BGH,
Beschl. v. 3.5.2000 - 1 StR 125/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 125/00
vom
3. Mai 2000
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Mai 2000
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm
vom 5. Januar 2000, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen
aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten ihres Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei
Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die gegen dieses
Urteil gerichtete Revision der Angeklagten hat mit der
Sachrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen hat die Angeklagte im Zeitraum April bis Juli
1999 zusammen mit ihrem Lebenspartner in der gemeinsamen Wohnung etwa
1,3 kg Haschisch und Marihuana aufbewahrt. Ende Juli 1999 haben dann
beide mit dem von der Angeklagten gesteuerten Wagen über 16 kg
Marihuana aus den Niederlanden nach Deutschland verbracht.
Sämtliche Rauschgifte wollten sie gewinnbringend
weiterverkaufen.
In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht hat die Angeklagte sich
dahingehend eingelassen, sie sei bei dem Erwerbsvorgang in den
Niederlanden und beim Verstecken des Rauschgiftes im Wagen nicht
zugegen gewesen. Sie habe ihr Fahrzeug dann aber in der Kenntnis,
daß sie eine nicht geringe Menge Rauschgift
mitführe, von Holland nach Deutschland gefahren, da ihr
Lebenspartner über keine Fahrerlaubnis verfüge.
Ansonsten habe sie mit seinen legalen oder illegalen
Geschäften nichts zu tun. Weitergehende Angaben zur Sache hat
die Angeklagte abgelehnt.
Die Kammer hat die Einbindung der Angeklagten in beide
Rauschgiftstraftaten ihres Lebensgefährten u.a. aus einem
sogenannten Teilschweigen hergeleitet. Der Umstand, daß die
Angeklagte sich auf die dargelegte Einlassung beschränkt habe
und zu weitergehenden Angaben nicht bereit gewesen sei, "also lediglich
Teileinlassungen" abgegeben habe, sei "ein massiver Hinweis darauf,
daß sie Belastendes zu verschweigen" habe.
Diese Würdigung des Aussageverhaltens der Angeklagten
hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Der Grundsatz, daß niemand im Strafverfahren gegen sich
selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist
notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. So steht es dem
Beschuldigten frei, sich zu äußern oder nicht zur
Sache auszusagen, §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 243 Abs. 4
Satz 1 StPO. Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch,
so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (BGHSt 32, 140,
144; 38, 302, 305; BGH NJW 2000, 1426; Miebach NStZ 2000, 234, 235).
Allerdings darf bei einer Teileinlassung des Angeklagten sein Schweigen
zu einzelnen Fragen gegen ihn verwertet werden (BGHSt 20, 298, 300 m.
Anm. Meyer JR 1966, 352; BGHSt 38, 302, 307; BGH bei Dallinger MDR
1968, 203; Hanack in LR 25. Aufl. § 136 Rdn. 27; ders. auch JR
1981, 433). Durch die Einlassung macht sich der Angeklagte freiwillig
zum Beweismittel (BGH NJW 1966, 209; Beulke, Strafprozeßrecht
4. Aufl. Rdn. 495). Sein teilweises Schweigen bildet dann einen
negativen Bestandteil seiner Aussage, die in ihrer Gesamtheit der
freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO)
unterliegt (Wessels JuS 1966, 172). Eine Teileinlassung in diesem Sinne
ist jedoch nicht gegeben, wenn der Angeklagte seine Schuld lediglich
grundsätzlich bestreitet (BGHSt 38, 302, 307).
Mithin kann hier allein in dem pauschalen Bestreiten, "sie habe an-
sonsten mit legalen oder illegalen Geschäften des
Mitangeklagten nichts zu tun", keine Teileinlassung gesehen werden. Die
darüber hinausgehende Einlassung, sie habe in Kenntnis,
daß Betäubungsmittel in den Niederlanden erworben,
dann nach Deutschland eingeführt und hier verkauft werden
sollen, das Fahrzeug mit der nicht geringen Menge geführt, ist
hinsichtlich der zweiten Tat (Einfuhr der 16 kg Marihuana und
Handeltreiben hiermit) sicherlich eine Teileinlassung, so daß
ihre Ablehnung, weitere Angaben zu machen, bei dieser zweiten Tat der
Beweiswürdigung unterliegt.
Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob aufgrund dieser Aussage
auch hinsichtlich der ersten Tat im Zusammenhang mit den in der Wohnung
sichergestellten Rauschgiften eine Teileinlassung vorliegt und insoweit
ihr Schweigen auf weitere Fragen zu ihrem Nachteil gewertet werden kann.
Die Tatsache, daß ein Angeklagter sich überhaupt -
zu einer Tat - zur Sache einläßt, führt
nicht dazu, daß sein Schweigen zu anderen Taten indiziell
gegen ihn verwertet werden kann (BGHSt 32, 140, 145 m. Anm. Volk NStZ
1984, 377 und Kühl JuS 1986, 115). Werden einem Angeklagten
zwei Taten zur Last gelegt und will er sich nur zu einer davon
einlassen, so darf die Bewertung diese Verhaltens nicht von der oft mit
Zufälligkeiten verbundenen Frage abhängen, ob die
Taten getrennt oder gemeinsam angeklagt bzw. verhandelt worden sind.
Bei der Prüfung, ob von einem (verwertbaren) Teilschweigen
oder einem (nicht verwertbaren) vollständigen Schweigen
hinsichtlich des zweiten Tatvorwurfs auszugehen ist, ist entscheidend,
ob die Tatvorwürfe lediglich eine oder mehrere Taten im
prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO
betreffen (so auch Schlüchter in SK-StPO § 261 Rdn.
39).
Hier stellen die in Tatmehrheit im Sinne des § 53 StGB
zueinander stehenden Verstöße gegen das BtMG
unterschiedliche prozessuale Taten dar. Eine getrennte
Würdigung ist durchaus möglich, zumal es zu keiner
Vereinigung der beiden Rauschgiftmengen (vgl. BGHR BtMG § 29
Bewertungseinheit 3 und 9) gekommen ist.
Hinsichtlich der selbständigen Tat bezüglich der 1,3
kg Rauschgift in der Wohnung lag mithin ein vollständiges
Schweigen der Angeklagten vor, das die Kammer zu Unrecht zum Nachteil
der Angeklagten gewertet hat.
Wenngleich das Landgericht in seiner Beweiswürdigung eine
Vielzahl von Indizien für die Beteiligung der Angeklagten an
den beiden Taten nennt, kann ein Beruhen des Urteils auf dem
aufgezeigten Fehler nicht ausgeschlossen werden.
Vielmehr führt der Fehler auch zur Aufhebung des Urteils
hinsichtlich der zweiten Tat bezüglich der 16 kg Marihuana.
Zwar ist die Kammer rechtsfehlerfrei bereits aufgrund der insoweit
geständigen Einlassung von einer täterschaftlich
begangenen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge ausgegangen (vgl. BGHSt 38, 315, 317 ff.; BGH NStZ 1993, 138).
Die Täterschaft bei der Einfuhr von Betäubungsmitteln
bedingt aber nicht notwendig auch hinsichtlich des darin zugleich
liegenden Handeltreibens die Behandlung als Täter; vielmehr
bedarf es der gesonderten Abgrenzung der (Mit-)
Täterschaft zur Beihilfe (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1
Nr. 1 Handeltreiben 12; BGH StV 1999, 427). Insoweit spielen die
Feststellungen der Kammer zur Einbindung der Angeklagten in die beide
Taten betreffenden Aktivitäten ihres Lebensgefährten
eine Rolle. Bei der diesbezüglichen Beweiswürdigung
hat die Kammer zu Unrecht auch das vollständige Schweigen der
Angeklagten zur ersten Tat berücksichtigt.
Vors. Richter am BGH
Dr. Schäfer ist in Urlaub
und kann daher nicht
unterschreiben.
Maul Maul Granderath
Nack Wahl |