BGH,
Beschl. v. 29.10.2002 - 3 StR 326/02
3 StR 326/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
29. Oktober 2002
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 29. Oktober 2002 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Duisburg vom 28. Mai 2002 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer das Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
räuberischer Erpressung, versuchter schwerer
räuberischer Erpressung und Diebstahls in zwei Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts
gestützte Revision des Angeklagten. Die
Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und zum
Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben. Jedoch weist das Urteil insofern einen sachlich-rechtlichen
Mangel auf, als das Landgericht die Prüfung einer
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§
64 StGB) unterlassen hat, obwohl sich dies aufdrängte.
Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte
seit dem 16. oder 17. Lebensjahr Betäubungsmittel - zuerst
Haschisch, zwei Jahre später auch Heroin. Seit der Vollendung
des 20. Lebensjahres war er "hochgradig abhängig" und fuhr zum
Zweck des Erwerbs von teilweise zum Weiterverkauf bestimmten Drogen
nach Holland. Wegen Betäubungsmitteldelikten wurde er 1995,
1996 und 1997 jeweils zu Jugendstrafen verurteilt. Nach der bedingten
Entlassung aus dem Strafvollzug begann er erneut mit dem Heroinkonsum
und wurde im Jahr 1999 u. a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr und acht Monaten verurteilt. Nach vollständiger
Verbüßung dieser Strafe begann er alsbald wieder mit
dem Heroinkonsum. Die verfahrensgegenständlichen Taten dienten
der Erlangung von Geld zum Erwerb von Betäubungsmitteln.
Dementsprechend begrüßt das Landgericht in der
Strafzumessung, daß der Angeklagte sich nunmehr bereit
erklärt hat, eine stationäre Therapie anzustreben, um
seine Heroinabhängigkeit zu bekämpfen, und
erklärt schon jetzt die Zustimmung zu einer
Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG.
Angesichts dieser Feststellungen, die einen Hang des Angeklagten zu
übermäßigem Rauschmittelkonsum und einen
symptomatischen Zusammenhang zwischen den Taten und der
Abhängigkeit belegen, hätte der Tatrichter
prüfen und entscheiden müssen, ob bei dem Angeklagten
die Gefahr besteht, daß er auch künftig in Folge
seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die
Unterbringung nach § 64 StGB ist zwingend anzuordnen, wenn die
rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Hiervon darf nicht abgesehen
werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge
gefaßt ist (vgl. BGH bei Holtz MDR 1992, 932; BGH, Beschl.
vom 9. August 2001 - 3 StR 279/01). Erwägungen zu §
64 StGB waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Strafkammer von
uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten
ausgegangen ist. Für die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt kommt es nicht darauf an, daß verminderte
Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB
besteht (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2;
Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 64 Rdn. 3). Es ist
schließlich nicht ersichtlich, daß es bei dem
Angeklagten an der erforderlichen konkreten Erfolgsaussicht der
Unterbringung mangelt (BVerfGE 91, 1 ff.). Dem steht schon entgegen,
daß sich das Landgericht in den Urteilsgründen
ausdrücklich positiv zu einer Zurückstellung der
Strafvollstreckung geäußert und angesichts der vom
Angeklagten erklärten Therapiebereitschaft Chancen
für einen Behandlungserfolg gesehen hat.
Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht auch nicht entgegen,
daß ausschließlich der Angeklagte Revision
eingelegt hat (vgl. BGHSt 37, 5). Im übrigen hat der
Beschwerdeführer die Nichtanwendung des § 64 StGB
durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl.
BGHSt 38, 362).
Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils, soweit
eine Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Der
Strafausspruch wird hierdurch nicht berührt. Der Senat kann
ausschließen, daß im Falle der Unterbringung gegen
den erheblich vorbestraften Angeklagten auf eine niedrigere Strafe
erkannt worden wäre.
Tolksdorf Winkler Pfister von Lienen Hubert
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