BGH,
Beschl. v. 3.5.2000 - 2 StR 629/99
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 629/99
vom
3. Mai 2000
in der Strafsache gegen
wegen Betruges u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3. Mai 2000
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Gera vom 3. September 1999 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwei
Fällen, versuchten Betrugs in einem Fall, Untreue in 35
Fällen und Unterschlagung in einem Fall zu der
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt
sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die
Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Sachrüge
führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im
übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
II.
Die Maßregelanordnung der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus hält der rechtlichen
Prüfung nicht stand. Die bisherige Begründung des
Landgerichts belegt weder, daß bei dem Angeklagten eine s c h
w e r e andere seelische Abartigkeit besteht, noch, daß in
deren Folge die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der
Begehung der Untreue in den Fällen 3 - 37 e r h e b l i c h
vermindert war.
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, der
Angeklagte leide an einer "histrionisch
(hysterisch)-narzißtischen
Persönlichkeitsstörung im Sinne des ICD 9 Nr. 301/8."
Diese Bewertung leitet es aus folgenden Merkmalen und
Wesenszügen des Angeklagten her:
1. Er sei übertrieben besorgt um die Wirkung seines
Äußeren, wobei auch eine Vernachlässigung
seines Aussehens und seiner Körperpflege während der
gesamten Hauptverhandlung eingeschlossen sei. Seine Haare seien fettig
und strähnig gewesen, sein Zahnstatus ersichtlich desolat.
2. Er fühle sich unwohl in Situationen, in denen er nicht im
Mittelpunkt stehe.
3. Er zeige rasch wechselnde und oberflächliche Emotionen auf
Beziehungen.
4. Er sei stark egozentrisch, sein Handeln sei auf unmittelbare
Befriedigung ausgerichtet; Frustrationen durch Belohnungsaufschub
ertrage er schwer, sie führten unter Umständen zu
rastlosen Aktivitäten, um rasch zu mehr Geld zu kommen.
5. Er betreibe eine Dramatisierung bezüglich der eigenen
Person sowie theatralisches Verhalten.
6. Er sei erhöht kränkbar.
7. Ihm fehle Einfühlungsvermögen und Bezugnahme auf
andere.
8. Er nutze zwischenmenschliche Beziehungen aus, um mit fremder Hilfe
eigene Ziele zu erreichen. Dabei gebe es Überschneidungen zur
narzißtischen Persönlichkeitsstörung.
Dieses "Krankheitsbild" sei durch anlagebedingte und sonstige Faktoren
entstanden. Der Angeklagte habe eine normale Intelligenz, eine gute
Auffassungsgabe, eine besondere Antriebslage und hohe
Wahrnehmungsfähigkeit. Er komme gut allein zurecht und setze
sich hohe Ziele. Erreiche er diese Ziele nicht, führe das zu
Frustrationen und einem pathologischen Narzißmus. Auf solche
Situationen reagiere er seit seiner Jugend mit
Lügengeschichten, um sein Selbstwertgefühl zu
stabilisieren.
Diese "psychischen Abnormitäten" wirkten sich auch organisch
aus. In Belastungssituationen sei es seit 1983 wiederholt zu
psychischen Dekompensationen gekommen, die im Sinne einer Konversion zu
einer schlaffen Beinlähmung ohne organische Grundlage
führe, so daß er bei deren Auftreten auf den
Rollstuhl angewiesen sei. Dieses Phänomen stelle er
unbewußt in seinen Dienst.
Das Zusammenwirken dieser Symptome wertet das Landgericht als s c h w e
r e andere seelische Abartigkeit.
Dieser rechtlichen Wertung kann der Senat jedoch nicht folgen. Der
Angeklagte weist zwar gewisse psychische Auffälligkeiten auf.
Diese rechtfertigen jedoch weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit die
Bewertung als s c h w e r e andere seelische Abartigkeit. Eine Relevanz
der in Ziffern 1 und 2 mitgeteilten Befunde für die Annahme
einer schweren anderen seelischen Abartigkeit ist nicht zu erkennen. Im
übrigen handelt es sich überwiegend um Eigenheiten
oder Verhaltensweisen, die sich Täter eines Betrugs oder einer
Untreue üblicherweise zunutze machen, um
leichtgläubige Tatopfer zum eigenen Vorteil zu
schädigen. Von Gewicht könnte allenfalls die als
Konversionserscheinung gedeutete Beinlähmung sein, die
indessen im Zusammenhang mit den hier zu beurteilenden Taten nicht
festgestellt wurde. Vielmehr entfaltete der Angeklagte zu deren
Begehung eine rege europaweite Reisetätigkeit.
Die vom Landgericht beschriebene
Persönlichkeitsstörung hat auch keine e r h e b l i c
h e Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur
Folge. Für die Fälle 1, 2, 38 und 39 hat das
Landgericht dies selbst nicht angenommen, weil es sich bei diesen Taten
um mehrstufige und mehraktige Geschehensabläufe gehandelt
habe, bei denen dem Angeklagten noch genügend
Möglichkeiten zum Gegensteuern verblieben seien. Für
die Bankverfügungen in den Fällen 3 bis 37 gilt aber
im Ergebnis nichts anderes. Selbst wenn man die vom Landgericht
beschriebenen psychischen Auffälligkeiten zugrundelegt,
rechtfertigt dies nicht die Annahme, die Steuerungsfähigkeit
des Angeklagten sei jedenfalls bei den technisch gesehen einfach zu
verwirklichenden Bankverfügungen wegen eines "starken inneren
Zwangs" erheblich vermindert gewesen. Dies gilt um so mehr, als ein
Zusammenhang zwischen der als Konversionserscheinung gewerteten
Beinlähmung und der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten bei Begehung der zu beurteilenden Taten bisher nicht
nachvollziehbar festgestellt ist.
Die Klassifizierung der Persönlichkeitsstörung unter
ICD 9 Nr. 301/8
(= ICD 10 F 60.4) rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil sich
allein hieraus weder das Gewicht der Störung ergibt, noch
deren Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit.
Bei der Prüfung, ob bei dem Angeklagten eines der
Eingangsmerkmale des § 20 StGB als Grundlage für eine
erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit vorhanden ist,
hätte das Landgericht schließlich auch mitteilen
müssen, welche Diagnosen bereits früher wiederholt zu
langen Aufenthalten des Angeklagten in geschlossenen Abteilungen
psychiatrischer Krankenhäuser führten, so von Februar
1972 bis Dezember 1976 in Lüneburg und von Mitte 1979 bis
Mitte 1980 im Bezirkskrankenhaus Haar.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß der neue Tatrichter weitere
Umstände feststellen kann, die bei der gebotenen
Gesamtwürdigung die Annahme rechtfertigen, die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei der Tatbegehung im
Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen.
Hierüber muß daher neu verhandelt und entschieden
werden.
III.
Da sich die fehlerhafte Annahme einer erheblichen Verminderung der
Schuldfähigkeit auch auf die Strafzumessung auswirkt
(§§ 21, 49 Abs. 1 StGB), kann der Strafausspruch
insgesamt nicht bestehen bleiben. Er muß daher mit den
zugehörigen Feststellungen ebenfalls aufgehoben werden, damit
der neue
Tatrichter die zu verhängenden Einzelstrafen und die
Gesamtfreiheitsstrafe umfassend aufeinander abstimmen kann.
Jähnke Detter Bode
Otten Rothfuß |