BGH,
Beschl. v. 28.5.2002 - 5 StR 16/02
5 StR 16/02
StGB § 266a Abs. 1
Nach § 266a Abs. 1 StGB macht sich auch strafbar, wer zwar zum
Fälligkeitszeitpunkt nicht leistungsfähig war, es
aber bei Anzeichen von Liquiditätsproblemen unterlassen hat,
Sicherungsvorkehrungen für die Zahlung der
Arbeitnehmerbeiträge zu treffen, und dabei billigend in Kauf
genommen hat, daß diese später nicht mehr erbracht
werden können. Das Vorenthalten von
Arbeitnehmerbeiträgen setzt nicht voraus, daß an die
Arbeitnehmer tatsächlich Lohn abgeführt wurde.
BGH, Beschl. vom 28. Mai 2002 - 5 StR 16/02 - LG Neuruppin -
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 28. Mai 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Betruges u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 28. Mai 2002
beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Neuruppin vom 18. Juli 2001 gemäß § 349
Abs. 4 StPO mit den jeweils zugehörigen Feststellungen
aufgehoben
a) soweit die Angeklagten wegen Betruges und versuchten Betruges sowie
wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt verurteilt wurden und
b) in den gesamten Strafaussprüchen.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden nach §
349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten W B wegen Betruges in
zwölf Fällen (davon in drei Fällen wegen
Versuchs), Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in fünf
Fällen, wegen Verstoßes gegen ein Berufsverbot und
wegen falscher Angaben nach dem GmbH-Gesetz in zwei Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Ehefrau K
B hat es wegen Betruges in zwei Fällen, wegen Vorenthaltens
von Arbeitsentgelt in fünf Fällen, wegen falscher
Angaben nach dem GmbH-Gesetz in zwei Fällen und wegen Beihilfe
zum Verstoß gegen das Berufsverbot schuldig gesprochen und
gegen sie eine - zur Bewährung ausgesetzte -
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten
verhängt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten
haben in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang
Erfolg; im übrigen sind sie unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
I.
Die Schuldsprüche gegen beide Angeklagten wegen Betruges bzw.
wegen versuchten Betruges sowie wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt
halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Bezüglich der Fälle II.2 bis 14 (Fälle
des versuchten bzw. vollendeten Betruges) hat die von den Angeklagten
jeweils inhaltsgleich erhobene Verfahrensrüge Erfolg. Insoweit
tritt der Senat der Begründung des Generalbundesanwalts bei.
Dieser hat in seiner Antragsschrift vom 26. März 2002
folgendes ausgeführt:
"Die von beiden Beschwerdeführern zulässig erhobene
Verfahrensrüge, das Landgericht habe entgegen § 261
StPO für seine Überzeugungsbildung Kontounterlagen
verwertet, ohne diese prozeßordnungsgemäß
in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben, muß
durchgreifen.
Die Strafprozeßordnung sieht zur Beweiserhebung über
den Inhalt von Urkunden und anderen als Beweismittel dienenden
Schriftstücken grundsätzlich die Verlesung
gemäß § 249 Abs. 1 StPO vor (BGHR StPO
§ 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1). Der Vorgang der
Verlesung stellt im übrigen eine wesentliche
Förmlichkeit im Sinne von § 273 Abs. 1 StPO dar,
deren Beachtung regelmäßig nur durch den Inhalt des
Hauptverhandlungsprotokolls bewiesen werden kann (Pfeiffer, StPO, 3.
Aufl., Rdn. 3 Mitte).
Eine solche förmliche Verlesung der Kontounterlagen zu den
verschiedenen Geschäftskonten, über die die
Angeklagten ihre geschäftlichen Aktivitäten
abwickelten, hat entgegen den Ausführungen im Urteil (UA S.
31) nicht stattgefunden. Im Hauptverhandlungsprotokoll vom 8. Mai 2001
ist insoweit, worauf die Beschwerdeführer zutreffend
hinweisen, lediglich vermerkt, daß die entsprechenden
Unterlagen aus dem Beweismittelordner II aus Anlaß der
Vernehmung der zuständigen Sachbearbeiter der beteiligten
Banken erörtert wurden (Protokollheft/Bl. 3 und 4 des
Hauptverhandlungstages 8. Mai 2001). Zwar enthält das
Hauptverhandlungsprotokoll noch an verschiedenen Stellen den Eintrag,
aus den Beweismittelordnern seien Schriftstücke (auszugsweise)
verlesen worden (vgl. nur Protokollheft/Bl. 2 des
Hauptverhandlungsprotokolls 22. Mai 2001; Bl. 2 des
Hauptverhandlungsprotokolls 7. Juni 2001; Bl. 3 des
Hauptverhandlungsprotokolls 12. Juni 2001; Bl. 2 des
Hauptverhandlungsprotokolls 27. Juni 2001). In allen Fällen
handelt es sich hier aber ersichtlich nicht um die im
Beweismittelordner II abgelegten umfangreichen Unterlagen über
die Kontobewegungen.
Ob die Kontounterlagen den als Zeugen vernommenen Bankmitarbeitern
vorgehalten wurden, kann dahinstehen. Der Inhalt der betreffenden
Urkunden wäre durch ihre Erörterung mit den Zeugen
jedenfalls im vorliegenden Fall nicht ordnungsgemäß
Gegenstand der Hauptverhandlung geworden.
Zwar ist es nicht ausgeschlossen, Urkunden im Wege des Vorhalts in die
Hauptverhandlung einzuführen (BGH, Urt. vom 7. November 1991 -
4 StR 252/91, insoweit in BGHSt 38, 111 nicht abgedruckt).
Beweisgrundlage ist dann allerdings nicht der Vorhalt, sondern die
bestätigende Erklärung desjenigen, dem der Vorhalt
gemacht wird (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 11, 159, 160 und 11, 338,
340/341). In einem solchen Fall bedarf es keiner Verlesung der Urkunde.
Der Tatrichter kann vielmehr die Erklärungen seiner
Überzeugungsbildung zugrundelegen, die die Beweisperson auf
die nicht protokollierungspflichtigen Vorhalte über den Inhalt
der Schriftstücke abgegeben hat (BGHR StPO § 249 Abs.
1 Verlesung, unterbliebene 1 m. w. N.). Der Einführung des
Inhalts eines Schriftstücks in die Hauptverhandlung im Wege
des Vorhalts sind jedoch dann Grenzen gesetzt, wenn es sich bei dem
vorgehaltenen Schriftstück um ein längeres oder ein
solches handelt, das sprachlich oder inhaltlich schwer zu verstehen
ist. Es bestünde da nicht die Gewähr dafür,
daß die Auskunftsperson den Sinn der schriftlichen
Erklärung auf den bloßen inhaltlichen Vorhalt hin
richtig erfaßt hat (BGH aaO m. w. N.). Dies könnte
die Wahrheitsfindung gefährden und das rechtliche
Gehör und damit die Verteidigung des Angeklagten
beeinträchtigen.
So liegt es hier. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 8.
Mai 2001 wurde eine insgesamt nicht näher eingrenzbare, jedoch
insgesamt große Zahl von Kontoauszügen und anderen
Kontounterlagen aus dem Beweismittelordner II mit den Zeugen
erörtert. Es ist nicht anzunehmen, daß die jeweils
vernommenen Zeugen angesichts der Komplexität der Materie den
Sinn der jeweiligen Erklärungen auf den bloßen
inhaltlichen Vorhalt hin in jedem Fall richtig erfaßt haben.
Auf dem Verfahrensverstoß beruht auch das Urteil."
2. Die Sachrügen der beiden Angeklagten führen zur
Aufhebung der Verurteilung wegen Vorenthaltens von
Arbeitnehmerbeiträgen in fünf Fällen.
Insoweit tragen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen den
Schuldspruch nicht, weil das Landgericht die
Leistungsfähigkeit der Angeklagten nicht geprüft hat.
a) Das Landgericht, das keine Feststellungen zu tatsächlichen
Lohnzahlungen getroffen hat, stellt für die Strafbarkeit nach
§ 266a StGB zutreffend allein auf die
sozialversicherungsrechtliche Pflicht zur Abführung der
Arbeitnehmerbeiträge ab. Die Strafbarkeit hängt
nämlich nicht davon ab, daß Lohn ausbezahlt wurde
(so aber Gribbohm JR 1997, 479 ff.; Bittmann wistra 1999, 441; Bente
wistra 1996, 115; jeweils mit umfänglichen Nachweisen). Die
sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht entsteht nach §
22 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 SGB
IV allein durch die versicherungspflichtige Beschäftigung
eines Arbeitnehmers gegen Entgelt. Der Anspruch wird
gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV
unabhängig von der tatsächlichen Zahlung von
Arbeitslohn fällig (BSGE 75, 61, 65). Jedenfalls seit
Änderung der ursprünglichen Strafbestimmung und
Einfügung des § 266a Abs. 1 StGB in das
Strafgesetzbuch (durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der
Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 - BGBl. I 721) ist
das Merkmal entfallen, wonach es sich um "einbehaltene
Beiträge" handeln muß (vgl. zum früheren
Rechtszustand BGHSt 30, 265, 266 f. m. w. N.). Maßgebend ist
seither allein noch das "Vorenthalten" von Beiträgen des
Arbeitnehmers (vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte BGHZ
144, 311).
Alleiniger Schuldner des Arbeitnehmeranteils ist
gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV der Arbeitgeber.
Damit fehlt auch ein irgendwie geartetes Treuhandverhältnis
des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer im Hinblick auf
die Arbeitnehmerbeiträge. Diese hat der Arbeitgeber nicht von
einem gedachten Bruttolohn zu separieren, sondern er selbst ist
originär zur Leistung der Sozialversicherungsbeiträge
verpflichtet und darf dann seinerseits erst im Rückgriff (und
nur für einen bestimmten Zeitraum) nach § 28g SGB IV
seine Leistungen vom Bruttoarbeitslohn des Arbeitnehmers abziehen. Da
die Schuld hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge
unabhängig vom gezahlten Lohn besteht und sich auch aus dem
Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB eine solche
Einschränkung nicht entnehmen läßt, ist
kein Raum für eine einengende Auslegung, die eine Strafbarkeit
nach § 266a StGB von der tatsächlichen Lohnzahlung
abhängig macht (BGHZ 144, 311; vgl. auch BGH ZIP 2002, 261,
262).
b) Das Landgericht hat jedoch keine Feststellungen zur
Leistungsfähigkeit der " B " getroffen, die Arbeitgeberin der
Zeugin F war. Es hat allein auf die verspätete Zahlung der
Arbeitnehmerbeiträge abgehoben. Dies reicht nicht aus, weil
der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB nur dann gegeben
ist, wenn der verpflichtete Arbeitgeber auch die tatsächliche
und rechtliche Möglichkeit zur Erfüllung dieser
sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeit hatte. Insoweit gelten
für das echte Unterlassen des § 266a StGB die
allgemeinen Grundsätze, wonach als ungeschriebene
Tatbestandsvoraussetzung hinzutreten muß, daß den
Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht
möglich und zumutbar ist (BGH NJW 1998, 1306; BGH ZIP 2002,
261, 262). Eine unmögliche Leistung darf dem Verpflichteten
nicht abverlangt werden.
Eine Unmöglichkeit in diesem Sinne liegt insbesondere dann
vor, wenn der Handlungspflichtige zahlungsunfähig ist (BGHZ
134, 304, 307; BGH NJW 2002, 1123, 1124). Eine eingehende
Auseinandersetzung mit der Zahlungsfähigkeit der
Verpflichteten wäre hier schon deshalb erforderlich gewesen,
weil das Landgericht für einen tatnahen Zeitraum festgestellt
hat, daß keinerlei liquide Mittel mehr vorhanden waren, die
Firmenkonten nicht mehr belastet werden konnten oder auf andere Weise
Mittel hätten beschafft werden können. Auch wenn -
worauf der Generalbundesanwalt abhebt - die jeweilige monatliche
Zahllast gering war, enthebt dies angesichts der im Rahmen der
Betrugstaten und der Vergehen nach § 82 GmbH-Gesetz
geschilderten desolaten finanziellen Verhältnisse den
Tatrichter nicht von der Verpflichtung, die tatsächliche
Möglichkeit der Zahlung nachvollziehbar darzulegen. Dabei sind
- die Angaben des Landgerichts zur Unternehmensform sind
widersprüchlich - nur die Betriebsmittel und das
Betriebsvermögen heranzuziehen. Soweit ein persönlich
haftender Gesellschafter vorhanden ist, wird weiterhin auch dessen
finanzielle Leistungskraft zu berücksichtigen sein.
c) Allerdings kann der Tatbestand des § 266a StGB auch dann
verwirklicht werden, wenn der Handlungspflichtige zwar zum
Fälligkeitstag zahlungsunfähig ist, sein
pflichtwidriges Verhalten jedoch praktisch vorverlagert ist (sogenannte
omissio libera in causa - vgl. hierzu Stree in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbemerkung
§§ 13 ff. Rdn. 144 f. m. w. N.).
aa) Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat im Rahmen der
Prüfung von haftungsrechtlichen Ansprüchen nach
§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB eine
Verwirklichung des Tatbestandes auch darin gesehen, daß der
Handlungspflichtige durch anderweitige Zahlungen sich seiner
Zahlungsverpflichtung zum Fälligkeitszeitpunkt begeben hat.
Der Arbeitgeber sei nämlich verpflichtet, notfalls durch
besondere Maßnahmen (etwa die Aufstellung eines
Liquiditätsplanes und die Bildung von Rücklagen) die
Zahlung zum Fälligkeitstag sicherzustellen. Diese Mittel
dürften auch nicht zur Begleichung anderer Verbindlichkeiten
eingesetzt werden. Insoweit gehe die Pflicht zur Abführung der
sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbeiträge im Sinne
des § 266a Abs. 1 StGB anderen Verbindlichkeiten vor (BGHZ
134, 304 ff.).
bb) Dieser Auffassung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes, die
in der Literatur kritisiert wurde (vgl. Tröndle/Fischer, StGB
50. Aufl. § 266a Rdn. 12), tritt der Senat bei. Der Vorrang
der in § 266a Abs. 1 StGB genannten Ansprüche wird
nicht nur durch den strafbewehrten Normbefehl deutlich, der schon die
nicht fristgerechte Erfüllung dieser Verbindlichkeiten
erfaßt. Durch ihren besonderen strafrechtlichen Schutz sind
diese Ansprüche hervorgehoben. Das besondere
Sicherungsbedürfnis dieser Ansprüche
erschließt sich auch aus der Regelung des § 266a
Abs. 5 StGB, die von dem Arbeitgeber im Falle wirtschaftlicher
Schwierigkeiten verlangt, seine Bemühungen um die Begleichung
der sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeiten darzutun, um
selbst im Falle einer späteren Zahlung eine Strafbefreiung zu
erlangen. Auch diese Regelung wäre nicht
verständlich, wären sämtliche
Verbindlichkeiten jeweils gleichrangig; denn dann ließe
bereits die bloße Erfüllung einer anderen
(kongruenten) Verbindlichkeit die
Tatbestandmäßigkeit entfallen. Eines besonders
ausgestalteten bedingten persönlichen
Strafausschließungsgrundes, der zudem an weitere
Voraussetzungen gebunden ist, bedürfte es dann nicht nur nicht
mehr, es ergäbe sich sogar ein normativer Widerspruch.
Schließlich wird dieses Ergebnis aus den
Gesetzgebungsmaterialien bestätigt. Trotz einer
ausdrücklich geäußerten Kritik an der
Besserstellung der Gläubiger dieser
sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche hat der Gesetzgeber
an dem besonderen strafrechtlichen Schutz festgehalten, um das
Beitragsaufkommen der Sozialkassen sicherzustellen (BT-Drucks. 10/5058,
S. 31). Wenn das Gesetz für diese Ansprüche aber
einen strafrechtlichen Schutz vorsieht, kann der jeweilige Normadressat
eine Befriedigung des Anspruchs nur dann verweigern, wenn er nach den
allgemeinen Regeln des Strafrechts gerechtfertigt ist. Eine
strafrechtlich gebotene Pflicht darf der Handlungspflichtige nur im
Falle einer unvermeidbaren Kollision verweigern, wenn er damit
letztlich einem gleichwertigen Rechtsgut genügt. Insoweit gilt
auch hier der Gedanke, daß bei einer Pflichtenkollision der
Täter nur gerechtfertigt ist, wenn er eine zumindest
gleichwertige Pflicht erfüllt (vgl. Lenckner in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbemerkung
§§ 32 ff. Rdn. 71 ff.). Der strafrechtliche Schutz
eines Rechtsgutes begründet indes seine
Höherwertigkeit gegenüber einer bloß
zivilrechtlichen Handlungspflicht, was umgekehrt wiederum zur Folge
hat, daß die Erfüllung eines zivilrechtlichen
Anspruchs nicht die Verletzung eines Straftatbestands rechtfertigen
kann.
cc) Der Umstand, daß der Arbeitgeber die Abführung
der Sozialversicherungsbeiträge zum
Fälligkeitsstichtag sicherstellen muß, bedeutet aber
nicht, daß schon aus dem Fehlen einer entsprechenden Deckung
ohne weiteres auf einen schuldhaften Verstoß gegen die
Pflichten aus § 266a Abs. 1 StGB geschlossen werden kann. Der
Arbeitgeber muß nicht schlechthin für seine
finanzielle Leistungsfähigkeit einstehen. Die Beweisregel des
§ 279 BGB a.F. gilt hier nicht (vgl. auch BGH NJW 2002, 1123,
1125; a.A. OLG Celle JR 1997, 478, 479). Vielmehr ist insoweit die
vorsätzlich begangene Pflichtwidrigkeit nach den für
das Schuldstrafrecht maßgeblichen Grundsätzen
festzustellen.
(1) Eine Pflicht, besondere Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen,
setzt sich abzeichnende Liquiditätsprobleme in dem Unternehmen
voraus. Denn ein Unternehmen mit geregelten wirtschaftlichen und
organisatorischen Verhältnissen wird zur Erfüllung
seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten keiner
außergewöhnlichen Vorkehrungen bedürfen.
Welche Vorkehrungen in welchem Umfang zu treffen sind, richtet sich
nach der Eigenart des jeweiligen Einzelfalles. Entscheidend ist dabei,
welche Liquiditätsprognose zum Fälligkeitsstichtag zu
stellen ist und ob Hinderungsgründe bestehen könnten,
die Sozialbeiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB
abzuführen. Dabei wird es auf die jeweils zu erwartenden
Einnahmen (ebenso wie auf Kapitalabflüsse durch
Pfändungen, Ver- oder Aufrechnungen) ankommen.
Pflichtwidrigkeit liegt dabei nur dann vor, wenn sich ein
Liquiditätsengpaß abzeichnete und durch
entsprechende angemessene finanztechnische Maßnahmen
hätte abgewendet werden können (a.A. Lenckner/Perron
in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 266a
Rdn. 10, die nur bei gänzlich unerwarteten Ereignissen die
Tatbestandsmäßigkeit entfallen lassen wollen). Dabei
muß der Arbeitgeber zwar sicherstellen, daß die
Sozialversicherungsbeiträge vorrangig abgeführt
werden. Dies geht jedoch nicht soweit, daß er
Vermögenswerte wegen der Drohung von Pfändungen
für titulierte Forderungen dem Zugriff von Gläubigern
entziehen darf. Gleichfalls muß er sich zur
Erfüllung seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten
keine Kreditmittel beschaffen, falls er deren Rückzahlung
nicht gewährleisten kann (weitergehend BGH NJW 1997, 133, 134;
dort verlangt der VI. Zivilsenat - in einem obiter dictum - offenbar
die Ausschöpfung eines noch offenen Kreditrahmens). Nur soweit
dem Arbeitgeber überhaupt im Zeitpunkt des Offenbarwerdens der
Liquiditätsprobleme die Möglichkeit verbleibt, die
Abführung der Sozialbeiträge seiner Arbeitnehmer
durch rechtlich zulässige Maßnahmen noch
sicherzustellen, handelt er pflichtwidrig, wenn er dies
unterläßt.
(2) Der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB ist ein
Vorsatzdelikt. Der Handlungspflichtige muß deshalb die
Anzeichen von Liquiditätsproblemen, die besondere
Anstrengungen zur Sicherstellung der Abführung der
Arbeitnehmerbeiträge verlangten, erkannt haben (vgl.
Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl.
§ 266a Rdn. 17; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl.
§ 266a Rdn. 17). Nimmt er dabei zumindest billigend in Kauf,
daß bei Unterlassung von Sicherheitsvorkehrungen
später möglicherweise die
Arbeitnehmerbeiträge nicht mehr rechtzeitig erbracht werden
können, ist hinsichtlich des Merkmals der Pflichtwidrigkeit
auch Vorsatz gegeben (vgl. BGH NJW 2002, 1123, 1125). Der
Verantwortliche muß demnach die Zuspitzung der
wirtschaftlichen Situation und die daraus resultierende
Gefährdung der Arbeitnehmerbeiträge sehen (was auch
durch ungeordnete Verhältnisse im Unternehmen
begründet sein kann - vgl. BGHZ 134, 304, 315).
Unterläßt er es dann dennoch, Maßnahmen zu
ergreifen, die eine Befriedigung dieser vorrangigen
sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeiten
gewährleisten, handelt er vorsätzlich.
dd) Das Landgericht hat vorliegend weder geprüft, ob zum
Zeitpunkt der Fälligkeit eine entsprechende Leistungskraft
vorhanden war, noch - wenn diese Voraussetzung verneint werden
muß - hilfsweise zu einem früheren Zeitpunkt die
Sicherstellung der Abführung der Arbeitnehmerbeiträge
hätte veranlaßt werden müssen und die
Angeklagten dies auch erkannt haben. In diesem Zusammenhang kann auch
der Umstand Bedeutung erlangen, daß die zu zahlenden
Beiträge monatlich relativ niedrig bemessen waren. Das kann
die Angeklagten möglicherweise zu der Einschätzung
veranlaßt haben, zum Fälligkeitszeitpunkt
über genügende Mittel zu verfügen. Selbst
wenn dies zunächst hingenommen werden könnte,
würde für spätere Zeiträume in
Rechnung zu stellen sein, daß zunächst nicht einmal
die geringen Beiträge abgeführt wurden. Dabei werden
auch die an die Firma der Angeklagten geflossenen ABM-Mittel Beachtung
finden müssen, die über den
Arbeitnehmerbeiträgen lagen. Ob sie wegen des erheblichen
Schuldsaldos auf den Firmenkonten darüber überhaupt
verfügen konnten, ergeben die Feststellungen allerdings nicht.
Jedenfalls nachdem zunächst die Arbeitnehmerbeiträge
nicht mehr geleistet werden konnten, mußte der Umstand
allerdings die Angeklagten veranlassen, diese Fördermittel
vorrangig für die Begleichung der
Sozialversicherungsbeiträge heranzuziehen und sie entsprechend
zu sichern.
d) Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend beide Angeklagte als
strafrechtlich verantwortlich im Sinne des § 14 StGB
für die Abführung der
Sozialversicherungsbeiträge angesehen. Aus dem
Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe wird ausreichend
deutlich, daß der Angeklagte B die internen
kaufmännischen Angelegenheiten eigenständig erledigt
hat. Seine Stellung als mit diesen Fragen auch tatsächlich
befaßter faktischer Geschäftsführer
trägt bei ihm die Annahme einer strafrechtlich relevanten
Verantwortlichkeit (vgl. BGHSt 21, 101, 103). Die Verantwortlichkeit
der Angeklagten B ergibt sich hier daraus, daß sie
bewußt den mit einem Berufsverbot belasteten W B die ihr
obliegende Pflicht zur Beitragsabführung überlassen
hat, obwohl die wirtschaftliche Situation der Firma bereits angespannt
war.
Zwar begründet schon allein die Stellung der Angeklagten K B
als formelle Geschäftsführerin ihre
Verantwortlichkeit als Organ der Gesellschaft nach außen, was
insbesondere auch ihre Einstandspflicht für die
Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten
einschließt (BGH wistra 1990, 97 f.). Der
Geschäftsführer braucht jedoch die in sein Ressort
fallenden Pflichten nicht in eigener Person erfüllen (vgl.
BGHSt 37, 106, 123 f. grundlegend zur strafrechtlichen Relevanz von
Ressortzuständigkeiten). Er kann sie auch delegieren, ihre
Erfüllung anderen Personen überlassen (BGHZ 133, 370,
378; hinsichtlich steuerlicher Pflichten vgl. auch BFHE 141, 443). In
diesen Fällen muß er durch geeignete
organisatorische Maßnahmen die Begleichung
sozialversicherungsrechtlicher Verbindlichkeiten sicherstellen.
Jedenfalls nach einer angemessenen und beanstandungsfreien
Einarbeitungszeit darf er sich dann grundsätzlich auf die
Erledigung dieser Aufgaben durch den von ihm Betrauten verlassen,
solange zu Zweifeln kein Anlaß besteht (vgl. BGHZ 133, 370,
378). Es trifft ihn dann jedoch eine Überwachungspflicht. Wie
diese ausgestaltet ist, wird nach den Umständen des
Einzelfalles zu bestimmen sein.
Diese Grundsätze müssen auch dann gelten, wenn der
Geschäftsführer eine Person mit so weitreichenden
Handlungsvollmachten gewähren läßt,
daß diese ihrerseits als faktischer
Geschäftsführer zu qualifizieren ist. Selbst wenn der
Geschäftsführer hinnimmt, daß sich ein
faktischer Geschäftsführer etablieren kann,
führt dies nicht zwangsläufig zu einer
Zurechenbarkeit von dessen Straftaten. Auch insoweit ist die
strafrechtliche Schuld nach allgemeinen Grundsätzen
festzustellen. Der formelle Geschäftsführer handelt
demnach nur dann vorsätzlich pflichtwidrig im Sinne des
§ 266a StGB, wenn er Anhaltspunkte für eine
unzureichende Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen
Pflichten durch den faktischen Geschäftsführer
erlangt und dennoch nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen
hat. Solche sich dem formellen Geschäftsführer
aufdrängende Verdachtsmomente brauchen sich nicht unmittelbar
auf die Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten beziehen.
Es kann nach den Umständen des Einzelfalls auch ausreichen,
wenn für den formellen Geschäftsführer schon
Anzeichen dafür bestehen, daß die Verbindlichkeiten
nicht ordnungsgemäß erfüllt werden (vgl.
BGHZ 133, 370, 379). Dies gilt insbesondere dann, wenn die
Handlungsweise des faktischen Geschäftsführers - wie
hier durch den andauernden Verstoß gegen ein Berufsverbot -
in einem rechtswidrigen Gesamtzusammenhang steht und dem formellen
Geschäftsführer dies bekannt ist. Im vorliegenden
Fall mußte deshalb die Angeklagte B in Anbetracht der
schwierigen wirtschaftlichen Situation die Abführung der
Beiträge selbst sicherstellen.
3. Die Verurteilungen wegen der Verstöße des
Berufsverbots sowie gegen das GmbH-Gesetz können dagegen
bestehen bleiben, weil die Feststellungen hierzu von den vorgenannten
Rechtsfehlern unberührt bleiben. Der Senat hat jedoch die
hierfür verhängten Einzelstrafen aufgehoben, um dem
neuen Tatrichter eine insgesamt eigenständige Strafzumessung
zu ermöglichen.
II.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf
folgendes hin:
1. Die bloße Mitteilung des geschuldeten
Sozialversicherungsbeitrages reicht nicht aus. Im Falle einer erneuten
Verurteilung sind neben der Anzahl der Beschäftigten auch
deren Beschäftigungszeiten, das zu zahlende Arbeitsentgelt und
die Höhe des Beitragssatzes der örtlich
zuständigen AOK darzustellen (BGHR StGB § 266a
Sozialabgaben 4).
2. Hinsichtlich der Betrugsvorwürfe ist zu beachten,
daß ein Eingehungsbetrug zu Lasten einzelner Subunternehmer
nicht ohne weiteres angenommen werden kann, wenn die
Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Subunternehmern durch
entsprechende Zahlungsansprüche gegen die jeweiligen Bauherren
wirtschaftlich abgedeckt waren (vgl. BGHR StGB § 263 Abs. 1
Vermögensschaden 5). In diesen Fällen könnte
der Angeklagte, auch wenn er über kein wesentliches
Vermögen verfügen sollte, jedenfalls von einer
Deckung seiner Verbindlichkeiten durch den Anspruch gegenüber
dem Bauherrn ausgehen. Etwas anderes wird nur dann gelten, wenn der
Angeklagte jedenfalls zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Subunternehmervertrages die mangelnde Bonität des Bauherrn
erkannt hat oder er trotz ausreichender Sicherung seiner Forderung
gegen den Bauherrn zumindest damit rechnet, Zahlungen hierauf wegen
einer Vielzahl anderer (vor allem titulierter) Verbindlichkeiten nicht
mehr an den Subunternehmer weiterleiten zu können (vgl. BGHR
StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 1, 5).
Soweit das Landgericht auf eine (allerdings nicht näher
belegte) Vorleistungspflicht der Firma des Angeklagten
gegenüber dem Bauherrn abgestellt hat, ist dieser
Gesichtspunkt jedenfalls nicht ohne weiteres tragfähig. Der
dem Angeklagten verpflichtete Subunternehmer ist nämlich
gleichfalls vorleistungspflichtig. In beiden Rechtsbeziehungen werden
die Werklohnvergütungen zwar jeweils mit Abnahme
fällig (§ 641 Abs. 1 BGB), wobei in der Baupraxis die
Fertigstellung einzelner Gewerke eine Zahlungspflicht des Bauherrn
auslöst (§ 641 Abs. 1 Satz 2 BGB) und deshalb aber
häufig eine Gesamtabnahme stattfindet. Auch soweit in einigen
Fällen die Fälligkeitszeitpunkte gegenüber
den Subunternehmern bis zu 30 Tage früher lagen, wäre
dies nicht ohne weiteres ein so erheblicher Zwischenraum, daß
sich schon hieraus eine schadensgleiche
Vermögensgefährdung im Sinne des § 263 StGB
herleiten ließe.
3. Wenn nach den oben dargestellten Grundsätzen bei den
einzelnen Verträgen von einem Eingehungsbetrug auszugehen ist,
kommt es für die tatbestandliche Vollendung nicht mehr darauf
an, ob dem betreffenden Vertragspartner tatsächlich ein
Schaden entstanden ist (vgl. BGHSt 23, 300). Der tatsächlich
eingetretene Schaden wird dann nur noch für die Strafzumessung
Relevanz haben. Soweit der neue Tatrichter als zum Zwecke der
Feststellung von Strafzumessungstatsachen den Wert der erbrachten
Bauleistung ermitteln sollte, ist der Einschätzung der
beteiligten Subunternehmer zur Qualität ihrer eigenen
Werkleistung mit äußerster Zurückhaltung zu
begegnen. Im Regelfall bietet sich eine Verifizierung ihrer Angaben
dadurch an, daß geklärt wird, ob von den Angeklagten
behauptete Mängel gleichzeitig vom jeweiligen Bauherrn
gerügt wurde.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf Bedacht zu nehmen, daß
grundsätzlich Werklohnansprüche erst nach einer
Abnahme fällig werden. Die Erwägung des Landgerichts,
es entspreche allgemeiner Übung in der Baupraxis,
Mängel förmlich anzuzeigen, betrifft allenfalls die
Zeit nach der Abnahme. Deshalb wird die Feststellung der jeweiligen
Abnahmetermine unumgänglich sein; umgekehrt können
gerade immer wiederkehrende Strategien zur Vermeidung einer Abnahme
indiziell auf die Absicht bloßer Zahlungsverweigerung
hindeuten.
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