BGH,
Beschl. v. 29.6.2000 - 4 StR 40/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 40/00
vom
29. Juni 2000
in der Bußgeldsache
gegen
StVG § 25 Abs. 2 a Satz 1
Die in § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG genannte Frist von zwei
Jahren rechnet ab dem Zeitpunkt, in dem das frühere Fahrverbot
rechtskräftig geworden ist; auf den Zeitpunkt der Entscheidung
kommt es nicht an.
BGH, Beschluß vom 29. Juni 2000 - 4 StR 40/00 - Bayerisches
Oberstes Landesgericht
Amtsgericht Kitzingen
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat als Senat für
Bußgeldsachen am 29. Juni 2000 durch den Vorsitzenden Richter
am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner, die Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf und Athing, die Richterin am
Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic und den Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann beschlossen:
Die in § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG genannte Frist von zwei
Jahren rechnet ab dem Zeitpunkt, in dem das frühere Fahrverbot
rechtskräftig geworden ist; auf den Zeitpunkt der Entscheidung
kommt es nicht an.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger
Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße und ein
Fahrverbot von einem Monat verhängt. Die in § 25 Abs.
2 a Satz 1 StVG vorgesehene Bestimmung, "daß das Fahrverbot
erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der
Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt,
spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt
der Rechtskraft", hat es dabei nicht getroffen.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat der Betroffene -
beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch - Rechtsbeschwerde
eingelegt, mit der er unter anderem beanstandet, daß ihm das
Amtsgericht nicht das Recht eingeräumt hat, in
Ausübung der durch § 25 a Abs. 2 a Satz 1 StVG
eröffneten Möglichkeiten den Zeitpunkt der Abgabe des
Führerscheins zur amtlichen Verwahrung selbst zu bestimmen und
dadurch auch den Beginn des Fahrverbots selbst festzulegen.
Das mit der Rechtsbeschwerde befaßte Bayerische Oberste
Landesgericht beabsichtigt, das Rechtsmittel zu verwerfen: Eine
Bestimmung nach § 25 Abs. 2 a StVG komme nicht in Betracht,
weil gegen den Betroffenen - entgegen den Voraussetzungen dieser
Vorschrift - innerhalb von zwei Jahren vor der zu ahndenden
Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot verhängt worden sei. Hierzu
ergibt sich aus den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils,
daß gegen den Betroffenen, der diese Ordnungswidrigkeit am
27. Januar 1999 begangen hat, in einer früheren
Verkehrsordnungswidrigkeitensache durch Bußgeldbescheid vom
17. Dezember 1996, der am 8. August 1997 rechtskräftig
geworden ist, ein Fahrverbot angeordnet worden war. Das Bayerische
Oberste Landesgericht ist der Auffassung, daß für
die Berechung der Zweijahresfrist nicht auf den Zeitpunkt der letzten
Sachentscheidung in der früheren Sache abzustellen sei (hier
also auf den 17. Dezember 1996 - mit der Folge, daß die neue
Ordnungswidrigkeit später als zwei Jahre nach der
Verhängung des früheren Fahrverbots begangen worden
wäre), sondern auf den der Rechtskraft der früheren,
das Fahrverbot anordnenden Entscheidung (hier also auf den 8. August
1997).
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Bayerische Oberste
Landesgericht durch den Beschluß des Oberlandesgerichts
Karlsruhe vom 28. August 1998 - 2 Ss 184/98 (NStZ 1998, 628 = DAR 1999,
372 = NZV 1999, 177) - gehindert. Das Oberlandesgericht Karlsruhe
meint, für die Fristberechnung sei maßgeblich der
Zeitpunkt, zu dem die letzte sachliche Entscheidung - sei es durch die
Verwaltungsbehörde, sei es durch das Gericht - über
das frühere Fahrverbot ergangen sei.
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Sache deshalb
gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, §
121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über
folgende Rechtsfrage vorgelegt:
"Ist maßgebender Zeitpunkt für die Berechnung der in
§ 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG genannten Frist von zwei Jahren der
Zeitpunkt der letzten Sachentscheidung oder der Zeitpunkt der
Rechtskraft dieser Entscheidung?"
II.
Die gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG in
Verbindung mit § 121 Abs. 2 GVG zulässige
Vorlegungsfrage beantwortet der Senat im Sinne der Auffassung des
vorlegenden Bayerischen Obersten Landesgerichts. Für die
Prüfung, ob ein (früheres) Fahrverbot gegen den
Betroffenen im Sinne des § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG in den zwei
Jahren vor der Ordnungswidrigkeit verhängt wurde, ist
maßgeblich, ob die Entscheidung, mit der das Verbot
ausgesprochen wurde, innerhalb dieses Zeitraums rechtskräftig
geworden ist; auf den - gegebenenfalls vor Beginn dieses Zeitraums
liegenden - Zeitpunkt der Entscheidung kommt es nicht an (ebenso
BayObLG NZV 1999, 50 f.; Albrecht NZV 1999, 177 f.; Schäpe DAR
1999, 372 f.; Hentschel, Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung,
Fahrverbot im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 8. Aufl., Rdn.
1026; a.A. Deutscher NZV 1999, 185, 189).
1. Allerdings kann dieses Ergebnis nicht schon aus dem Wortlaut des
§ 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG abgeleitet werden. Dieser ist offen.
Die Vorschrift knüpft den Ausschluß des
Vollstreckungsaufschubs an die "Verhängung" eines Fahrverbots
innerhalb des genannten Zeitraums, ohne - insofern abweichend von
anderen Regelungen derselben Vorschrift (etwa in Absatz 2 Satz 1 und in
Absatz 2 a Satz 2) - die Maßgeblichkeit der Rechtskraft
ausdrücklich zu erwähnen, und läßt
so für beide in Frage kommenden Auslegungen Raum.
Auch die Gesetzessystematik führt nicht weiter. Das zeigt sich
schon daran, daß beispielsweise das Bayerische Oberste
Landesgericht und das Oberlandesgericht Karlsruhe jeweils mit
für sich genommen schlüssigen Erwägungen die
Vorschrift des § 25 Abs. 2 a Satz 2 StVG als Beweis
für die von ihnen befürwortete Auslegung des Satzes 1
der Bestimmung in Anspruch nehmen. Erst recht kann auch nicht aus
anderen Vorschriften des StVG - z.B. §§ 28 Abs. 3 Nr.
3, 29 Abs. 4 Nr. 3 - oder anderer Gesetze und Verordnungen - z.B.
§ 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV - zweifelsfrei auf eine der beiden
Auslegungsmöglichkeiten geschlossen werden.
2. Auch der Entstehungsgeschichte der Vorschrift lassen sich Argumente,
die zwingend für die eine oder die andere Auslegung
sprächen, nicht entnehmen. Mit der Einführung des
Vollstreckungsaufschubs für das Fahrverbot nach
näherer Bestimmung des Betroffenen durch das Gesetz zur
Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und
anderer Gesetze vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 156) wollte der
Gesetzgeber die Justiz von taktisch motivierten,
ausschließlich die Hinausschiebung der Rechtskraft und damit
der Wirksamkeit des Fahrverbots bezweckenden Einsprüchen und
Rechtsmitteln entlasten. In dem ursprünglichen Gesetzesentwurf
war eine Begrenzung des Adressatenkreises der Vergünstigung in
der Weise, daß diese nur Betroffenen ohne Vorahndungen zugute
kommen sollte, nicht vorgesehen (BT-Drucks. 13/3691, S. 4, 9). Diese
Begrenzung ist erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens in die
Diskussion gekommen. In der Beschlußempfehlung und dem
Bericht des Ausschusses für Verkehr wurde eine
Änderung des § 25 StVG dahingehend vorgeschlagen,
daß der Betroffene den Beginn des Fahrverbots nur dann
bestimmen darf, wenn in den zwei Jahren vor der Tat keine in das
Verkehrszentralregister einzutragende Entscheidung gegen ihn
"rechtskräftig" geworden ist (BT-Drucks. 13/7888, S. 25, 95,
107). Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens hat der
Rechtsausschuß diesen Vorschlag in modifizierter Form
aufgegriffen und die schließlich vom Bundestag beschlossene
Fassung des § 25 Abs. 2 a StVG empfohlen, nach der das
Bestimmungsrecht nur noch im Falle der Verhängung eines
Fahrverbots ausgeschlossen ist, anders als im Vorschlag des Ausschusses
für Verkehr aber nicht mehr darauf abgestellt wird,
daß die Entscheidung in den zwei Jahren vor der
Ordnungswidrigkeit "rechtskräftig" geworden ist. Über
die Gründe für diese Änderung schweigt der
Bericht des Rechtsausschusses, so daß nicht mit Sicherheit
festgestellt werden kann, ob mit ihr - wofür allerdings kaum
etwas spricht - eine "Verkürzung der zweijährigen
Bewährungszeit", die Folge eines Abstellens auf den Zeitpunkt
der Entscheidung wäre, bezweckt war oder nicht.
3. Für die Auslegung des § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG in
dem Sinne, daß das frühere Fahrverbot erst mit
Eintritt der Rechtskraft der Anordnung "verhängt" ist,
sprechen aber folgende Erwägungen:
a) Mit der Beschränkung des Vollstreckungsaufschubs
für das neue Fahrverbot auf Fälle, in denen "in den
zwei Jahren vor der Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot gegen den
Betroffenen nicht verhängt worden ist", will § 25
Abs. 2 a Satz 1 StVG ausschließen, daß in den
Genuß der Vergünstigung auch kommt, wer sich durch
die Warnung, die von der Verhängung eines Fahrverbots ausgehen
soll, nicht nachhaltig (nicht einmal für die Dauer von zwei
Jahren) beeinflussen läßt. Die Warnwirkung des
Fahrverbots kommt aber erst dann zu voller Entfaltung, wenn die
Sanktion Rechtskraft erlangt.
b) Stellte man nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung
über das frühere Fahrverbot ab, sondern darauf,
daß "in den zwei Jahren vor der Ordnungswidrigkeit" eine
Entscheidung ergangen ist, durch die ein Fahrverbot verhängt
wurde, so müßte dem Betroffenen in dem neuen
Verfahren der Vollstreckungsaufschub konsequenterweise auch dann
vorenthalten werden, wenn das frühere Fahrverbot nach seiner
Anordnung - sei es durch die Bußgeldbehörde oder im
gerichtlichen Verfahren - aufgehoben worden ist, dies
möglicherweise sogar deshalb, weil sich im nachhinein
herausgestellt hat, daß es zu Unrecht verhängt
worden war (vgl. auch Albrecht NZV 1999, 177, 178). Diese
Beschränkung der Befugnis des Betroffenen, den Beginn des
Fahrverbots selbst festzulegen, würde einer sachlichen
Rechtfertigung entbehren und wäre, auch wenn dem Gesetzgeber
die Entscheidung, ob er dem Betroffenen überhaupt ein
Bestimmungsrecht in Bezug auf den Beginn des Fahrverbots
einräumen will, freisteht, verfassungsrechtlich zumindest
bedenklich.
c) Mit dem Einleitungssatz in § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG wird
das Wahlrecht des Betroffenen nicht nur für den Fall
beschränkt, daß in den zwei Jahren vor der
Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot gegen ihn verhängt worden
ist. Nach dem zweiten Teil dieses Satzes setzt das Wahlrecht vielmehr
weiter voraus, daß (nach der Ordnungswidrigkeit) "bis zur
Bußgeldentscheidung ein Fahrverbot nicht verhängt
wird". Es kann nicht zweifelhaft sein, daß diese
Voraussetzung, deren Sinn jedenfalls nicht in der Mißachtung
der Warnwirkung eines früheren Fahrverbots gesehen werden
kann, so ausgelegt werden muß, daß
ausschließlich die rechtskräftige
Verhängung eines Fahrverbots die das Wahlrecht
beschränkende Wirkung entfaltet. Ist aber im zweiten Teil des
Konditionalsatzes in § 25 Abs. 2 a Satz 1 StVG unter
"Verhängen" notwendigerweise das rechtskräftige
Verhängen der Sanktion zu verstehen, so spricht nichts
dafür, denselben Begriff im ersten Teil des Satzes anders
auszulegen.
4. Die Entscheidung entspricht dem Antrag des Generalbundesanwalts.
Meyer-Goßner Tolksdorf Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |