BGH,
Beschl. v. 30.7.2002 - 4 StR 148/02
4 StR 148/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
30. Juli 2002
in der Strafsache gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 30. Juli
2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Halle vom 14. Januar 2002
a) im Schuldspruch dahin berichtigt und neu gefaßt,
daß der Angeklagte des schweren sexuellen
Mißbrauchs eines Kindes in vier Fällen, davon in
zwei Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung, sowie des
sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in vier Fällen,
davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung
schuldig ist;
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer - Jugendschutzkammer - des Landgerichts Halle
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen sexuellen
Mißbrauchs eines Kindes in acht Fällen, davon in
einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung und in vier
Fällen im schweren Fall, davon wiederum in zwei
Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung" unter Einbeziehung
der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichtes Halle - Saalkreis vom 20.
Juni 2001 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.
Ferner hat es den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in
Höhe von 15.000 EUR an die Geschädigte verurteilt und
festgestellt, daß er "verpflichtet ist, der
Geschädigten den ihr infolge der abgeurteilten Taten
künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu
ersetzen, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder
sonstige Dritte übergeht." Mit seiner Revision rügt
der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde teilweise Erfolg; im
übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Allerdings ist die
rechtliche Bezeichnung der Taten in den Fällen II. 3, 4, 7 und
8 der Urteilsgründe, soweit in diesen Fällen auch der
Tatbestand des § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht ist,
dahin zu berichtigen, daß der Angeklagte des schweren
sexuellen Mißbrauchs eines Kindes (nicht des sexuellen
Mißbrauchs eines Kindes "im schweren Fall") schuldig ist. Der
ebenfalls verwirklichte Grundtatbestand des § 176 StGB wird
durch § 176 a StGB verdrängt
(vgl.Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 176 a Rdn. 12).
Zur Klarstellung faßt der Senat den Schuldspruch insgesamt
neu.
2. Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand.
a) Die Strafzumessungserwägungen sind, wie der
Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 25. April 2002 im
einzelnen dargelegt hat, in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft:
Insbesondere hat das Landgericht gegen das Doppelverwertungsverbot des
§ 46 Abs. 3 StGB verstoßen. So ist in den
Fällen II. 3, 4 und 7 der Urteilsgründe (schwerer
sexueller Mißbrauch eines Kindes gemäß
§ 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) jeweils strafschärfend
berücksichtigt worden, daß die Tat mit einem
Eindringen in den Körper verbunden gewesen sei. Im Fall II. 1
der Urteilsgründe verstößt die
Erwägung, der Angeklagte sei rücksichtslos
vorgegangen, um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen,
gegen das Verbot, Umstände, die schon Merkmale des
gesetzlichen Tatbestands (hier: § 176 StGB) sind, bei der
Strafzumessung zu berücksichtigen (vgl. BGHR StGB §
46 Abs. 3 Sexualdelikte 4). Rechtlich bedenklich ist ferner die
Erwägung des Landgerichts, "daß der Angeklagte zwar
geständig war, doch bis zum Schluß der Verhandlung
immer wieder versuchte, das Unrecht seiner Taten herunterzuspielen" (UA
14), da es sich dabei um erlaubtes Verteidigungsverhalten handelte
(vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17).
Ob hinsichtlich der einbezogenen Freiheitsstrafe von vier Monaten aus
dem Urteil vom 20. Juni 2001 die Voraussetzungen des § 55 StGB
für die nachträgliche Bildung einer
Gesamtfreiheitsstrafe vorgelegen haben, entzieht sich der
revisionsrechtlichen Nachprüfung. Insoweit wird der neue
Tatrichter darzulegen haben, ob die Freiheitsstrafe aus dem
vorgenannten Urteil sowie die Geldstrafe aus dem
möglicherweise eine Zäsur bildenden Urteil des
Amtsgerichtes Halle-Saalkreis vom 20. Mai 2001 teilweise oder
vollständig vollstreckt worden sind und - gegebenenfalls -
wann die Vollstreckung jeweils erledigt war.
Die Aussprüche über die Entschädigung der
Nebenklägerin haben ebenfalls keinen Bestand. Die formelhaften
Erwägungen hierzu genügen nicht den
Begründungsanforderungen, die auch für die im
Strafurteil getroffenen Entscheidungen über zivilrechtliche
Ansprüche gelten (vgl. BGHR StPO § 404 Abs. 1
Entscheidung 4 m.N.).
Tepperwien Athing Solin-Stojanovic Ernemann Sost-Scheible
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