BGH,
Beschl. v. 3.9.2004 - 1 StR 359/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 359/04
vom
3. September 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. September 2004
gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Traunstein vom 20. April 2004 im Strafausspruch aufge-
hoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer
des Landgerichts zurückver wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verwor fen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (§ 212
Abs. 1
StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die
hiergegen gerich-
tete, auf die Sachrüge gestützte Revision des
Angeklagten hat im Strafaus-
spruch Erfolg. Zum Schuldspr uch ist sie unbegründet im Sinne
von § 349
Abs. 2 StPO.
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I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gab es zwischen dem An-
geklagten und seiner Lebensgefährtin vor der Tat schon
über Stunden sich
hinziehende Streitigkeiten. Als der Angeklagte schließlich
die Wohnung verlas-
sen wollte, brachte seine Lebensgefährtin ihn von hinten zu
Fall. Er fiel mit der
rechten Hand in einen am Boden befindlichen Werkzeugkasten. Sie
stürzte
ebenfalls. Wütend stieß der Angeklagte mit vier
wechselnden Werkzeugen 48
mal aus wechselnden Stellungen mit großer Wucht auf die Frau
ein, vorwie-
gend in den Brust- und Halsber eich. Das Opfer verstarb unmittelbar
nach der
Tat an Kr eislaufversagen. Der Angeklagte hatte zur Tatzeit eine
Blutalkohol-
konzentration von 2,68 o/oo.
Nach der Tat fühlte er den Puls des Opfers und spürte
nichts mehr. Er
verständigte die Polizei per Notruf und erklärte, er
glaube, er habe seine Frau
umgebracht. Danach legte er dem Opfer einen Hammer quer über
den Ober-
bauch, mit dem Stiel in die rechte Hand.
2. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe nur noch "rot"
gesehen, er sei so explodiert, daß er nicht mehr
gewußt habe, was er mache.
Ihm seien fünf bis sechs Stiche erinnerlich. Er glaube auch,
nur ein Werkzeug
benutzt zu haben. Seine Erinnerung setze erst wieder ein, als er
über der Frau
gekniet und das Blut gesehen habe.
3. Die sachverständig beratene Strafkammer hat im
Anschluß an den
Sachverständigen eine Aufhebung oder Beeinträchtigung
der Schuldfähigkeit
des Angeklagten zur Tatzeit ausgeschlossen. Eine solche habe weder aus
al-
koholbedingten noch aus anderen Gründen vorgelegen (UA S. 8).
Der Sach-
verständige hat zunächst eine alkoholbedingte
krankhafte seelische Störung
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und sodann eine affektive tiefgreifende
Bewußtseinsstörung verneint. "Zwar sei
beim Geschehen ein Affekt beteiligt" gewesen. Von einer erheblich ver
minder-
ten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit könne jedoch
nicht ausgegangen wer-
den. Die Kammer nimmt einen "unbeherrschten Gefühlsausbruch"
an und stellt
bei ihrer eigenen Bewertung auf das zielgerichtete Nachtatverhalten ab.
II.
Die Erwägungen, mit denen sie eine erhebliche Verminderung der
Steuer ungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne von §
21 StGB verneint, halten
rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Der Sachverständige und auch die Strafkammer haben die in
Betr acht
kommenden Eingangsmerkmale des § 20 StGB jeweils isoliert
betrachtet und
abgehandelt. Sie haben es verabsäumt, den beteiligten Affekt
bzw. den unbe-
her rschten Gefühlsausbruch zusammen mit der Alkoholisierung
des Angeklag-
ten in einer Gesamtbetrachtung zu würdigen. Eine solche
Gesamtwürdigung
war geboten, weil beide Faktoren im Zusammenwirken hier eine erhebliche
Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von §
21 StGB bewirkt haben
können (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehr ere 3).
2. Sachverständiger und Strafkammer haben bei der
Prüfung der
Schuldfähigkeit auch den Tatablauf in ihre Erwägungen
nicht hinreichend ein-
bezogen.
Auf das sinnlose Zufügen von 48 Stichen mit vier wechselnden
Werk-
zeugen gehen sie dabei nicht ein. Dieser wesentliche Gesichtspunkt
hätte in
die Gesamtwürdigung mit einbezogen werden müssen. Das
Unter lassen stellt
einen Erörterungsmangel dar (vgl. BGHR StGB § 20
Bewußtseinsstörung 9).
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Die Kammer äußert sich in den Urteilsgr
ünden nicht dazu, ob sie die
vom Angeklagten behauptete Erinnerungslücke bei der Tat
für glaubhaft hält
oder nicht. Der Sachverständige bezieht sich insoweit auf
Angaben des Ange-
klagten gegenüber der Polizei, die aber in Einzelheiten im
Urteil nicht darge-
stellt sind (UA S. 18).
Auch die isolier te Betr achtung des umsichtigen Nachtatverhaltens
durch
die Kammer (UA S. 21, 22) ist r echtlich zu beanstanden. Zwar kann
diesem
Indizwirkung zukommen, das Landgericht hat aber die spezielle
Tatzeitverfas-
sung des Täters aufgrund einer sachverständigen
Bewertung seines Verhal-
tens vor, bei und nach der Tat zu ermitteln (vgl. BGH NStZ 1984, 259;
BGHR
StGB § 21 Bewußtseinsstörung 3). Diese
Bewertung hat das Landgericht nicht
vorgenommen.
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III.
Die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf nach
alledem
neuer Ver handlung und Entscheidung. Die Feststellungen können
aufrechter-
halten bleiben. Eine Schuldunfähigkeit kann der Senat aufgrund
der getroffe-
nen Feststellungen ausschließen. Ergänzende
Feststellungen sind möglich.
VRiBGH Nack ist wegen
Urlaubs an der Unterschrift
gehindert.
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