BGH,
Beschl. v. 28.3.2007 - 2 StR 62/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 62/07
vom
28.3.2007
Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein Veröffentlichung: ja
StPO § 353 Abs. 2
Zur Tenorierung bei Aufhebung von Feststellungen durch das
Revisionsgericht.
BGH, Beschl. v. 28.3.2007 - 2 StR 62/07 - LG Mühlhausen
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 28.3.2007
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mühlhausen vom 6. November 2006 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht
zuständige Strafkammer des Landgerichts Erfurt
zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte war durch Urteil der 1. großen Strafkammer des
Landgerichts Mühlhausen vom 13. Juli 2005 wegen Totschlags in
zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren
und sechs Monaten verurteilt worden. Nach den Feststellungen dieses
Urteils war der Angeklagte der Vater von drei Kindern. Seine Ehefrau
hatte - wie in der Vergangenheit schon des Öfteren - im
September 2003 eine Beziehung zu einem anderen Mann aufgenommen und
lebte - zwischen beiden Männern hin- und hergerissen - teils
bei dem Angeklagten, teils beim neuen Liebhaber. Der Angeklagte, der
sehr an seiner Ehefrau hing und von ihr geradezu abhängig war,
bemühte sich, sie zurück zu gewinnen. Am 23. April
2004 kehrte die Ehefrau zu dem Angeklagten und den Kindern
zurück, am 1. Mai 2004 wandte sie sich wieder ihrem Liebhaber
zu. Der Aufforderung des Angeklagten, die Kinder mitzunehmen, kam sie
nicht
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nach. Der Angeklagte konnte die erneute Trennung nicht verkraften und
nahm am 2. Mai 2004 ab etwa 17.30 Uhr in Selbsttötungsabsicht
insgesamt 18 Tabletten (Schmerzmittel und Antidepressiva) sowie eine
größere Menge Alkohol zu sich. Gegen 20.30 Uhr
fasste er den Entschluss, die Kinder „mit in den Tod zu
nehmen“. Der stark angetrunkene Angeklagte stieß
seinem im elterlichen Schlafzimmer in einem Kinderbett schlafenden, ein
Jahr und neun Monate alten Sohn Hannes ein Messer mit einer
Klingenlänge von 22 cm in die Brust, was infolge Verblutens
innerhalb einiger Minuten zu dessen Tod führte.
Während dieser Zeit hielt er die Hand des sterbenden Kindes.
Anschließend trank der Angeklagte weiter Alkohol und sandte
der Ehefrau, die ihr Handy jedoch nicht eingeschaltet hatte, eine
Kurznachricht über die Tötung des Kindes. Zwischen
1.00 Uhr und 2.00 Uhr morgens begab er sich ins Kinderzimmer und
stieß der dort schlafenden fünf Jahre und vier
Monate alten Lisa-Marie dasselbe Messer in die Brust. Das
Mädchen erwachte dabei mit den Worten „Papa, ich hab
dich doch lieb“. Infolge inneren Verblutens starb Lisa-Marie
nach etwa einer Stunde. In dieser Zeit streichelte der Angeklagte das
Mädchen und brachte es auf seine Bitte noch zweimal zur
Toilette. Nach der Tötung von Lisa-Marie fühlte sich
der Angeklagte nicht mehr in der Lage, auch noch seinen
siebenjährigen Sohn Niklas zu töten.
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Auf die Revisionen der Nebenkläger hatte der Senat durch
Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05 - dieses Urteil
„hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Lisa-Marie K. sowie im
Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben“ und die Sache insoweit an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen, weil
das Landgericht die Voraussetzungen eines
„Heimtückemordes“ verkannt hatte. Das
Landgericht hat nunmehr das Mordmerkmal der Heimtücke als
erfüllt angesehen und den Angeklagten wegen Mordes zum
Nachteil der Lisa-Marie K. zu der Einsatzstrafe
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von zwölf Jahren und unter Einbeziehung der
rechtskräftigen Freiheitsstrafe von neun Jahren wegen der Tat
zum Nachteil von Hannes K. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn
Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision
des Angeklagten mit der allgemeinen Sachrüge. Das Rechtsmittel
hat Erfolg.
II.
Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil das Landgericht
keine Feststellungen zur Tat zum Nachteil der Lisa-Marie K. getroffen
hat.
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1. Das Landgericht hat das Senatsurteil vom 10. März 2006
dahin ausgelegt, dass der Senat nur die dem Gesamtstrafenausspruch
zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben habe, hat deshalb die
Tatfeststellungen des Urteils vom 13. Juli 2005 zugrunde gelegt und nur
ergänzende Feststellungen zum Entwicklungsstand von Lisa-Marie
zum Zeitpunkt ihrer Tötung getroffen. Das ist fehlerhaft. Die
Worte „mit den zugehörigen Feststellungen“
im Tenor des Senatsurteils beziehen sich sowohl auf den aufgehobenen
Schuldspruch als auch auf den Gesamtstrafenausspruch. Schon nach dem
ausdrücklichen Urteilsausspruch waren damit die Feststellungen
hinsichtlich der Tat zum Nachteil Lisa-Marie K. und des
Gesamtstrafenausspruchs aufgehoben.
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a) Nach verbreiteter Meinung wäre dieser
ausdrückliche Aufhebungsausspruch in Bezug auf die dem
Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen nicht einmal
erforderlich gewesen. In der Literatur wird vertreten, dass dann, wenn
die Entscheidung des Revisionsgerichts keinen ausdrücklichen
Ausspruch zur Aufrechterhaltung von Feststellungen enthält,
diese mit aufgehoben sind. So heißt es etwa bei Hanack in
Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 353 Rdn. 18:
„Die Aufhebung der Feststellungen ist in der Urteilsformel
auszusprechen. Fehlt ein Ausspruch darüber, ist davon
auszugehen, dass sie in
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vollem Umfang als aufgehoben gelten…“ (so auch
Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 353 Rdn. 12; Paulus
in KMR § 353 Rdn. 9; Wohlers in SK-StPO § 353 Rdn.
23). Dem steht aber nach Auffassung des Senats der Wortlaut des
§ 353 Abs. 2 StPO („Gleichzeitig sind die dem Urteil
zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, …“)
entgegen. Danach müssen die Feststellungen durch einen
gesonderten Ausspruch aufgehoben werden; fehlt dieser, bleiben sie
bestehen. Die Aufhebung von Feststellungen ist nur erforderlich, wenn
sie von dem zur Urteilsaufhebung führenden Rechtsfehler
betroffen sind. Insbesondere bei Aufhebung wegen sachlich-rechtlicher
Mängel gilt der Grundsatz tunlichster Aufrechterhaltung der
von der Gesetzesverletzung nicht berührten Feststellungen
(vgl. Meyer-Goßner aaO § 353 Rdn. 15 m.w.N.).
Entsprechend wird die Aufhebung von Feststellungen nach
überwiegender Praxis des Bundesgerichtshofs bei Aufhebung des
Schuldspruchs mit der Formulierung „mit den Feststellungen
aufgehoben“ oder bei Teilaufhebungen mit den Worten
„mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben“ ausgesprochen, und nur wenn aus einem Bereich
aufgehobener Feststellungen einzelne bestehen bleiben können,
wird diese Teilaufrechterhaltung von Feststellungen
ausdrücklich ausgesprochen (anders aber beispielsweise Urteil
des 1. Strafsenats vom 13. Februar 2007 - 1 StR 574/06; vgl. im
Übrigen auch BGHSt 41, 305 zur Verfahrensweise bei der
Einstellung von Verfahren). Üblicherweise wird dann in den
Entscheidungsgründen dargelegt, weshalb es einer Aufhebung
dieser Feststellungen nicht bedurfte.
b) Im Senatsurteil vom 10. März 2006 wurden sowohl der
Schuldspruch zum Nachteil der Lisa-Marie K. als auch der
Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Aus dem
Umstand, dass der Senat in der Sachverhaltsschilderung seines Urteils
die Feststellungen des Landgerichts insgesamt ausdrücklich als
„rechtsfehlerfrei getroffen“ bezeichnet und
zusammengefasst wiedergegeben hat, kann nicht abgeleitet werden, dass
sie bezüglich der im
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Schuldspruch aufgehobenen zweiten Tat bestehen bleiben sollten. Die
Sachverhaltsschilderung diente vielmehr nur dem Verständnis
der rechtlichen Ausführungen zu der Frage, ob die
Tötung der beiden Kinder den Tatbestand des Mordes
erfüllte oder ob sie rechtsfehlerfrei nur als Totschlag
gewertet worden war. Hätte der Senat die Feststellungen zur
Tötung der Lisa-Marie K. aufrechterhalten, weil sie von dem
zur Aufhebung des Schuldspruchs führenden Rechtsfehler nicht
betroffen waren, hätte er dies ausdrücklich in den
Gründen ausgeführt.
Das Fehlen von Feststellungen zur Tat ist ein sachlich-rechtlicher
Mangel, der auf die allgemeine Sachrüge hin zu beachten ist
(vgl. BGH NStZ 1988, 309; Senatsbeschluss vom 9. November 1982 - 2 StR
589/82). Er zwingt hier zur erneuten Urteilsaufhebung.
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2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich
auf Folgendes hin: Die Urteilsaufhebung durch das Senatsurteil vom 10.
März 2006 betrifft eine von zwei in Tatmehrheit begangenen
Straftaten, die auch verfahrensrechtlich (§ 264 StPO) keine
einheitliche Tat darstellen. Zwischen der Tötung beider Kinder
lag eine deutliche zeitliche Zäsur, die Tötung
erfolgte in unterschiedlichen Räumen. In der Zwischenzeit
hatte der Angeklagte seiner Ehefrau eine Kurznachricht geschickt und
weiter getrunken. Unter diesen Umständen besteht - anders
wäre es bei einer einheitlichen prozessualen Tat (BGHSt 24,
185 = JR 1972, 203 m. Anm. Meyer; BGHSt 28, 119, 121 = JR 1979, 299 m.
Anm. Grünwald) - für den neuen Tatrichter keine
Bindung an die Tatsachenfeststellungen, die dem nicht aufgehobenen
Urteilsteil zugrunde liegen (vgl. Hanack aaO § 344 Rdn. 22,
§ 353 Rdn. 27; Meyer-Goßner aaO § 353 Rdn.
19; Wohlers aaO § 353 Rdn. 25 f; Frisch in SK-StPO vor
§ 296 Rdn. 287 ff). Auf Widerspruchsfreiheit zwischen den zu
treffenden neuen Feststellungen zur Tötung von Lisa-Marie K.
und den aufrecht erhaltenen Feststellungen zur Tötung
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des Hannes K. im Urteil der 1. Großen Strafkammer vom 13.
Juli 2005 kommt es mithin nicht an, so dass der neue Tatrichter nicht
gehindert ist, etwa auch das Vorliegen des Mordmerkmals
„niedrige Beweggründe“ erneut zu
prüfen.
3. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die
Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§
354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt.).
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Rissing-van Saan Ri'inBGH Otten und RiBGH Rothfuß sind
urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb
an der Unterschrift gehindert.
Rissing-van Saan
Roggenbuck Appl |