BGH,
Beschl. v. 29.3.2000 - 2 StR 71/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 71/00
vom
29. März 2000
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 29.
März 2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Erfurt vom 20. Oktober 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht
zuständige Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen
zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Durch Urteil vom 2. Februar 1998 hatte das Landgericht die Angeklagte
wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren
verurteilt. Das Landgericht hatte - im Hinblick auf das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Angeklagten zur Tatzeit
- die zweite Alternative des § 213 StGB a.F. angewandt.
Der Senat hatte dieses Urteil durch Beschluß vom 9. Oktober
1998 - 2 StR 442/98 - im Strafausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben, da der Tatrichter die erste Alternative des
§ 213 StGB a.F. nicht rechtsfehlerfrei geprüft hatte.
Denn es lag nicht fern, daß die Angeklagte auch aus Zorn
gehandelt hat. Eine zweite Milderung gemäß
§§ 21, 49 StGB wäre dann möglich
gewesen.
Durch das hier angefochtene Urteil wurde die Angeklagte wegen
Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Die Voraussetzungen der ersten Alternative des §
213 StGB a.F. wurden verneint.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der
die Verletzung formellen und materiellen Rechtes gerügt wird.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
II.
Der Strafausspruch weist erneut einen Rechtsfehler auf, der zur
Aufhebung des Urteils nötigt.
Die Strafkammer hat in den Urteilsgründen unzulässige
Bezugnahmen vorgenommen. Nach § 267 Abs. 1 StPO muß
jedes Strafurteil aus sich heraus verständlich sein (vgl. BGHR
StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 11). Auf mit dem
früheren Urteil aufgehobene, also nicht mehr existente
Feststellungen verbietet sich eine Bezugnahme von selbst (vgl.
Hürxthal in KK 4. Aufl. § 267 Rdn. 4 m.w.N.). Eine
Bezugnahme wird auch nicht dadurch zulässig, daß sie
mit dem Hinweis verbunden wird, die neue Hauptverhandlung habe zu
denselben Feststellungen geführt.
Der Tatrichter hat hier zum einen hinsichtlich der Darstellung der
Vorverurteilung und der Prüfung der Schuldfähigkeit
der Angeklagten, zum anderen aber vor allem hinsichtlich der
Strafzumessungserwägungen, mit denen ein minder schwerer Fall
im Sinne der zweiten Alternative des § 213 StGB a.F.
angenommen wurde, auf die Gründe des ersten Urteils Bezug
genommen. Dies ist unzulässig. Denn auch die Bezugnahme auf
die Strafzumessungserwägungen eines anderen Richters wird der
Bedeutung der Strafzumessung und der Aufgabe des Tatrichters nicht
gerecht (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 7).
Der Senat kann im vorliegenden Fall insbesondere nicht prüfen,
ob sich der Tatrichter rechtsfehlerfrei mit der Anwendung der zweiten
Alternative des § 213 StGB a.F. auseinandergesetzt hat. Dem
steht nicht entgegen, daß der Tatrichter diese Alternative
letztlich bejaht hat. Denn er ist zu diesem Ergebnis nur deshalb
gelangt, weil er das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21
StGB für ausschlaggebend hielt. Er hat aber nicht dargelegt,
ob ein sonstiger minder schwerer Fall auch ohne diesen Umstand in
Betracht kam. Eine diesbezügliche Erörterung lag hier
nahe. Es steht rechtskräftig fest, daß eine
Notwehrlage für die Angeklagte bestand, sie aber die Grenzen
der Notwehr überschritten hat, wobei sie zwar (auch) in einer
"nicht ganz unerheblichen Angst" gehandelt hat, die aber nicht das
für § 33 StGB erforderliche gesteigerte Maß
an Angst (Furcht als asthenischer Affekt) erreicht hatte.
Hätte ihre Angst dieses Maß erreicht, hätte
die Angeklagte wegen Vorliegens eines
Schuldausschließungsgrundes nicht bestraft werden
können. Hat ihre Angst das erforderliche gesteigerte
Maß nicht ganz erreicht, stellt sie jedenfalls einen
gewichtigen Strafmilderungsgrund dar, der allein die Prüfung
eines minder schweren Falles gebietet. Hierzu verhält sich das
angefochtene Urteil nicht.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß bei
rechtsfehlerfreier Prüfung der zweiten Alternative des
§ 213 StGB a.F. das Schwurgericht zu einer geringeren Strafe
gelangt wäre. Denn bei Bejahung der Voraussetzungen dieser
Alternative - ohne Berücksichtigung der erheblich verminderten
Schuldfähigkeit der Angeklagten - hätte die Strafe
zusätzlich nach §§ 21, 49 StGB gemildert
werden können. Über die Strafzumessungsfrage
muß daher erneut entschieden werden.
Sollte der neue Tatrichter doch zu einer schweren Beleidigung im Sinne
der ersten Alternative des § 213 StGB a.F. gelangen, weist der
Senat darauf hin, daß die Ausführungen des zweiten
Tatrichters zum Vorliegen eines Zornes und zum Nichtvorliegen eigener
Schuld der Angeklagten überhöhte Anforderungen
belegen.
Der Senat merkt in diesem Zusammenhang weiter an, daß der
Tatrichter zwar nur an den Schuldspruch selbst und diejenigen
Feststellungen gebunden ist, die ausschließlich oder - als
sogenannte doppelrelevante Tatsachen - auch den nunmehr
rechtskräftigen Schuldspruch betreffen. Diese Bindung
erstreckt sich aber auf alle Umstände, welche das Tatgeschehen
im Sinne des geschichtlichen Vorgangs näher beschreiben (st.
Rspr.; vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 16. Februar 2000 - 3 StR 24/00 -
m.w.N.). Der neue Tatrichter wird daher zu beachten haben,
daß er zu der mit der Notwehrsituation verknüpften
Provokationslage nur solche ergänzende Feststellungen treffen
darf, die nicht im Widerspruch zu den rechtskräftigen
Feststellungen stehen. Auch insoweit begegnet das angefochtene Urteil
rechtlichen Bedenken.
Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2
Satz 1 StPO Gebrauch gemacht und die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung an das Landgericht Mühlhausen
zurückverwiesen.
Jähnke Niemöller Ernemann
Otten Rothfuß |