BGH,
Beschl. v. 27.9.2002 - 5 StR 117/02
5 StR 117/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 27. September 2002
in der Vorlegungssache
gegen
wegen Diebstahls
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 27. September 2002
beschlossen:
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Braunschweig
zurückgegeben.
Gründe:
In der Vorlegungssache geht es um die Frage, ob in § 244 Abs.
1 Nr. 1a StGB der Tatbestand des Beisichführens eines "anderen
gefährlichen Werkzeugs" erfüllt ist, wenn der
Täter eines Diebstahls das Tatmittel bei sich trägt,
oder ob hinzukommen muß, daß er es zur Bedrohung
oder Verletzung von Personen bestimmt hat.
I.
1. Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen zu
einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung
es zur Bewährung ausgesetzt hat. Der Verurteilung liegen
folgende Feststellungen zugrunde:
"Am 24. April 2001 hat der Angeklagte in Braunschweig das Kaufhaus der
Firma K AG in der Schuhstraße betreten, um dort drei
Herrenhosen zu entwenden. Zuvor hatte er erhebliche Mengen von Wodka
getrunken. Der Angeklagte steckte in der Firma K AG drei Herrenhosen
der Marke ´Pierre Gardan´ im Gesamtwert von 469,85
DM in eine extra zu diesem Zwecke mitgeführte Plastiktasche.
Die Plastiktasche war zuvor so präpariert worden,
daß die Sicherungsetiketten bei Passieren der
Sicherungsschranke keinen Alarm auslösten. Ohne die drei Hosen
zu bezahlen, verließ der Angeklagte die
Geschäftsräume, um die Hosen seines Vorteils wegen zu
behalten. Nach Verlassen der Geschäftsräume wurde der
Angeklagte von einem Detektiv angesprochen; die Hosen konnten
sichergestellt und der Firma K wieder ausgehändigt werden.
Während der Tatausführung trug der Angeklagte in der
linken Hosentasche seiner Bekleidung ein Taschenmesser mit einer
Klingenlänge von ca. 8 cm bei sich.
Eine Blutalkoholbestimmung wurde beim Angeklagten nicht vorgenommen."
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Sprungrevision eingelegt. Im
Rahmen der erhobenen Sachrüge wird geltend gemacht,
daß nach der durch das Sechste Strafrechtsreformgesetz mit
Wirkung vom 1. April 1998 erfolgten Neufassung des § 244 StGB
der Begriff des "anderen gefährlichen Werkzeugs" im Sinne des
§ 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht nach der Definition ausgelegt
werden dürfe, wie sie für § 223a StGB aF
gegolten habe. Ein "ordinäres Taschenmesser" sei kein
gefährliches Werkzeug im Sinne der neuen Vorschrift.
Das Oberlandesgericht Braunschweig hält es in
Übereinstimmung mit der Revision für erforderlich,
das Tatbestandsmerkmal "anderes gefährliches Werkzeug"
einschränkend auszulegen. Wenn unter einem
gefährlichen Werkzeug wie bei der gefährlichen
Körperverletzung ein Gegenstand zu verstehen wäre,
der nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet sei, erhebliche
Verletzungen hervorzurufen, so sei das zu weitgehend. Bei
Gegenständen, die konstruktionsbedingt nicht zur Verletzung
von Personen bestimmt sind, sondern jederzeit in sozial
adäquater Weise bei sich geführt werden
können, müsse noch hinzukommen, daß der
Täter den Gegenstand generell - von der konkreten Tat
losgelöst - zur Bedrohung oder Verletzung von Personen
bestimmt habe. Anderenfalls bestünde die Gefahr, auch
denjenigen Täter eines einfachen Diebstahls nach §
244 StGB zu bestrafen, der einen derartigen Gegenstand in sozial
adäquater Weise zum normalen Gebrauch ständig bei
sich führt und hieran bei der Ausführung eines
einfachen Diebstahls gar nicht denke oder sich zumindest der
Möglichkeit einer gefährlichen Verwendung gar nicht
bewußt sei.
An der beabsichtigten Entscheidung - Aufhebung des Urteils des
Amtsgerichtes und Zurückverweisung der Sache - sieht sich das
Oberlandesgericht Braunschweig durch ein Urteil des Bayerischen
Obersten Landesgerichts vom 12. April 2000 (StV 2001, 17) gehindert.
Dessen Leitsatz lautet: "Trägt der Dieb während der
Tatausführung ein zusammengeklapptes Taschenmesser in seiner
Hosentasche, begeht er einen Diebstahl, bei dem er ein
gefährliches Werkzeug bei sich führt".
Das Oberlandesgericht Braunschweig hat deshalb beschlossen:
"Die Sache wird dem Bundesgerichtshof vorgelegt zur Entscheidung
folgender Rechtsfrage: Ist das Tatbestandsmerkmal des
´anderen gefährlichen Werkzeugs´ i.S.d.
§ 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB nur als objektiv
gefährliches Tatmittel auszulegen, das nach seiner objektiven
Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen
zuzufügen, oder muß bei Gegenständen, die
konstruktionsbedingt nicht zur Verletzung von Personen bestimmt sind,
sondern jederzeit in sozial adäquater Weise von Jedermann bei
sich geführt werden können (wie z.B. ein
Taschenmesser), noch hinzukommen, daß der Täter den
Gegenstand generell - von der konkreten Tat losgelöst - zur
Bedrohung oder Verletzung von Personen bestimmt hat?"
2. Der Generalbundesanwalt hält die Vorlegungsvoraussetzungen
für nicht gegeben. Er hat deswegen beantragt zu
beschließen:
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Braunschweig
zurückgegeben.
II.
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Braunschweig
zurückgegeben; das vorlegende Oberlandesgericht ist an der
beabsichtigten Entscheidung durch den Beschluß des
Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht gehindert.
Die Vorlegungsfrage, die die Auslegung des Merkmals "ein anderes
gefährliches Werkzeug" im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr.
1a StGB betrifft, ist nicht entscheidungserheblich.
Eine Verurteilung des Angeklagten nach dieser Vorschrift
könnte - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen
hat - nur dann in Betracht kommen, wenn der Angeklagte das
Taschenmesser bewußt gebrauchsbereit bei sich hatte (vgl.
BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Gegenstand 2; BGH NStZ-RR 1997, 50, 51;
StV 2002, 191; BayObLGSt 1999, 46, 48; Eser in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 244 Rdn.
6). Nur dann ist das Tatbestandsmerkmal des "Beisichführens"
erfüllt. Das Amtsgericht Braunschweig als insoweit
maßgebliches Tatgericht (vgl. BGHSt 31, 314, 315; Hannich in
KK 4. Aufl. § 121 GVG Rdn. 35) hat dazu entsprechende
Feststellungen nicht getroffen. Der Generalbundesanwalt hat insoweit
ausgeführt:
"Ausdrückliche Darlegungen dahingehend, daß der
Angeklagte sich zum Zeitpunkt der Tatausführung
bewußt war, daß er das Taschenmesser bei sich
hatte, enthält das tatrichterliche Urteil nicht. Ein
entsprechendes Bewußtsein liegt beim Beisichführen
von Messern dieser Art auch nicht auf der Hand (vgl. Senat in NStZ-RR
1997, 50, 51; RG JW 1932, 952, 953; Kindhäuser StV 2001, 18,
19).
Ferner läßt sich diese Lücke im Urteil
nicht unter Heranziehung der Gründe insgesamt
schließen. Zwar wird im Rahmen der Beweiswürdigung
ausgeführt, daß die Feststellungen auf den Angaben
des Angeklagten beruhen (vgl. Bl. 55 d. SA); dies belegt aber nur,
daß der Angeklagte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung
eingeräumt hat, daß das Taschenmesser sich zum
Zeitpunkt der Tat in seiner Hosentasche befand. Ob er dies zum
Zeitpunkt der Tat zumindest billigend in Kauf genommen hatte, bleibt
weiterhin offen ...
Sind die gebotenen Darlegungen aber unzureichend, so fehlt die
Grundlage für eine Entscheidung im Vorlegungsverfahren. Die
Sache ist dann dem Oberlandesgericht zurückzugeben (vgl. BGHSt
28, 72, 74; 36, 389, 391).
Hält das vorlegende Gericht die tatrichterlichen
Feststellungen allerdings in vertretbarer Weise für
ausreichend, so hat auch der Bundesgerichtshof diese seiner
Prüfung zugrunde zu legen (vgl. KK-Hannich, a.a.O.; BGHSt 22,
385, 386).
Eine solche Konstellation ist hier aber nicht gegeben.
Vielmehr belegt die Begründung des Vorlegungsbeschlusses (S. 6
unten, 7 - Bl. 93, 94 d. SA), daß das Oberlandesgericht
Braunschweig die Feststellung eines entsprechenden
"Bewußtseins" des Täters für nicht
erforderlich angesehen hat. Es ist damit erkennbar der Meinung,
daß eine Strafbarkeit auch ohne das subjektive Merkmal der
bewußten Gebrauchsbereitschaft begründet ist. Diese
Rechtsansicht ist indes unvertretbar und nicht geeignet, den Senat zu
binden.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal
des ´Beisichführens´ tragen den
Schuldspruch nicht. Ein neuer Tatrichter könnte zu dem
Ergebnis kommen, dem Angeklagten sei nicht nachzuweisen, daß
er das Taschenmesser bewußt gebrauchsbereit bei sich gehabt
habe.
Eine solche Würdigung schließt aber die
Erfüllung des Tatbestandes des § 244 Abs. 1 Nr. 1a
StGB aus, ohne daß es noch darauf ankäme, ob das
Taschenmesser als ´gefährliches Werkzeug´
im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB anzusehen ist. Die
Beurteilung der Frage, ob ein Taschenmesser ein gefährliches
Tatmittel ist, ist demnach für die Sachbehandlung im
übrigen nicht vorgreiflich. Demgemäß kann
auch nicht angenommen werden, daß das Oberlandesgericht
Braunschweig die von ihm vorgelegte Rechtsfrage im Rahmen eines
aufhebenden Beschlusses mitzuentscheiden hätte (vgl. Senat in
BGHSt 3, 234, 235; BGH NJW 1961, 1487)."
Dem schließt sich der Senat an.
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