BGH,
Beschl. v. 3.11.2004 - 2 StR 295/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 295/04
vom
3. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 2. Strafsenat des Bundesger ichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am
3. November 2004
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Wiesbaden vom 5. März 2004 im Strafausspruch mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wir d die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts
zur ückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verwor fen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer
Frei-
heitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Nach den
Feststellungen hat die Ange-
klagte am 4. Dezember 2002 auf der Toilette ihrer Arbeitsstelle ein
Kind gebo-
ren und dieses erstickt. Die Schwur gerichtskammer geht davon aus,
daß bei
der Angeklagten im Hinblick auf ihre Borderline-
Persönlichkeit im Zusammen-
hang mit einer Polytoxikomanie und deren hirnorganischen Folgen die
Voraus-
setzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit
(§ 21 StGB) vorlagen.
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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Angeklagte mit ihrer
auf die
Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten
Revision. Das Rechts-
mittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2
StPO, soweit es sich gegen
den Schuldspruch richtet. Keinen Bestand haben kann aber der Strafaus-
spruch.
Das Landgericht hat strafschärfend gewertet:
"Auf der anderen Seite war jedoch zu Lasten der Angeklagten
nicht zu
übersehen, daß sie durch ihr Beharren auf der ihr
genehmen, aber keineswegs
zu billigenden Lebensführung die Tatsituation selbst
heraufbeschworen hat
und auch bei einer im unteren Normbereich liegenden Intelligenz die
hieraus
entstehenden Gefahren hätte erkennen können. Sie hat
sich nicht nur den
Mahnungen und Vorhalten ihrer Eltern verschlossen, sondern deren
Fürsorge
schlecht honoriert. Weiter gehend scheint sie auch durch das
Tatgeschehen
und die erlittene Untersuchungshaft nicht allzu sehr beeindruckt worden
zu
sein, da sie alsbald in den alten Lebenszuschnitt derart
zurückfiel, daß sie den
Außervollzugsetzungsauflagen des Amtsgerichts
zuwiderhandelte, wiederum
sich keinerlei Verhütungsmaßnahmen unterzog und auch
die erforderliche
Kontrolle durch die Eltern unterlief, so daß die
psychiatrische Sachverständige
ihr zunächst eine negative Sozialprognose bescheinigen
mußte. Erst auf mas-
siven Druck von Seiten der Staatsanwaltschaft war sie bereit, sich
wenigstens
ein verhütendes Implantat einsetzen zu lassen. Die Art, wie
sich die Angeklag-
te positiven Einflüssen zu widersetzen versteht,
läßt angesichts ihrer Persön-
lichkeitsstruktur auch für die Zukunft besorgen, das schon im
Vorfeld der Tat
erkennbar e soziale Abgleiten werde sich fortsetzen und zu neuer
Kriminalität
führen."
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Diese Strafzumessungsgründe sind nicht frei von
Rechtsfehlern.
Der Senat kann offen lassen, ob die
Strafzumessungsgründe besorgen
lassen, daß das Landgericht rechtsfehlerhaft
Umstände der allgemeinen Le-
bensführung bei der Strafzumessung berücksichtigt hat
(vgl. dazu BGH StV
2001, 228; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. Rdn. 37 a zu
§ 46 m.w.N.). Rechts-
fehler haft war es jedenfalls, der Angeklagten ihr Ver halten nach der
Tat in vol-
lem Umfang strafschärfend anzulasten.
Tatmodalitäten und Tatmotive dürfen einem
Angeklagten nur dann straf-
schär fend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar sind,
nicht aber, wenn
ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen
Beein-
trächtigung liegt. Ihm dürfen
demgemäß solche Umstände nicht
strafschärfend
angelastet werden, die unverschuldete Folgen dieses Zustands
darstellen. Al-
lerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich
vermindert schuldfähige
Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer
konkreten Ausgestaltung verant-
wortlich, so daß für eine strafschärfende
Verwertung durchaus Raum bleibt,
jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (vgl.
Tröndle/Fischer , StGB
52. Aufl. § 46 Rdn. 28; 33 m.w.N.; st. Rspr. vgl. u.a. BGHSt
16, 360, 364; BGH
NStZ 1992, 538; NStZ-RR 2003, 104, 105). Für einem Angeklagten
strafschär-
fend angelastetes Nachtatverhalten kann nichts anderes gelten.
Die Ausführungen des Landgerichts zum Ver halten der
Angeklagten
nach der Tat, vor allem nach der Außervollzugsetzung des
Haftbefehls, lassen
besorgen, daß das Landgericht dabei die psychische Verfassung
der Ange-
klagten außer acht gelassen hat. Nach den Feststellungen
weist die Angeklag-
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te nämlich eine "unreife
Persönlichkeitsakzentuierung" auf, ihre Sichtweise ist
eingeengt, bei ihr handelt es sich um eine
"Borderline-Persönlichkeit". Vieles
spricht dafür, daß die Grundlage des von der Schwur
gerichtskammer straf-
schär fend gewer teten Verhaltens gerade in der Per
sönlichkeit der Angeklagten
zu sehen ist. Es liegt daher nahe, daß ger ade der
psychopathologische Zu-
stand der Angeklagten, der zur erheblichen Minderung ihrer
Schuldfähigkeit
führte, Ursache der vom Landgericht als
schulderhöhend gewerteten Modalitä-
ten des Nachtatverhaltens gewesen ist. In diesem Fall durfte das
Verhalten als
Ausfluß dieser Persönlichkeitsstörung
jedenfalls nicht in vollem Umfang straf-
schär fend gewertet werden.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß
auf diesem Rechtsfehler die
verhängte Strafe ber uht, da die Schwurgerichtskammer gerade
das Nachtat-
verhalten ersichtlich als bestimmend für die Strafzumessung zu
Lasten der An-
geklagten angesehen hat.
Rissing-van
Saan
Detter
Otten
Fischer
Roggenbuck
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