BGH,
Beschl. v. 29.11.2005 - 5 StR 358/05
5 StR 358/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
29.11.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29.11.2005
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Göttingen vom 26.04.2005 nach § 349 Abs. 4 StPO mit
den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch, soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung
verurteilt wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung (Einzelstrafe:
drei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe) und sexuellen Missbrauchs
von Kindern in fünf Fällen (viermal ein Jahr und
einmal ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe) unter Freisprechung
im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren
verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision
des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen
Teilerfolg. Während die Schuldsprüche und die
für die Fälle des sexuellen
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Missbrauchs festgesetzten Einzelstrafen sachlich-rechtlicher
Nachprüfung standhalten, begegnet die für die
Vergewaltigung (Fall II 2 der Urteilsgründe) ausgesprochene
Strafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat
insoweit die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht
rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
1. Nach den Feststellungen trank der Angeklagte im Laufe des 2. Januar
2005 (Zeitpunkt der Tat: 3.01.2005 zwischen 2.00 und 3.00 Uhr morgens)
eine Flasche Wodka. Am Abend und in der Nacht zum 3. Januar nahm der
Angeklagte bis 1.30 Uhr Longdrinks zu sich. Die genaue Menge der
konsumierten Getränke konnte das Gericht nicht feststellen,
obwohl die Zeugin M , die mitgetrunken hatte, bekundet hat, dass der
Angeklagte „nicht mehr als sonst“ getrunken habe.
Ob und gegebenenfalls welche Angaben zur Trinkmenge der Angeklagte oder
das Tatopfer gemacht haben, teilt das Urteil nicht mit. Im Wesentlichen
aufgrund der weiteren Aussage der genannten Zeugin, wonach der
Angeklagte keine Ausfallerscheinungen gezeigt habe, ist die
sachverständig beratene Strafkammer zu der Auffassung gelangt,
dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit weder
ausgeschlossen noch erheblich vermindert gewesen sei. Auch wenn der
Angeklagte an diesem Abend beträchtlich alkoholisiert gewesen
sein sollte, könnten wegen seiner Alkoholtoleranz und im
Hinblick auf die Bekundungen der Zeugin die Voraussetzungen des
§ 21 StGB ausgeschlossen werden.
Demgegenüber hat das Landgericht in einem der Fälle
des sexuellen Missbrauchs, bei dem der Angeklagte ebenfalls
alkoholisiert war, die Voraussetzungen des § 21 StGB
angenommen, obwohl auch in diesem Fall weder das Opfer noch
später die Entnahmeärztin nennenswerte
alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bemerkt haben (Fall II 3 der
Urteilsgründe). Im Unterschied zu Fall II 2 konnte hier aber
die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit mit etwa 3 ‰
errechnet werden. Die Strafkammer führt in diesem Zusammenhang
aus, dass allein wegen der Höhe der ermittelten Blutalkoholkon-
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zentration in diesem Fall eine erhebliche Einschränkung der
Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden könne.
2. Die unterschiedliche Behandlung lässt besorgen, dass der
Tatrichter nicht bedacht hat, dass auch in Fällen, in denen
keine Blutprobe entnommen worden ist, dem Gericht die Aufgabe obliegt,
sich aufgrund aller Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen freier
Beweiswürdigung eine Überzeugung von der vom
Angeklagten vor der Tat genossenen Alkoholmenge zu verschaffen. Auf
dieser Grundlage ist eine Tatzeit-Blutalkoholkonzentration zu
errechnen, die bei der Beurteilung des möglichen Wegfalls des
Einsichts- oder Steuerungsvermögens zur Tatzeit in die
erforderliche Gesamtwürdigung einzubeziehen ist (vgl. BGHR
StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 22, 23; BGH StV 1993, 519).
Denn für die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen
des § 21 StGB gegeben sind, kommt es sowohl auf die
Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch auf die
psychodiagnostischen Kriterien an (vgl. BGHSt 43, 66), wobei das Fehlen
von Ausfallerscheinungen einer erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt entgegensteht (vgl.
Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 20 Rdn. 24 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Feststellung, der Angeklagte
habe keine Ausfallerscheinungen gezeigt, allein auf den wenig
aussagekräftigen Angaben einer zur fraglichen Zeit selbst
angetrunkenen Zeugin beruht, wonach der Angeklagte „nicht
hackedickevoll“ gewesen sei und noch klar habe reden
können.
Der Strafausspruch kann aus diesen Gründen keinen Bestand
haben. Der Schuldspruch wird von dem Rechtsfehler nicht
berührt. Es ist auszuschließen, dass der neue
Tatrichter zu Feststellungen gelangt, die zur Anwendung von §
20 StGB führen. Der Wegfall der Einsatzstrafe zieht die Auf-
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hebung der Gesamtstrafe nach sich. Bei Bildung einer neuen Gesamtstrafe
wird zu Gunsten des Angeklagten mehr als bisher zu bedenken sein, dass
vier der fünf Missbrauchstaten mehr als zwölf Jahre
zurückliegen und die fünfte Tat die
Erheblichkeitsschwelle des § 184 f Nr. 1 StGB nur knapp
überschreitet.
Basdorf Häger Gerhardt
Brause Schaal |