BGH,
Beschl. v. 3.4.2008 - 1 StR 153/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 153/08
vom
3.4.2008
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3.4.2008 beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Regensburg vom 13. Dezember 2007 mit den Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Die Strafkammer hat den Beschuldigten in einem psychiatrischen
Krankenhaus untergebracht (§ 63 StGB). Seine Revision hat mit
der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
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I.
Folgendes ist festgestellt:
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1. Der jetzt 46 Jahre alte Beschuldigte war bis vor einigen Jahren
beruflich sehr erfolgreich; er erzielte etwa als Vermittler von
Bausparverträgen ein Jahresgehalt von bis zu 180.000,- DM,
später als Finanzberater monatliche Einnahmen bis zu 20.000,-
DM. Inzwischen lebt er im Wesentlichen von der Unterstützung
durch seine Freundin. Außerdem hat er Schulden von etwa
400.000,- Euro. Er arbeitet nämlich nichts mehr, da er
„tagtäglich um sein Recht kämpfen
müsse“. Soziale Kontakte seien weitgehend abgebaut.
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Der Beschuldigte leidet an einer anhaltenden wahnhaften
Störung (Paranoia) in der Unterform des Querulantenwahns. Er
hält sich etwa für einen Bürger des
Deutschen Reiches und deshalb nicht der Staatsgewalt des durch nichts
legitimierten Unrechtsstaates der Bundesrepublik unterworfen. Besonders
kriminell sei die Justiz, die ihn planmäßig in den
Ruin treibe. Der Direktor des Amtsgerichts Kelheim und der
Präsident des Landgerichts Regensburg seien
„Oberstaatsverbrecher“, die an ihm
„Völkermord“ begingen.
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2. Vor diesem Hintergrund kam es zu folgenden Taten:
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Der Beschuldigte ist, ohne dass den Urteilsgründen
Einzelheiten zu entnehmen wären, in - offenbar eine ganze
Reihe - Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Mitte 2007 hatte der
Gerichtsvollzieher S. für mehrere Gläubiger
Forderungen von insgesamt etwa 25.000,- Euro zu vollstrecken und
bereits Gegenstände im Haus des Beschuldigten
gepfändet. Um S. davon abzuhalten, die angedrohte Abholung
dieser Gegenstände zu verwirklichen und ihn, den
Beschuldigten, zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu
verhaften, drohte er ihm, „40 Leute der NPD
vorbeizuschicken“, die S. „um die Ecke bringen
würden“. Gleiches drohte er hinsichtlich der Eltern
S. s an, wobei er diese Drohung mit dem zutreffenden Hinweis
unterstrich, dass er schon in der Wohnung der Eltern gewesen sei. Am
nächsten Tag überzog er S. mit einer Serie von
Telefonanrufen, in dem er ihm androhte, er käme vorbei und
würde ihn „töten“. Verbunden war
all dies mit einer Serie von Schimpfworten gegen S. , von
„Arschloch“ bis „Folterer“ und
„Völkermörder“. Dann
erklärte er S. aber, er könne „allen seinen
Verfolgungen und auch der Tötung“ entgehen, wenn er
an Eides Statt erkläre, der Amtsgerichtsdirektor und der
Landgerichtspräsident, ihrerseits
„Völkermörder und Verbrecher“,
setzten ihn, den Gerichtsvollzieher unter Druck, damit dieser am
Beschuldigten Völkermord begehe. Am nächsten Tag
erschien S. mit mehreren Poli-
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zisten beim Beschuldigten und nahm ihn in Erzwingungshaft. Der
Beschuldigte leistete keinen Widerstand, erklärte S. in der
Vollzugsanstalt aber, er sei „so gut wie tot“.
3. Im Laufe des Verfahrens wurde der Beschuldigte vorläufig
untergebracht. Seine Behandlung in der Bezirksklinik gestaltete sich
sehr schwierig. So kündigte er einem der Ärzte an, er
werde ihm „Leute nach Hause schicken“. Um die
Absetzung eines bestimmten Medikaments zu erreichen, sagte er einem
anderen Arzt zutreffend, er, der Arzt, habe doch eine Tochter, die in
die Schule ginge, und nannte dabei auch die konkrete,
tatsächlich von der Tochter des Arztes besuchte Schule.
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4. Die Strafkammer hat ohne nähere Ausführungen die
Taten gegen den Gerichtsvollzieher als versuchte Nötigung in
Tateinheit mit Beleidigung und - die Tat in der Vollzugsanstalt - als
Bedrohung gewertet. Jedoch sei der Beschuldigte wegen seiner Erkrankung
sicher erheblich vermindert schuldfähig,
möglicherweise schuldunfähig. Nach
sachverständiger Beratung sei mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschuldigte
krankheitsbedingt vergleichbare Taten auch künftig begehen
werde. Soweit der Sachverständige dagegen der Meinung sei,
dass bei Kranken wie dem Beschuldigten „fast regelhaft das
Ausmaß einer zunehmend aggressiv getönten
Impulsivität steige und deswegen im weiteren Verlauf mit
gewalttätigen Eskalationen gerechnet werden
müsse“, begründe dies nicht das
erforderliche Maß an Wahrscheinlichkeit für die
Gefahr von Aggressionsdelikten. Darauf komme es aber nicht an. Die vom
Beschuldigten begangenen und in gleicher Weise von ihm zu erwartenden
Taten seien konkretisierte, ernst zu nehmende Bedrohungen mit
schwersten Verbrechen. Unter Hinweis auf BGH NStZ-RR 2006, 338 f.
führt die Strafkammer aus, dass es sich hierbei um i.S.d.
§ 63 StGB erhebliche Taten handelte, die die Unterbringung des
Beschuldigten gebieten würden.
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II.
Dies hält im Ergebnis rechtlicher Prüfung nicht stand.
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1. Der rechtliche Ausgangspunkt der Strafkammer ist allerdings
zutreffend.
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Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem
Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall,
kommt es auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der
Taten an, da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte
Tatbestände vorgenommen hat (BGH NStZ 1995, 228 m.w.N.). Das
bedeutet, dass auch (versuchte) Nötigungen durch Bedrohungen
mit schweren Verbrechen - auch ohne, dass bereits
Vorbereitungshandlungen zu deren Realisierung ersichtlich oder zu
erwarten wären - nicht von vorneherein als niemals erheblich
i.S.d. § 63 StGB angesehen werden können.
Todesdrohungen, die geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv
in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen,
stellen eine schwerwiegende Störung des Rechtsfriedens dar und
sind nicht bloße Belästigungen. Schon im Hinblick
auf das Gewicht eines Eingriffs gemäß § 63
StGB ist jedoch erforderlich, dass diese Bedrohung in ihrer konkreten
Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr
ihrer Verwirklichung in sich trägt.
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2. Die bisherigen Feststellungen werden diesem Maßstab nicht
in vollem Umfang gerecht. Zwar enthält der Hinweis auf seinen
Aufenthalt in der Wohnung der Eltern des Gerichtsvollziehers im
Zusammenhang mit der gegen sie gerichteten Todesdrohung durchaus ein
schwerwiegendes ernst zu nehmendes Drohpotential; der Hinweis auf die
Schule der Tochter des Arztes könnte in die gleiche Richtung
deuten. Andererseits ist der Hinweis des Beschuldigten, der
tatsächlich kaum Kontakte hat, er könne
„Leute“, wie z. B. „40 Leute von der
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NPD“ beim Gerichtsvollzieher, dessen Eltern oder auch dem
Arzt „vorbeischicken“, die dann den
Gerichtsvollzieher oder dessen Eltern „um die Ecke bringen
würden“, erkennbar irreal. Auch die Aufforderung an
den Gerichtsvollzieher, das verbrecherische Verhalten des
Amtsgerichtsdirektors und des Landgerichtspräsidenten
eidesstattlich zu versichern und damit sein Leben zu retten, spricht
gegen das konkrete Gewicht der Bedrohungen. Jedenfalls hätte
sich die Strafkammer mit alledem auseinandersetzen müssen.
III.
Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:
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1. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Drohungen
wären erhebliche Taten zu erwarten, wenn mit
Aggressionsdelikten zu rechnen wäre (vgl. van Gemmeren in
MüKo § 63 Rdn. 33 m.N.). Nach den
Ausführungen des Sachverständigen erscheint eine
solche Gefahr nicht ausgeschlossen (vgl. oben I 4). Die Strafkammer
weist allerdings mit Recht darauf hin, dass eine Gefahrenprognose, die
ohne konkreten Bezug auf die Person des Betroffenen letztlich auf im
Grunde statistische Erwägungen („fast
regelhaft“) gestützt ist, nicht ausreicht (zur
insoweit identischen Prognose im Rahmen von §§ 66 ff.
StGB BGHSt 50, 121, 130 f. m.N.; vgl. auch Hanack in LK 11. Aufl. vor
§ 61 Rdn. 122 m.N.). Die Strafkammer setzt sich jedoch nicht
damit auseinander, hatte von ihrem Standpunkt aus auch keine
Veranlassung dazu, dass während der vorläufigen
Unterbringung des Beschuldigten das Bezirksklinikum dem Amtsgericht
mitgeteilt hat, dass „die psychische Erkrankung des
Beschuldigten trotz des … stark kontrollierten 'Settings'
… des Maßregelvollzugs immer wieder in eigen- und
fremdgefährliche Situationen eskaliere“. Dieser
Hinweis auf die Fremdgefährlichkeit könnte ein Indiz
für Aggressivität sein. Hiermit wird sich die neu zur
Entscheidung berufene Strafkammer auseinanderzusetzen haben.
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2. Der Beschuldigte bedrohte den Gerichtsvollzieher, um
Pfändungsmaßnahmen zu verhindern. Dies spricht nicht
nur für versuchte Nötigung, sondern für
versuchte Erpressung (vgl. auch BGHR StGB § 253 Abs. 1
Bereicherungsabsicht 8 für den Fall der Bedrohung des vom
Gläubiger beauftragten Rechtsanwalts, damit dieser die
Aufhebung angebrachter Pfändungen veranlasst; für die
Bedrohung des vom Gläubiger beauftragten Gerichtsvollziehers,
der Pfändungsmaßnahmen abbrechen soll, kann nichts
anderes gelten); wäre von Bedrohung mit gegenwärtiger
Gefahr auszugehen (vgl. hierzu BGHR StGB § 255 Drohung 9; BGH
NStZ-RR 1998, 135), käme sogar räuberische Erpressung
in Betracht (BGH, Beschl. vom 3. Januar 1997 - 3 StR 545/96, insoweit
in BGHR StGB § 253 Abs.1 aaO nicht abgedruckt). Die irrige
Annahme eines Anspruchs auf Abbruch der Pfändungen
ließe die für eine Erpressung erforderliche Absicht
rechtswidriger Bereicherung nicht entfallen, wenn dieser Irrtum auf die
zur Schuldunfähigkeit führende Krankheit
zurückgeht (BGHSt 3, 287, 289; 10, 355, 357; BGH NStZ 1991,
528; BGH NStZ-RR 2003, 11 m.w.N.), und wäre im
Übrigen im Rahmen der Prüfung von § 63 StGB
wegen einer solchen Tat ohne Bedeutung (BGH NStZ-RR aaO m.w.N.). All
dies bedarf aber sowohl näherer Feststellungen zu den
Einzelheiten der Pfändung und insbesondere dazu, ob damit zu
rechnen ist, dass der Beschuldigte sich weiterhin mit Drohungen auf
Kosten anderer zu bereichern versuchen wird. Dabei könnte ins
Gewicht fallen, dass er vor einigen Jahren, damals noch als
schuldfähig angesehen, wegen versuchter Erpressung bestraft
werden musste. Er hatte nach einem verlorenen Prozess von seinem
damaligen Rechtsanwalt und dessen Eltern mit - freilich nicht gegen
Leib oder Leben gerichteten - Drohungen die Zahlung eines
sechsstelligen Betrages an sich erzwingen wollen. Auch seine im
vorliegenden Verfahren gemachte Angabe, er habe die Eltern des
Gerichtsvollziehers aufgesucht, weil er diesen „in
Regress“ nehmen wollte, könnte in diesem
Zusammenhang Bedeutung gewinnen.
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IV.
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Nach alledem kann das angefochtene Urteil zwar keinen Bestand haben,
eine rechtlich tragfähige Begründung einer
Unterbringungsanordnung erscheint jedoch nicht ausgeschlossen. Die
Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die
jeweils beim Senat beantragte Ablehnung der von der Staatsanwaltschaft
begehrten Unterbringung (§ 354 Abs. 1 StPO; vgl. BGH NStZ-RR
2006, 338, 339) und die Aufhebung des Unterbringungsbefehls (§
126a Abs. 2 i.V.m. § 126 Abs. 3 und § 120 StPO) durch
den Senat ist daher kein Raum.
Nack Wahl Boetticher
Elf Sander |