BGH,
Beschl. v. 28.5.2008 - 1 StR 243/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 243/08
vom
28. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen Weisungen während der
Führungsaufsicht
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Mai 2008
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München I vom 21. Januar 2008 mit den Feststellungen
aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum
äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
1. Das Landgericht hat den 1941 geborenen Angeklagten vom Vorwurf des
Verstoßes gegen Weisungen während der
Führungsaufsicht (§ 145a StGB) in zwei
Fällen wegen krankheitsbedingt fehlender
Einsichtsfähigkeit freigesprochen, jedoch seine Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des
Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus dem Tenor
ersichtlichen Erfolg.
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2. Nach den Feststellungen verurteilte das Landgericht München
I den im Übrigen unbestraften Angeklagten im Jahr 2001 wegen
zweier Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in
Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu
einer vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe. Dem lag zugrunde,
dass der Angeklagte am 4. und 31. Mai 2000 im Rahmen des von ihm
ausgeübten Fahrdienstes mit dem Finger für dieses
schmerzhaft in die Scheide eines siebenjährigen,
körperlich behinderten und retardierten Mädchens
eingedrungen war und es bei der zweiten Tat zudem erfolglos
aufgefordert hatte, den Oralverkehr auszuüben.
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Nach vollständiger Verbüßung der Strafe
trat die unbefristete Führungsaufsicht ein. Durch Beschluss
der zuständigen Strafvollstreckungskammer wurde der Angeklagte
u.a. angewiesen, „Kontakte mit minderjährigen
Kindern zu unterlassen … sowie Orte, an denen sich
erfahrungsgemäß Kinder aufhalten (z.B. Spiel- und
Sportplätze, Schwimmbäder, Schul- und
Kindergartenbereiche) zu meiden“. Dieser ihm unter Hinweis
auf die Strafbarkeit eines Verstoßes bekannt gegebenen
Weisung zuwider begab sich der Angeklagte am 28. und 30. Juli 2006
jeweils zu einem Spielplatz. Dort bot er im ersten Fall einem
siebenjährigen Mädchen einen Kaugummi an, im zweiten
Fall sprach er einen siebenjährigen Jungen mit
„Hallo“ an. Beide Kinder liefen daraufhin sofort
ängstlich davon. Sie waren von ihren Eltern angewiesen worden,
dem Angeklagten, dessen Vorstrafe im Wohnviertel bekannt war, aus dem
Weg zu gehen.
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Der Angeklagte leidet - „sehr wahrscheinlich …
seit der Straftat im Jahre 2000“ - an einer Demenz bei Morbus
Pick (ICD 10 F 02.0). Die beim Angeklagten bereits chronifizierte,
nicht heilbare Krankheit führt über die
Beeinträchtigung emotionaler Impulse und des Sozialverhaltens,
Persönlichkeitsveränderungen, Sprach- und
Gedächtnisstörungen und das Vollbild der Demenz mit
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Muskelversteifung, Pflegebedürftigkeit und Inkontinenz
schließlich nach durchschnittlich sechs bis acht Jahren zum
Tod. Infolge der Erkrankung ist die Fähigkeit, das Unrecht
verbotenen Tuns einzusehen, vergleichbar derjenigen bei Kleinkindern.
Daher konnte der Angeklagte sein Verhalten gegenüber den
Kindern nicht als untersagte Kontaktaufnahmen erkennen.
Als Reaktion auf die beiden Taten wurde der Angeklagte im August 2006
nach dem bayerischen Unterbringungsgesetz in das I. -Klinikum
eingewiesen. Dort befindet er sich aufgrund des (nicht
rechtskräftigen) Beschlusses des Amtsgerichts München
- Vormundschaftsgericht - längstens bis 13. Dezember 2009. In
der Klinik hat der Angeklagte wenigstens fünfmal versucht,
ebenfalls erkrankte Patientinnen zu küssen, am Nacken und an
den Beinen zu streicheln sowie mit ihnen Händchen zu halten.
Seit 18. Dezember 2006 steht er unter Betreuung u.a. für den
Bereich der Gesundheitsfürsorge. Seit Ende 2007 nimmt der
Angeklagte - ohne insoweit einsichtig zu sein - das
sexualdämpfende Medikament „Androcur“, das
auch als Depot verabreicht werden kann.
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3. Danach hat das Landgericht die Demenz bei Morbus Pick zutreffend als
krankhafte seelische Störung (§ 20 StGB) angesehen
und den Angeklagten von den strafrechtlichen Vorwürfen
freigesprochen. Dagegen ermöglichen die zum Tatgeschehen
getroffenen Feststellungen keine abschließende
Überprüfung der im Rahmen des § 63 StGB
vorgenommenen Gefährlichkeitsprognose.
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a) Zwar hat der Angeklagte durch sein Verhalten gegen Weisungen i.S.d.
§ 145a StGB verstoßen. Nicht jede derartige
Zuwiderhandlung vermag aber die Annahme zukünftiger
Gefährlichkeit zu begründen, welche für die
außerordentlich beschwerende Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus Voraussetzung ist. Auch mit Blick auf den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(§ 62
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StGB) wird etwa die Nichterfüllung der Weisung, sich zu
bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle oder einem
Bewährungshelfer zu melden (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
StGB), grundsätzlich nicht geeignet sein, eine
zukünftige Gefährlichkeit für die
Allgemeinheit zu prognostizieren.
b) Ob es sich bei den vom Angeklagten gezeigten Verhaltensweisen um
solche lediglich formalen Gehorsamsverstöße
gehandelt hat, lässt sich anhand der knappen Darstellung in
den Urteilsgründen nicht abschließend beurteilen.
Insbesondere bleibt offen, mit welcher Motivation der Angeklagte sich
an die beiden Kinder gewandt hat. Zwar mag unter
Berücksichtigung der Vorstrafe und dem in der Klinik
gegenüber Mitpatientinnen gezeigten Verhalten die Annahme
nicht fern liegen, dass er zu ihnen in näheren,
möglicherweise sexuellen Kontakt kommen wollte. Das
Landgericht hat aber eine derartige - sich auch nicht von selbst
verstehende - sexuelle Intention nicht festgestellt. Diese
lässt sich auch dem Urteil insgesamt nicht zweifelsfrei
entnehmen. Deshalb bedarf die Sache neuer Verhandlung.
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4. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen
werden durch den Rechtsfehler nicht berührt und
können daher bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu
nicht in Widerspruch stehende Feststellungen sind zulässig.
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5. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, bei seiner
Gefährlichkeitsprognose - und ggf. bei der Frage, ob die
Vollstreckung einer erneut angeordneten Unterbringung des Angeklagten
im psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt werden
kann - insbesondere zu berücksichtigen, welchen Verlauf die
Erkrankung des bald 67 Jahre alten Angeklagten genommen hat, ob und
für voraussichtlich welchen Zeitraum dieser weiterhin auf
landesgesetzlicher Grundlage untergebracht ist (vgl. BGH NStZ 2007,
465), ob und in
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welcher Ausgestaltung das Betreuungsverhältnis fortbesteht
sowie ob und mit welcher Wirkung die sexualdämpfende
Medikation fortgesetzt wird.
Nack Wahl Boetticher
Elf Sander |