BGH,
Beschl. v. 29.7.2009 - 2 StR 91/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 91/09
vom
29. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der
Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Anträge - am 29. Juli 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kassel vom 15. Juli 2008
a) dahingehend ergänzt, dass die Angeklagten im
Übrigen freigesprochen werden; insoweit fallen die Kosten des
Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse
zur Last,
b) in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet
verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen
gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in 132 tateinheitlich
zusammentreffenden Fällen schuldig gesprochen. Es hat den
Kaufmann D. unter Einbeziehung einer Freiheitsstra-
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fe von einem Jahr aus einer früheren Verurteilung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt,
gegen den Onkologen Dr. med. R. hat es eine Freiheitsstrafe von
fünf Jahren und acht Monaten und gegen den Journalisten v. K.
eine solche von drei Jahren verhängt. Hinsichtlich der
Kaufleute D. C. (ein Jahr und acht Monate) und P. (ein Jahr und vier
Monate) hat es auf Bewährungsstrafen erkannt.
Die Rechtsmittel der Angeklagten haben mit der Sachrüge in dem
aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349
Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts
veräußerten die Angeklagten in der Zeit vom 01. Juni
2000 bis Ende Mai 2001 an Krebspatienten das aus Russland stammende und
in Deutschland nicht zugelassene Präparat Galavit. Dieses
bezogen sie zum Preis von 42,-- DM pro Ampulle von zwei internationalen
Apotheken mittels Individualrezepten, die vom Angeklagten Dr. R. und in
Einzelfällen von seiner Assistentin auf die jeweiligen
Patienten ausgestellt worden waren. Von den Patienten, die sich
überwiegend im Endstadium einer Krebserkrankung befanden und
bei denen im Regelfall konventionelle Behandlungsmethoden nicht mehr
durchgeführt werden konnten, verlangten die Angeklagten pro
Behandlungseinheit, die die Verabreichung von 15 Ampullen umfasste,
einen Preis von 16.800,-- DM. Nach Berechnung der Angeklagten setzte
sich dieser Gesamtpreis zusammen aus Medikamentenkosten in
Höhe von 9.000,-- DM, einem Apothekenzuschlag in Höhe
von „ca. 2.700 Mark“, Mehrwertsteuer in
Höhe von „rund 2.317 Mark“, sowie einem
nicht näher bezifferten Anteil für ärztliche
Nebenleistungen und sonstige Gebühren und Zuschläge.
Hinzu kamen weitere Kosten für den mit der Behandlung
regelmäßig
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verbundenen stationären Aufenthalt in der Klinik Ca. in B. K.
, die in dem Betrag von 16.800,-- DM nicht eingerechnet waren.
In einer Werbebroschüre, welche die Angeklagten u. a.
über ein Call-Center vertrieben, behaupteten sie
wahrheitswidrig, der Exportpreis des Medikaments betrage pro Ampulle
600,-- DM. Dabei suggerierten sie, dass das Präparat in
Deutschland nicht unter dem von ihnen hierfür angesetzten
Preis erhältlich sei. Die Differenz zu dem Verkaufspreis in
Russland von 10 US-Dollar begründeten sie mit angeblichen
Preisaufschlägen des Herstellers, der über die
Exportkosten seine eigenen Entwicklungskosten finanzieren
müsse. Im Rahmen der von ihm durchgeführten
Informationsgespräche, an denen alle potentielle Patienten
teilnahmen, ging der Angeklagte Dr. R. die Frage des hohen Preises
offensiv an und wies wiederum auf die Forschungs- und
Entwicklungskosten in Russland sowie die angeblich hohen
Beschaffungskosten hin. Zudem suggerierte er den Zuhörern,
dass Galavit anderweitig in Deutschland kaum zu bekommen sei,
jedenfalls nicht zu einem geringeren Preis. Den Angeklagten war indes
bekannt, dass jeder Arzt per Individualverordnung Galavit verschreiben
konnte. Sie wussten auch, dass sich die Patienten damit das Medikament
ebenfalls zum Preis von 42,-- DM pro Ampulle in einer internationalen
Apotheke hätten beschaffen können.
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In den Werbebroschüren wurde ferner behauptet, Galavit sei in
Russland an Krebspatienten experimentell und klinisch getestet worden.
Hierbei seien positive Effekte, wie eine deutliche Verringerung der
Größe der Tumore und eine Verbesserung der
Lebensqualität, nachgewiesen worden; eine nähere
Differenzierung nach der Art der Krebserkrankung erfolgte nicht.
Entsprechende Behauptungen über angeblich vorliegende
Wirknachweise verbreiteten die Angeklagten zudem in Anzeigen im
Internet und einem Beitrag für die SAT 1- Sendung
„Akte 2000“, an dessen Erstellung der Angeklagte v.
K. beteiligt
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gewesen war. Daneben bezahlte der Angeklagte D. den Schauspieler De.
dafür, in der Öffentlichkeit wahrheitswidrig zu
behaupten, er habe an Prostatakrebs gelitten und sei davon in einer
Moskauer Klinik mit Galavit geheilt worden. In diesem Zusammenhang
wurden auch Fotoaufnahmen gefertigt und in der Presse
veröffentlicht, die den Angeklagten Dr. R. bei einer
Untersuchung des Schauspielers zeigten. Tatsächlich war De.
nie an Prostatakrebs erkrankt gewesen. Nachdem in der Folgezeit in den
Medien kritische Berichte und Stellungnahmen erschienen waren, wurde in
die Werbebroschüren ein Hinweis aufgenommen, dass es sich bei
Galavit um einen Immunmodulator und nicht um ein Krebsmittel handle. Es
sei aber nachgewiesen, dass es die Nebenwirkungen von Strahlen- und
Chemotherapie reduziere, die Makrophagen stimuliere und aktiviere sowie
die Basalzellmembran moduliere. Im Rahmen der von ihm
durchgeführten Informationsveranstaltungen und
Einzelgespräche stellte der Angeklagte Dr. R. potentiellen
Patienten daneben regelmäßig eine Verbesserung der
Lebensqualität und Verlängerung der
Überlebensdauer in Aussicht und suggerierte eine
wissenschaftlich hinreichend erwiesene Wirksamkeit von Galavit.
Allen Angeklagten war bekannt, dass wissenschaftliche Nachweise
für die behaupteten positiven Wirkungen von Galavit bei
Krebserkrankungen nicht existierten. Zwar waren in Russland Studien zur
Wirkweise von Galavit gefertigt worden. Diese waren jedoch nicht
klinischer Art, besaßen für die Frage, ob eine
Wirksamkeit bei allen Krebserkrankungen gegeben ist, keinerlei
Aussagekraft und waren zudem sämtlich von nur schlechter
Qualität.
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2. Die Strafkammer sieht das betrügerische Verhalten der
Angeklagten zum einen darin, dass sie vorsätzlich unwahre
Behauptungen über das Vorhandensein eines wissenschaftlichen
Wirknachweises von Galavit bei allen Krebsarten aufstellten, zum
anderen in der mit falschen Tatsachen unterlegten
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Preisgestaltung von 16.800,-- DM pro Behandlung. Den 132 Patienten, die
sich zur Durchführung einer Galavitbehandlung entschlossen,
sei deshalb ein Vermögensschaden in Höhe der jeweils
gezahlten Beträge entstanden.
Hinsichtlich drei weiterer Patienten, die keine Geldzahlungen geleistet
hatten, ist die Strafkammer von einem strafbefreienden
Rücktritt ausgegangen, weil die Angeklagten durch die
Nichtbeitreibung der Forderung die Tatvollendung im Sinne des
§ 24 Abs. 2 StGB verhindert hätten.
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II.
1. Die Angeklagten waren freizusprechen, soweit das Landgericht in den
Fällen der Patienten B. , W. und W. einen strafbefreienden
Rücktritt vom Versuch angenommen hat. Nach der Anklage sollen
sämtliche Taten in Tatmehrheit (§ 53 StGB) begangen
worden sein. In einem solchen Fall hat, wenn sich eine oder mehrere
Taten nicht nachweisen lassen, Teilfreispruch zu erfolgen, auch wenn
das Gericht der Meinung ist, dass die nicht nachgewiesenen Taten bei
einer Verurteilung in Tateinheit mit den Delikten stehen
würden, deretwegen der Angeklagte verurteilt worden ist
(Senatsbeschluss vom 28. März 2007 - 2 StR 102/07). Das Urteil
war deshalb entsprechend zu ergänzen.
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2. Im Übrigen hält die Überprüfung
des Schuldspruchs anhand der Revisionsrechtfertigungen
bezüglich aller Angeklagten im Ergebnis rechtlicher
Nachprüfung stand.
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a) Das betrügerische Verhalten aller Angeklagten liegt hier
darin, dass sie die Patienten über die Grundlagen ihrer
Preisgestaltung und den Apothekenabgabepreis von Galavit in Deutschland
täuschten. Zwar liegt im Fordern eines bestimmten Preises
nicht ohne Weiteres die Zusicherung, dass dieser
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auch angemessen oder üblich ist (RGSt 42, 147, 150; BGHR StGB
§ 263 Abs. 1 Täuschung 6; Fischer StGB 56. Aufl.
§ 263 Rdn. 21 m.w.N.). Die Angeklagten haben jedoch durch ihre
wahrheitswidrige Behauptung, der Exportpreis des Medikaments Galavit
betrage 600,-- DM pro Ampulle, den Patienten vorgespiegelt, das
Medikament sei in Deutschland nicht zu einem geringeren Preis
erhältlich. Zwar hat das Landgericht auf der Grundlage seiner
Bewertung der Taten als eine Tat im Rechtssinne nur pauschale
Feststellungen zum jeweiligen Vorstellungsbild der einzelnen
Geschädigten getroffen. Den Feststellungen kann in ihrer
Gesamtheit aber noch hinreichend entnommen werden, dass über
die Angaben in den versandten Informationsbroschüren hinaus
jedenfalls im Rahmen der vom Angeklagten Dr. R. durchgeführten
Informationsveranstaltungen und Einzelgespräche
gegenüber jedem der 132 Geschädigten unwahre
Behauptungen zur angeblichen Höhe des Importpreises
für Galavit aufgestellt wurden. Dabei versteht es sich von
selbst, dass die hierdurch getäuschten Patienten
irrtumsbedingt davon abgesehen haben, das Medikament zu einem Bruchteil
des Preises selbst über eine Apotheke zu beziehen.
b) Nicht tragfähig ist hingegen die Annahme des Landgerichts,
der Betrugstatbestand sei in objektiver und subjektiver Hinsicht zudem
wegen der Täuschungen über das Ausmaß und
den Nachweis einer Wirksamkeit des Medikaments bei sämtlichen
Krebsarten erfüllt.
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Die Angeklagten haben, u.a. durch Einsatz des Schauspielers De. , teils
ausdrücklich, teils konkludent behauptet, Galavit sei
geeignet, eine Heilung oder zumindest Linderung bei allen Arten von
Krebserkrankungen zu bewirken. Ob dies zutrifft, hat das Landgericht
ausdrücklich offen gelassen, nachdem der hierzu
gehörte Sachverständige die Frage der Wirksamkeit von
Galavit bei Krebsindikationen nicht abschließend beantworten
konnte. Als Anknüpfungspunkt für die
Täuschungshandlung hat es vielmehr die wahrheitswidrige Be-
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hauptung der Angeklagten herangezogen, es lägen
wissenschaftliche Belege für den von ihnen behaupteten
Wirkmechanismus des Medikaments vor. Ob jedoch die
diesbezügliche Fehlvorstellung bei sämtlichen
Getäuschten auch jeweils ursächlich war für
die Entscheidung, eine Behandlung mit Galavit durchzuführen,
hat die Strafkammer nicht überprüft. Entsprechender
Feststellungen zum individuellen Vorstellungsbild und der Motivlage der
einzelnen Geschädigten war das Landgericht nicht etwa deshalb
enthoben, weil es - teilweise in rechtlich bedenklicher Weise -
sämtliche Täuschungshandlungen als eine
materiell-rechtliche Tat bewertet hat. Auch bei Serienstraftaten des
Betrugs sind regelmäßig entsprechende individuelle
Feststellungen erforderlich (BGH NStZ 2004, 568, 569). Dass die
Behauptungen der Angeklagten zum Grad der wissenschaftlichen
Verlässlichkeit ihrer Angaben in allen Fällen kausal
für die Vermögensverfügung der
Getäuschten waren, versteht sich angesichts der Lage, in der
sich die Interessenten befanden, nicht von selbst. Zutreffend weisen
die Revisionen darauf hin, dass es sich überwiegend um
austherapierte Krebspatienten handelte, die genötigt waren,
nach „jedem Strohhalm zugreifen“. Es liegt schon
deshalb nicht fern, dass sich jedenfalls ein Teil der Patienten auch
dann für eine Behandlung mit Galavit im Ca. entschieden
hätte, wenn ihnen nicht eine nachgewiesene, sondern lediglich
die - nach den Feststellungen der Strafkammer nicht
ausschließbar gegebene - Möglichkeit einer
entsprechenden Wirkung in Aussicht gestellt worden wäre. Dies
gilt umso mehr, als das Landgericht an anderer Stelle im Urteil
ausführt, dass die Entscheidung der Patienten für die
Durchführung der Behandlung auf Grund „individuell
unterschiedlich gelagerter Umstände“ erfolgte.
c) Die konkurrenzrechtliche Einordnung der Einzelaktivitäten
der Angeklagten als jeweils eine Betrugstat im Sinne des § 52
Abs. 1 StGB begegnet zwar teilweise rechtlichen Bedenken. Denn die
organisatorische Einbindung des Täters in ein
betrügerisches Geschäftskonzept ist für sich
nicht ausreichend, die
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Einzelakte der Tatserie rechtlich zu einer Tat, auch nicht im Sinne
eines sog. „uneigentlichen Organisationsdelikts“
(hierzu: Senatsbeschluss vom 29. Juli 2009 - 2 StR 150/09),
zusammenzufassen. Erbringt der Täter für alle oder
einige Einzeltaten einen individuellen, nur diese fördernden
Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten grundsätzlich als
tatmehrheitlich begangen zuzurechnen (BGHSt 49, 177, 182 f.). So liegt
der Fall jedenfalls bei dem Angeklagten Dr. R. , der im Rahmen der
Informationsveranstaltungen und Einzelgespräche individuelle
Täuschungshandlungen vorgenommen hat. Der Senat kann aber
ausschließen, dass die Angeklagten durch die Annahme einer
tateinheitlichen Begehungsweise beschwert sind.
3. Die Strafaussprüche können jedoch keinen Bestand
haben:
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Zwar hat das Landgericht die jeweilige Strafhöhe nicht
ausdrücklich damit begründet, dass die Angeklagten
zwei schadensursächliche Täuschungshandlungen
begangen haben. Der Senat kann dennoch nicht ausschließen,
dass sich die rechtsfehlerhafte Annahme, der Betrugstatbestand sei auch
im Hinblick auf die behaupteten Wirknachweise vollendet, auf die
Höhe der erkannten Strafen ausgewirkt hat. Die Strafkammer hat
sowohl die Ablehnung eines - hier allerdings nicht nahe liegenden -
minder schweren Falls als auch die konkrete Bemessung der jeweiligen
Strafen u. a. mit der Höhe des bewirkten Schadens
begründet und dabei die von den Geschädigten
gezahlten Beträge in voller Höhe herangezogen. Die
Feststellungen belegen eine verfügungskausale
Täuschung jedoch allein hinsichtlich des Bezugspreises des
Medikaments. Für die Schadensberechnung ist deshalb lediglich
auf den Unterschied zwischen dem für die Behandlung
tatsächlich bezahlten und dem Betrag abzustellen, der
angefallen wäre, wenn sich die Patienten das Medikament auf
anderem Wege beschafft und zur Behandlung in das Ca. mitgebracht
hät-
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ten. Der Kostenanteil für die angefallenen ärztlichen
Leistungen ist nicht als Schaden anzusetzen.
4. Soweit sich die weitergehenden Sachrügen und die
Verfahrensrügen durch die Aufhebung der
Strafaussprüche nicht erledigt haben, bleibt ihnen aus den
Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts ein
Erfolg versagt.
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5. Der neue Tatrichter wird in die Urteilsformel hinsichtlich des
Angeklagten D. die in der einzubeziehenden Entscheidung des
Amtsgerichts München festgesetzte Bestimmung des
Anrechnungsmaßstabes für die in Österreich
erlittene Auslieferungshaft aufzunehmen haben (§§ 55
Abs. 2, 51 Abs. 4 Satz 2 StGB).
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Rissing-van Saan Rothfuß Roggenbuck
Appl Schmitt |