BGH,
Beschl. v. 3.12.2002 - 4 StR 432/02
4 StR 432/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
3. Dezember 2002
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3.
Dezember 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bielefeld vom 23. Mai 2002
a) hinsichtlich des Schuldspruchs im Fall B II der
Urteilsgründe dahin geändert, daß der
Angeklagte insoweit nur der Nötigung schuldig ist;
b) in den übrigen Schuldsprüchen (B I der
Urteilsgründe) und
c) im gesamten Rechtsfolgenausspruch
mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in vier Fällen, davon in einem
Fall in nicht geringer Menge, sowie wegen Freiheitsberaubung in
Tateinheit mit Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur
Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil richtet sich die
Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügt.
1. Das Rechtsmittel hat - wie auch der Generalbundesanwalt in seiner
Antragsschrift ausgeführt hat - mit der auf einen
Verstoß gegen § 258 StPO gestützten
Verfahrensrüge insoweit Erfolg, als es die
Schuldsprüche hinsichtlich der
Betäubungsmitteldelikte (B I der Urteilsgründe) und
den gesamten Strafausspruch betrifft.
Das Landgericht ist nach dem letzten Wort des Angeklagten erneut in die
Beweisaufnahme eingetreten und hat dessen persönliche
Verhältnisse erörtert. Danach haben der Staatsanwalt
und der Verteidiger Bezug auf ihre bereits gestellten Anträge
genommen. Dem Angeklagten ist entgegen § 258 Abs. 2 und 3 StPO
das letzte Wort nicht nochmals erteilt worden. Dies rügt die
Revision zu Recht. Ein Fall, in dem die erneute Einräumung der
Gelegenheit zum letzten Wort ausnahmsweise entbehrlich sein oder in dem
das Urteil auf dem Verfahrensfehler nicht beruhen kann (vgl. BGHR StPO
§ 258 Abs. 3 Wiedereintritt 8 m.w.N.), liegt hier, soweit es
um die Schuldsprüche wegen der vom Angeklagten bestrittenen
Betäubungsmitteldelikte und den gesamten Rechtsfolgenausspruch
geht, nicht vor.
Hinsichtlich der Verurteilung im Fall B II der Urteilsgründe
führt der Verfahrensverstoß allerdings nur zur
Aufhebung des Strafausspruchs, weil der Schuldspruch auf ihm nicht
beruhen kann (vgl. BGHSt 21, 288, 290; BGH NStZ 1996, 612; 1999, 426).
Der Angeklagte hat den insoweit festgestellten Sachverhalt glaubhaft
eingestanden [UA 16]; sein Geständnis ist zudem durch die
Angaben des früheren Mitangeklagten und die Bekundungen des
Geschädigten bestätigt worden.
2. Allerdings bedarf es bezüglich dieser Tat einer
Schuldspruchänderung, da der festgestellte Sachverhalt die
Verurteilung wegen tateinheitlich mit der Nötigung begangener
Freiheitsberaubung nicht trägt.
Nach den Urteilsfeststellungen wollte der Angeklagte den Zeugen
Ö. , der bei der Polizei belastende Angaben zu seinen
Betäubungsmittelgeschäften gemacht hatte, zum
Widerruf dieser Aussage veranlassen. Er erreichte, daß
Ö. freiwillig mit ihm und dem früheren Mitangeklagten
eine Autofahrt zu einem Waldgebiet unternahm. Im Wald, in den ihm
Ö. ebenfalls freiwillig gefolgt war, warf er ihn zu Boden,
kniete sich auf dessen Oberkörper, fixierte dessen
Hände mit seinen Knien und schlug dessen Kopf dreimal auf den
Waldboden; dabei fragte er schreiend, warum Ö. ihn
"verpfiffen" habe [UA 10]. Nach einem kurzen Wortwechsel erhoben sich
beide und gingen zum Fahrzeug zurück, wo sich Ö. nach
Vorhalt der Vernehmungsniederschrift bereit erklärte, seine
Aussage zurückzunehmen, was er am folgenden Tag
zunächst auch tat.
Dieses Verhalten des Angeklagten erfüllt den Tatbestand der
Freiheitsberaubung nicht. Zwar setzt dieser keine bestimmte Dauer der
Entziehung der persönlichen Bewegungsfreiheit voraus; es
reicht vielmehr grundsätzlich auch eine nur
vorübergehende Einschränkung aus (vgl. BGHSt 14, 314,
315; BGH, Urt. v. 15. Mai 1975 - 4 StR 147/75). Andererseits stellt
nicht jedes auch nur kurzzeitige Festhalten des Gegners im Verlauf
einer körperlichen Auseinandersetzung, das - wie hier - zu
einer zeitlich nur unerheblichen Beeinträchtigung der
Fortbewegungsfreiheit führt, eine Freiheitsberaubung im Sinne
des § 239 StGB dar. Der Senat ändert, da in der
erneuten Hauptverhandlung weitere Feststellungen nicht zu erwarten
sind, den Schuldspruch entsprechend ab.
3. Im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils
aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten aufgedeckt.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin,
daß die Bestimmung der Tagessatzhöhe auch dann
erforderlich ist, wenn gemäß § 53 Abs. 2
Satz 1 StGB aus einer oder mehreren Einzelfreiheitsstrafen und einer
Einzelgeldstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist (vgl. BGHSt
30, 93, 96).
Tepperwien Maatz Athing Solin-Stojanovic Sost-Scheible |