BGH,
Beschl. v. 28.10.2008 - 3 StR 88/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 88/08
vom
28. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 28. Oktober 2008 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Krefeld vom 5. Oktober 2007
a) im Fall II. 2. Nr. 2 der Urteilsgründe im Schuldspruch
dahin geändert, dass die Verurteilung wegen schweren sexuellen
Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen entfällt;
b) im Fall II. 2. Nr. 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch
über die Einzelstrafe im Fall II. 2. Nr. 2 der
Urteilsgründe, die Gesamtstrafe und das Berufsverbot mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung sowie wegen
schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen
in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit
sexuellem Missbrauch von Kranken
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und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen und im anderen Fall in
Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines
Betreuungsverhältnisses zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie ihm für immer
verboten, den Beruf des Altenpflegers sowie entsprechende berufliche
Tätigkeiten auszuüben. Hiergegen richtet sich die
Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und
sachlichrechtlichen Angriffen. Das Rechtsmittel hat den aus der
Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
Die Verfahrensrügen sind, soweit sie nicht durch die teilweise
Aufhebung des Urteils ihre Erledigung finden, unbegründet. Der
sachlichrechtlichen Nachprüfung hält nur die
Verurteilung im Fall II. 2. Nr. 1 der Urteilsgründe
einschließlich der hierfür erkannten Freiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten stand.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begleitete der Angeklagte
im Fall II. 2. Nr. 2 in seiner Eigenschaft als Pflegekraft in einer
stationären Pflegeeinrichtung eine 93jährige
Bewohnerin auf die Toilette. Die Frau war aufgrund eines
Hüftleidens auf den Rollstuhl angewiesen und deshalb nicht in
der Lage, die Toilette selbständig aufzusuchen und sich danach
zu reinigen. Nach dem Toilettengang stand die Bewohnerin auf und hielt
sich an Haltegriffen fest, damit der Angeklagte sie reinigen konnte.
Diese Situation, in der die Frau "körperlich und
konstitutionsbedingt hilflos war, nutzte der Angeklagte zu einem
sexuell motivierten Übergriff aus". Er "drang nämlich
nun mit jedenfalls dem ersten Glied eines Fingers in den After der
Zeugin ein" (UA S. 10). Kurze Zeit später erschien die
Bewohnerin mit ihrem Rollstuhl im Pflegebüro und beschwerte
sich über den Übergriff.
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Zutreffend hat das Landgericht die Handlung des Angeklagten als
sexuellen Missbrauch einer Hilfsbedürftigen in einer
Einrichtung für hilfsbedürftige Menschen (§
174 a Abs. 2 StGB) beurteilt. Der Angeklagte hat die Bewohnerin dadurch
missbraucht, dass er deren Hilfsbedürftigkeit,
nämlich die Unfähigkeit, sich ohne seine Hilfe aus
der Toilette fortzubegeben, ausgenutzt und eine sexuelle Handlung an
ihr vorgenommen hat.
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Die Voraussetzungen eines schweren sexuellen Missbrauchs einer
widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 2, Abs.
5 Nr. 1 StGB) sind hingegen mit diesen Feststellungen nicht belegt.
Opfer einer Tat nach § 179 StGB kann nur sein, wer aufgrund
einzelner, im Tatbestand des Absatzes 1 näher beschriebener
Gegebenheiten unfähig ist, einen ausreichenden
Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu
bilden, zu äußern oder durchzusetzen (BGHSt 36, 145,
147; BGH NStZ 1998, 83). Das Opfer muss zum Widerstand
gänzlich unfähig sein (Wolters in SK-StGB §
179 Rdn. 3). Diese Widerstandsunfähigkeit muss der
Täter ausnutzen, um mit ihrer Hilfe zu der sexuellen Handlung
zu kommen, d. h. die sexuelle Handlung muss dem Täter gerade
erst aufgrund der besonderen Situation des Opfers gelingen. Dies
unterscheidet den Missbrauch einer hilfsbedürftigen Person von
dem einer widerstandsunfähigen Person, deren unterschiedliche
Bewertung auch in den deutlich voneinander abweichenden Strafrahmen
(§ 174 a StGB: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu
fünf Jahren; § 179 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu zehn Jahren bzw. in Fällen qualifizierter
Tatbegehung oder Tatfolgen von zwei Jahren bis zu 15 Jahren) zum
Ausdruck kommt.
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Das Landgericht hat bereits eine körperliche
Widerstandsunfähigkeit der Bewohnerin nicht festgestellt. Nach
dem Gesamtzusammenhang des Urteils liegt es nicht fern, dass diese sich
durch Ausdrücke der Ablehnung und Verär-
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gerung, durch Rufen um Hilfe und auch durch körperliche
Bewegungen hätte gegen das Ansinnen des Angeklagten zur Wehr
setzen können. Darauf, dass dieser Widerstand
möglicherweise nicht erfolgreich gewesen wäre und
sich der Angeklagte davon nicht hätte von seinem Vorhaben
abbringen lassen, kommt es nicht an.
Selbst bei Annahme gänzlicher Unfähigkeit des Opfers
zum Widerstand würde es daran fehlen, dass der Angeklagte dies
zur Tatbegehung ausgenutzt hätte. Die Feststellungen legen es
eher nahe, dass der Angeklagte nicht die
Widerstandsunfähigkeit sondern vielmehr die Arglosigkeit
seines eine Hilfeleistung erwartenden und von dem sexuellen
Übergriff überraschten Opfers ausgenutzt hat und er
deshalb auch bei einem widerstandsfähigen Opfer zu demselben
Ziel gelangt wäre.
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Der Senat schließt aus, dass eine erneute Verhandlung zu
Feststellungen führen könnte, die den Schuldspruch
des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person
tragen. Er entscheidet deshalb in der Sache und ändert den
Schuldspruch. Der Wegfall des den Strafrahmen bestimmenden Delikts
führt zur Aufhebung der für diese Tat erkannten
Einzelstrafe.
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2. Im Fall II. 2. Nr. 3 der Urteilsgründe suchte der
Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts im Rahmen seines
Außendienstes als Pflegekraft eine 57jährige Frau in
deren Haus auf. Sie war aufgrund einer Vielzahl von Operationen
ersichtlich vorgealtert, in ihrer Wohnung jedoch mobil und ohne
nennenswerte psychische Beeinträchtigungen (UA S. 11). Der
Angeklagte betreute sie, indem er sie bei ihren Einkäufen
unterstützte oder ihre Beine behandelte. Nachdem er ihr schon
früher Informationsmaterial betreffend eine
Beckenboden-Gymnastik übergeben hatte, erklärte er
ihr am Tattag, wie sie diese
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Gymnastik durchzuführen hätte, und wies sie dabei an,
ihren Unterleib zu entblößen, sich hinzuknien und
sich mit den Händen auf den Boden aufzustützen. Die
in ihrem Wesen sehr vertrauensselige Frau (UA S. 11) folgte den
Anweisungen. Der Angeklagte begab sich daraufhin hinter sie und drang
zumindest mit einem Finger von hinten in ihre Scheide ein.
Diese Feststellungen belegen die vom Landgericht angenommene
körperliche Widerstandsunfähigkeit (§ 179
Abs. 1 Nr. 2 StGB) des Opfers nicht. Auch der sexuelle Missbrauch unter
Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses (§ 174 c
Abs. 1 StGB) ist nicht verwirklicht. Es fehlen schon Feststellungen
dazu, dass bei der Frau eine Krankheit oder Behinderung im Sinne von
§ 174 c StGB vorgelegen hat. Gleiches gilt, soweit das
Tatopfer nach § 174 c StGB dem Täter zur Beratung,
Behandlung oder Betreuung anvertraut sein muss. Zuletzt wäre -
die vorgenannten Tatbestandsmerkmale als gegeben angenommen - nicht
dargetan, dass der Angeklagte die sexuelle Handlung gerade unter
Missbrauch dieser Tatumstände vorgenommen hat. Vielmehr deuten
die bisher festgestellten Umstände darauf hin, dass der
Angeklagte lediglich die Vertrauensseligkeit der Frau ausgenutzt hat.
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Da nicht auszuschließen ist, dass eine neue Verhandlung
insoweit den Tatvorwurf belegende Feststellungen erbringen wird, muss
die Sache nochmals verhandelt werden.
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3. Damit ist zugleich der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage entzogen.
Gleiches gilt für das Berufsverbot. Insoweit wird der neue
Tatrichter die von der Revision geäußerten Bedenken
zu berücksichtigen haben, dass das Berufsverbot, soweit es dem
Angeklagten nicht nur die Pflege alter Menschen, sondern
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auch "entsprechende berufliche Tätigkeiten" untersagt, zu
unbestimmt sein könnte.
Becker Miebach Pfister
Sost-Scheible Hubert |