BGH,
Beschl. v. 30.1.2001 - 1 StR 481/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 481/00
vom
30. Januar 2001
in der Strafsache gegen
wegen versuchter sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Januar 2001
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Regensburg vom 6. Juni 2000 im Ausspruch über die
Vollstreckungsreihenfolge aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug von
einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete
Urteil wird als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter sexueller
Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von vier Jahren
verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie in
der Sicherungsverwahrung angeordnet. Zur Vollstreckungsreihenfolge hat
es bestimmt, daß zunächst ein Jahr und acht Monate
der Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist; anschließend ist der
Angeklagte in einer Entziehungsanstalt und sodann in der
Sicherungsverwahrung unterzubringen. Die Revision des Angeklagten
rügt allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Sie hat
Erfolg, soweit das Landgericht den teilweisen Vorwegvollzug von
Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt
angeordnet hat; im übrigen ist sie unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Anordnung des Vorwegvollzuges von Freiheitsstrafe vor der
Unterbringung des Angeklagten im Vollzug der Maßregel nach
§ 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Die vom Landgericht dafür gegebene Begründung
widerstreitet der vom Gesetzgeber in der gesetzlichen Regelung
getroffenen Grundentscheidung (§ 67 Abs. 1 StGB).
Tragfähige Gründe dafür, von dieser im Falle
des Angeklagten abzuweichen, führt die Strafkammer nicht an;
solche liegen auch nicht auf der Hand.
1. Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzuges der Strafe
ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten (BGHR StGB § 67
Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 11). Nach der Grundentscheidung des
Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll möglichst
umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken
Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften
Erfolg verspricht (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug,
teilweiser 4, 12). Gerade bei längerer Strafdauer
muß es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig von
seinem Hang zu befreien, damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung
des Vollzugszieles arbeiten kann (BGHSt 37, 160, 162; BGHR StGB
§ 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 12). Eine Abweichung von
der Regelabfolge des Vollzuges bedarf eingehender Begründung
(BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 10). Steht zu
besorgen, daß der an die Maßregel
anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg
wieder zunichte machen könnte, so müssen
dafür überzeugende Gründe vorliegen (BGH
NStZ 1986, 428; BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 7,
Vorwegvollzug, teilweiser 13).
2. Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht bestimmte Ausnahme
nicht gerecht. Es fehlt eine auf die Person des Angeklagten bezogene
Würdigung der Umstände des Einzelfalles. Die
Strafkammer begründet die nach ihrer Ansicht hier leichtere
Erreichbarkeit des Zwecks der Maßregel nach § 64
StGB allein mit der Erwägung, es sei gesicherte Erkenntnis,
daß der Verurteilte nach einem erfolgreichen
Maßregelvollzug auf Bewährung in die Freiheit
entlassen und nicht wieder in den Strafvollzug überstellt
werden sollte (UA S. 34). Eine solche "gesicherte Erkenntnis" kann in
dieser Allgemeinheit schon deshalb nicht herangezogen werden, weil der
Gesetzgeber sich bei der Bestimmung der regelmäßig
einzuhaltenden Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 1 StGB)
gerade an anderen Gesichtspunkten orientiert und für eine
grundsätzlich andere Vollstreckungsfolge entschieden hat. Das
Landgericht setzt sich dazu in Widerspruch, wenn es ohne konkrete
Würdigung davon abweicht. Dafür hätte es auf
den Einzelfall bezogene, tragfähige Gründe
anführen müssen.
3. Dieser Mangel führt zur Aufhebung des Ausspruchs
über den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe vor der
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Die
zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben, weil
lediglich ein Wertungsfehler in Rede steht. Ergänzende
Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind statthaft.
Schäfer Wahl Schluckebier Hebenstreit Schaal |