen der gefährlichen
Körperverletzung begegnet angesichts der getroffenen
Feststellungen im Hinblick auf die Rechtsfigur der natürlichen
Handlungseinheit rechtlichen Bedenken (vgl. Fischer aaO vor §
52 Rdn. 3 ff.).
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Mit Blick auf die bei Anordnung der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB an die
erforderliche Gefährlichkeitsprognose zu stellenden
erhöhten Begründungsanforderungen (vgl. BGH NStZ-RR
2009, 306) wird es sich gegebenenfalls empfehlen, die Sachverhalte, die
den seit dem 5. April 2005 von der Staatsanwaltschaft wegen
Schuldunfähigkeit des Angeklagten eingestellten
Ermittlungsverfahren zugrunde lagen, festzustellen und eventuelle
Einlassungen des Angeklagten hierzu mitzuteilen.
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Der neue Tatrichter sollte erwägen, einen anderen
Sachverständigen heranzuziehen.
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Becker Pfister von Lienen
Sost-Scheible Hubert |