BGH,
Beschl. v. 29.6.2000 - 1 StR 223/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 223/00
vom
29. Juni 2000
in der Strafsache gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2000
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kempten (Allgäu) vom 10. Februar 2000 im Strafausspruch
aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
Schwurgerichtskammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten
verurteilt.
Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat nur zum
Strafausspruch Erfolg.
1. Folgendes ist festgestellt:
Der Angeklagte hatte als Krankenpfleger im Bezirkskrankenhaus K., wo er
seit langem "tadelsfrei" tätig war, in der Nacht vom 14./15.
Februar 1999 Nachtdienst. Die Patientin H. hatte zu dieser Zeit eine
manische Phase, die wegen einer zugleich vorliegenden Herzerkrankung
nicht medikamentös behandelt werden konnte. Sie war daher, wie
schon in den Tagen zuvor - sie hatte z.B. Kot verschmiert, geschrieen
und geschimpft - äußerst "umtriebig". Der Angeklagte
fand sie letztlich in einer Urinlache sitzend vor. Er geriet in einen
"hochgradigen Erregungszustand", faßte Frau H. unter den
Armen und wollte sie ins Bett bringen. Diese wehrte sich und versuchte
den Angeklagten "zu liebkosen und zu küssen", was diesem
"zutiefst zuwider" war. "In seiner Rage" drückte er sie mit
dem Bauch nach unten auf das Bett. Da sie sich weiter heftig wehrte und
"strampelte", wollte sie der Angeklagte "endlich ruhig stellen". Daher
kniete sich der 100 kg schwere Angeklagte so fest auf den
Rücken von Frau H. , daß ein Leberriß
eintrat. Gleichzeitig packte er sie am Nacken und drückte ihr
Gesicht so stark in das Kissen, daß sie alsbald infolge
Sauerstoffnot verstarb.
2. Der auf diese Feststellungen gestützte Schuldspruch ist
frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten (§ 349
Abs. 2 StPO).
3. Der Strafausspruch kann dagegen keinen Bestand haben (§ 349
Abs. 4 StPO):
a) Sachverständig beraten hat die Strafkammer das Vorliegen
der Voraussetzungen von § 21 StGB nicht ausschließen
können. Bei der "völlig
persönlichkeitsfremden" Tat habe ein hochgradiger Affekt im
Sinne einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung
vorgelegen. Der Angeklagte hatte zur Tatzeit eine Zyste, die auf die
Luftröhre drückte und deshalb Schmerzen und Atemnot
verursachte. Darüber hinaus befand er sich in erheblicher
Sorge, da er Hautkrebs hatte und noch unklar war, ob sich Metastasen
bilden würden. Damit verbunden war die Sorge um seinen
psychotisch erkrankten, in ständiger Behandlung stehenden
Sohn. In dieser Situation hätten das Auffinden der in einer
Urinlache sitzenden Frau H. und deren "Annäherungsversuche" zu
einem Ansteigen der Affektspannung geführt. Diese habe sich
bei der Tatausführung entladen.
b) Im Rahmen der konkreten Strafzumessung innerhalb des (nur) im
Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 21 StGB
und sonstige strafmildernde Umstände angenommenen Strafrahmens
des § 227 Abs.2 StGB hat die Strafkammer "das Ausmaß
der Gewaltanwendung" zum Nachteil des Angeklagten
berücksichtigt.
Dies hält unter den gegebenen Umständen rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
Die Strafkammer hat festgestellt, daß die vom Angeklagten
verursachten Verletzungen der Geschädigten - z.B. der durch
das Aufknien verursachte Leberriß - mit dem psychischen
Zustand des Angeklagten "korrespondieren".
Tatmodalitäten dürfen einem Angeklagten nur
strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar
sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu
vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt.
Allerdings ist auch der i.S.d. § 21 StGB erheblich vermindert
schuldfähige Täter für die von ihm begangene
Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so daß
für eine strafschärfende Verwertung der
Handlungsintensität Raum bleibt, jedoch nur nach dem
Maß der geminderten Schuld. Dessen muß sich der
Tatrichter erkennbar bewußt sein (vgl. BGH NJW 1993, 3210,
3211 f; BGH NStZ 1992, 538; G. Schäfer, Praxis der
Strafzumessung 2. Aufl. Rdn. 257 a ff., jew. m.w.N.). Daß
dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die
Urteilsgründe weder ausdrücklich noch in einer
Gesamtschau. Dies wäre um so mehr erforderlich gewesen, als
derartige Umstände vor allem bei insgesamt sinnlosen Taten nur
geringes strafschärfendes Gewicht haben (vgl. BGH NStZ 1987,
321 f; G. Schäfer aaO Rdn. 257 c). Hinzu kommt, daß
Strafzumessungserwägungen um so umfassender sein
müssen, je knapper die verhängte Strafe eine
grundsätzlich noch bewährungsfähige Strafe
(§ 56 StGB) übersteigt (vgl. BGH StV 1992, 462, 463;
G. Schäfer aaO Rdn. 618 a jew. m.w.N.).
4. Der aufgezeigte Mangel führt zwar zur Aufhebung des
Strafausspruchs, berührt jedoch die der Strafzumessung zu
Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht. Da sie
auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen sind, bleiben sie aufrecht
erhalten (§ 349 Abs. 2 StPO), so daß die gesamten
Urteilsfeststellungen Bestand haben. Ergänzende, zu den
bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen
bleiben jedoch zulässig.
5. Im Hinblick auf das durch den Fall erregte beträchtliche
lokale Aufsehen erschien es dem Senat angemessen, die Sache
gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 (zweite
Alternative) StPO an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen
(vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 538/99 m.w.N.).
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