BGH,
Beschl. v. 3.9.2002 - 5 StR 399/02
5 StR 399/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 3. September 2002
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 3. September 2002
beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Braunschweig vom 15. April 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer im
Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen
vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1
StGB) angeordnet. Die mit der Sachrüge begründete
Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
Das Landgericht hat festgestellt, daß der Beschuldigte
während der Strafverbüßung in der
Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel einem Mitgefangenen, den er
für den Urheber ihn ärgernder Gerüchte
hielt, in dessen Zelle mit den Fäusten gegen den Kopf
geschlagen und ihm einen Jochbeinbruch zugefügt hat. Die
Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten war bei Begehung der
vorsätzlichen Körperverletzung "wegen einer
erheblichen, krankhaften, paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem
schizophrenen Formenkreis" (gemeint: aus dem Formenkreis der
Schizophrenie) ausgeschlossen. Die Feststellungen zum Zustand des
Beschuldigten und zu seiner Gefährlichkeit beruhen auf dem
Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen, das im
Einklang mit der Stellungnahme eines Psychiaters steht, der den
Beschuldigten während zweier Aufnahmen in die psychiatrische
Abteilung der Justizvollzugsanstalt Hannover im Laufe des Jahres 2001
behandelte. Der Sachverständige erachtet den
krankheitsuneinsichtigen und daher therapieresistenten Beschuldigten
wegen zu erwartender entsprechender Taten während eines
erneuten "unausweislichen" Krankheitsschubs als für die
Allgemeinheit gefährlich. Daß der
geständige, in der Hauptverhandlung nicht akut von einem Schub
seiner Erkrankung betroffene Beschuldigte seinen Zustand bei der
Begutachtung simuliert hätte, wie er in der Hauptverhandlung
behauptet hat, hält das Landgericht in
Übereinstimmung mit dem Sachverständigen für
widerlegt.
Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten im psychiatrischen
Krankenhaus (§ 63 StGB) hält sachlich-rechtlicher
Prüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts zum
Zustand des Beschuldigten und zu seiner Gefährlichkeit sind
unzureichend. Das Landgericht hat lediglich dürftige
Feststellungen zum Werdegang des Beschuldigten und zu seinen Vorstrafen
getroffen. Die Vorverurteilungen betrafen nach der ohne jegliche
nähere Angabe erfolgten Auflistung wiederholt auch mit
Freiheitsstrafen geahndete Gewalttaten. Zum Zeitpunkt des Ausbruchs der
Krankheit ist nichts festgestellt. Abgesehen von den beiden Aufnahmen
des Beschuldigten in der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt
Hannover werden Erkenntnisse über seinen Zustand und zu seinem
Verhalten während des weiteren Strafvollzugs in der Zeit von
mehr als einem Jahr zwischen Tatbegehung und Hauptverhandlung nicht
mitgeteilt. Daß die Tat auf einen Krankheitsschub des
Beschuldigten zurückging, ist zwar vom
Sachverständigen einigermaßen plausibel
erläutert worden. Danach wäre aber auch eine
Klärung wesentlich, ob frühere, insbesondere nicht
besonders lange zurückliegende Gewalttaten des Beschuldigten
ebenfalls auf seine Krankheit zurückgingen. War dies nicht so,
wäre dies auch bei der vorliegenden Tat kritisch zu
hinterfragen gewesen.
Andernfalls wäre im Verfahren zu prüfen gewesen, ob
eine Wiederaufnahme jener Altverfahren wegen neuer Zweifel an der
damaligen Schuldfähigkeit des Beschuldigten in Betracht zu
ziehen ist. Jedenfalls war eine Unterbrechung der Strafvollstreckung
gemäß § 455 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 StPO in
Betracht zu ziehen, an deren Stelle gegebenenfalls zunächst
eine einstweilige Unterbringung in dieser Sache (§ 126a StPO)
oder eine Unterbringung aufgrund einer zivilrechtlichen Betreuung bzw.
nach landesrechtlichen Unterbringungsregelungen treten könnte.
Letzteres gilt vor dem Hintergrund, daß eine Straftat
während des Strafvollzuges - wie die vorliegende, zudem nicht
überaus gewichtige Anlaßtat - kaum anders als eine
Straftat während der Unterbringung (vgl. BGHR StGB §
62 Verhältnismäßigkeit 4 und 5; §
63 Gefährlichkeit 26; BGH, Beschl. vom 20. Dezember 2001 - 4
StR 540/01 - und vom 2. Juli 2002 - 1 StR 194/02) nur mit besonderer
Zurückhaltung als Grundlage für eine Anordnung nach
§ 63 StGB heranzuziehen ist. Insbesondere wäre so das
vom Landgericht gegen eine Aussetzung der Maßregel
(§ 67b StGB) herangezogene Argument nicht zu
gewährleistender vollständiger ärztlicher
Behandlung während der Strafhaft zu entkräften (vgl.
auch BGH NStZ 2002, 367).
Insgesamt läßt das bisherige Urteil die für
eine derart einschneidende Maßregel wie die nach §
63 StGB gebotene Gründlichkeit weitgehend vermissen. Eine
umfassende neue tatrichterliche Prüfung erscheint
unerläßlich.
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