BGH,
Beschl. v. 3.3.2009 - 3 StR 47/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 47/09
vom
3. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3.
März 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hildesheim vom 30. Oktober 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung von
Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung sowie wegen Körperverletzung mit
Todesfolge in Tateinheit mit schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das
Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das
Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1
Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte am Nachmittag des 21.
November 2007 aus Verärgerung der ca. vier Jahre und acht
Monaten alten Tochter Leonie seiner Lebensgefährtin mit der
rechten Hand so heftig gegen die linke Wange, dass der
Schläfenmuskel zertrümmert wurde. Am
2
- 3 -
26. November 2007 gegen 11.00 Uhr badete er das Mädchen, das
sich eingenässt hatte. Dabei ärgerte er sich aus
ungeklärten Umständen derart stark über das
Kind, dass er es ein weiteres Mal bestrafen und ihm wehtun wollte.
Deshalb ergriff er es, hob es aus der Wanne und schüttelte es
sehr heftig, wobei ihm klar war, dass das Schütteln den Tod
verursachen könnte. Diese Misshandlung führte zu
Läsionen von Brückenvenen sowie zu Einblutungen in
die Schädelhöhle (subdural) und unter die weiche
Hirnhaut (subarachnoidal). Außerdem wurde die Hirnsubstanz
selbst erheblich geschädigt und die Gehirnflüssigkeit
verschoben. Leonie verstarb an den Folgen der erlittenen Verletzungen.
Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, das Kind niemals
misshandelt zu haben; er halte es für wahrscheinlich, dass es
sich selbst verletzt oder einen Unfall erlitten habe.
3
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat sich die Strafkammer
hinsichtlich der Todesursache dem Gutachten des rechtsmedizinischen
Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat
ausgeführt, Leonie sei an zentraler Lähmung infolge
exzessiver Hirndruckzunahme mit Hirnstammeinklemmung und weitgehender
Komprimierung des Hirnkammersystems, letztlich einhergehend mit einer
erheblichen intravitalen Sauerstoffmangelversorgung des Gehirns
(Hypoxie) und daraus resultierenden ausgedehnten ischämischen
Nervenzelluntergängen im gesamten Gehirn verstorben. Da nach
den durchgeführten Untersuchungen als Ursache der
Sauerstoffmangelversorgung des Gehirns krankheitsbedingte Geschehnisse
ausschieden, sei die exzessive Hirnschwellung im Rahmen eines globalen
Ödems, die letztlich zum Tode geführt habe, im
Zusammenhang mit der Blutung unter die harte Hirnhaut (subdural) als
Folge eines Traumas oder sogar mehrerer Traumata anzusehen. Die Blutung
im Bereich der harten Hirnhaut sei aufgrund des Nachweises von Eisen
mindestens drei Tage vor dem
4
- 4 -
Tode entstanden. Dabei sei als Todeszeitpunkt das Abstellen der den
Kreislauf erhaltenen Maschinen am 29. November 2007 um 00.30 Uhr (UA S.
14, 19) anzusehen. Todesursächlich geworden sei eine nicht
unfallbedingte, massive Gewalteinwirkung auf den Kopf des Kindes, die
gegen Mittag des 26. November 2007 stattgefunden haben könne
(UA S. 21); andere plausible Erklärungen seien nach dem
Verletzungsbild auszuschließen. Ein Entstehen der
Kopfverletzungen bei dem Vorfall vom 21. November 2007 scheide aus,
weil zwischen der Gehirnschädigung und dem Koma, in welches
das Kind gefallen sei, nur ein sehr kurzer Zeitraum habe liegen
können. Insbesondere die Einblutungen im Augapfel und Sehnerv
sprächen für ein kräftiges
Schütteln als Auslöser der Verletzungen.
Diese Beweiswürdigung enthält einen nicht
auflösbaren Widerspruch. Einerseits soll die massive
Gewalteinwirkung auf den Kopf des Kindes, welche zu der Blutung im
Bereich der harten Hirnhaut führte, mindestens drei Tage vor
dem Tode, also vor dem 26. November 2007 um 00.30 Uhr stattgefunden
haben. Andererseits soll es möglich sein, dass die
todesursächlichen Kopfverletzungen am 26. November 2007 kurz
vor Mittag verursacht wurden. Die unterschiedlichen
Äußerungen des Sachverständigen zum
Zeitpunkt der Gewaltausübung lassen sich anhand der
Urteilsgründe nicht miteinander in Einklang bringen. Der vom
Landgericht unter Würdigung weiterer Indizien festgestellte
Tatzeitpunkt und Geschehensablauf ist daher nicht tragfähig
begründet.
5
Der Fehler in der Beweiswürdigung zum Vorfall vom 26. November
2007 erfasst auch die Verurteilung wegen der Tat vom 21. November 2007.
Da in beiden Fällen innerhalb eines kurzen Zeitraums massive
Gewalt gegen den Kopf des Mädchens ausgeübt wurde,
kann der Senat nicht sicher ausschließen,
6
- 5 -
dass bereits die Verletzungshandlung vom 21. November 2007
ursächlich oder mitursächlich für den Tod
von Leonie war.
Für den Fall, dass sich der neue Tatrichter erneut von der
Täterschaft des Angeklagten überzeugt, sieht der
Senat Anlass zu folgenden Hinweisen: Das Tatbestandsmerkmal "roh
misshandelt" in § 225 Abs. 1 StGB erfordert eine
sorgfältige Darstellung nicht nur der objektiven Tatseite,
sondern auch der Gesinnung des Täters. Zur Prüfung
der Frage, ob gegebenenfalls die Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten infolge eines Affekts erheblich vermindert war, empfiehlt
sich die Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen.
Bei der Strafzumessung sollten Formulierungen vermieden werden, die
besorgen lassen könnten, Tatbestandsmerkmale seien
strafschärfend berücksichtigt worden.
7
Becker Miebach von Lienen
Sost-Scheible Schäfer |