BGH,
Beschl. v. 30.7.2003 - 2 StR 215/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 215/03
vom
30. Juli 2003
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30. Juli 2003
gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 4. Februar 2003 mit den Feststellungen
aufgehoben. Die Feststellungen zu den der Maßregelanordnung
zugrundeliegenden rechtswidrigen Taten und
die Einziehungsanordnung bleiben jedoch aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus und Einziehung von Arzneimittel und
medizinischen
Geräten angeordnet. Nach den Feststellungen hat sich beim
Angeklagten
ein verfestigter "Größenwahn" unter anderem auf dem
Gebiet der Heilkunde
entwickelt. Er ist überzeugt, über extreme Begabungen
im Bereich der Heilkunde
zu verfügen. In der Zeit von August 2001 bis 22. März
2003 behandelte
er sechs Personen, denen er sich als Heilpraktiker vorstellte und
versprach,
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ihre gesundheitlichen Beschwerden zu heilen. Er verabreichte ihnen bei
der
Behandlung Spritzen, deren Zusammensetzung er ausgependelt hatte.
Für
seine Behandlung verlangte und erhielt er Beträge zwischen 250
bis 6.650 DM.
Die Strafkammer geht - sachverständig beraten - davon aus, der
Beschuldigte
sei an einer atypischen chronisch verlaufenden schizomanischen
Psychose erkrankt. Diese Erkrankung habe dazu geführt,
daß "seine Einsicht,
bei der Begehung der Taten, Unrecht zu tun, jedenfalls erheblich
vermindert
war; es sei auch nicht auszuschließen, daß die
Unrechtseinsicht sogar völlig
aufgehoben war". Dem Beschuldigten sei zwar bewußt gewesen,
daß er nicht
über die für seine Heiltätigkeit
erforderliche Zulassung als Heilpraktiker verfügte
und diese aufgrund seiner Vorverurteilungen auch nicht hätte
erhalten
können, er handelte aber aus tiefer Überzeugung von
der Richtigkeit seines
Tuns und ging davon aus, daß seine Heilbehandlungen zur
Rettung höherwertiger
Rechtsgüter notwendig und damit gerechtfertigt waren (UA S.
30, 47/48).
Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 StGB sei anzuordnen, da die
Anlaßtaten ein erhebliches Gewicht
aufwiesen, denn der Beschuldigte habe nicht nur gegen das
Heilpraktikergesetz
verstoßen und die Geschädigten betrogen, sondern
darüber hinaus auch
noch deren körperliche Integrität verletzt und sie
durch die Verabreichung von
Spritzen erheblichen Gefahren ausgesetzt. Es sei auch zu erwarten,
daß der
Beschuldigte infolge seines Zustandes ohne die Unterbringung wieder
erhebliche
rechtswidrige Taten begehen werde. Nach der Einschätzung des
Sachverständigen
Dr. S. , der die Kammer folgt, beruhe die Gefahr, daß der
Beschuldigte
wieder therapeutische Handlungen vornehmen wird, insbesondere
auf seiner fehlenden Unrechtseinsicht (UA S. 50).
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Gegen das Urteil wendet sich der Beschuldigte mit seiner auf die
Verletzung
materiellen und formellen Rechts gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge überwiegend
Erfolg.
Die Anordnung der Unterbringung kann keinen Bestand haben, weil die
Voraussetzungen des § 20 oder 21 StGB nicht - wie für
die Maßregel nach
§ 63 StGB notwendig (vgl. u. a. BGHSt 34, 22, 26/27) -
zweifelsfrei festgestellt
sind. Auch die vom Landgericht positiv angenommene erhebliche
Verminderung
der Einsichtsfähigkeit erfüllt diese Voraussetzungen
nicht. § 21 StGB regelt,
ebenso wie § 20 StGB, soweit er auf die
Einsichtsfähigkeit abstellt, einen
Fall des Verbotsirrtums. Fehlt dem Täter die Einsicht wegen
seiner krankhaften
seelischen Störung oder aus einem anderen in § 20
StGB benannten Grund,
ohne daß ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann, so ist -
auch bei an sich
nur verminderter Einsichtsfähigkeit - nicht § 21
StGB, sondern § 20 StGB anzuwenden.
Die Vorschrift des § 21 StGB kann in den Fällen der
verminderten
Einsichtsfähigkeit nur dann angewendet werden, wenn die
Einsicht gefehlt hat
und dies dem Täter vorzuwerfen ist. Der Täter, der
trotz generell gegebener
verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht
gehabt hat, ist
voll schuldfähig (vgl. u.a. BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 25; 40,
341, 349 m.w.N.;
BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 1- 6; § 63
Tat 4; BGH NStZ-RR 2002, 328;
BGH, Beschl. vom 23. März 2001 - 3 StR 59/01; vom 24. Juli
2001 - 4 StR
268/01; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 63
Rdn. 6 m.w.N.). Solange
die Verminderung der Einsichtsfähigkeit nicht das Fehlen der
Einsicht ausgelöst
und dadurch zu Straftaten geführt hat, ist die Sicherung der
Allgemeinheit
durch Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht
veranlaßt
(BGHSt 34, 22, 26/27).
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Die Urteilsgründe lassen besorgen, daß sich die
Strafkammer dieser
Problematik nicht bewußt war. Der Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe
selbst ergibt nicht, daß das Landgericht ein Fehlen der
Einsicht positiv festgestellt
hat. Zwar deuten die Ausführungen UA S. 47 ("Die
Äußerungen des Beschuldigten,
daß er alles in tiefer Überzeugung auf seine
Sachkenntnisse und
zur Rettung höherwertiger Rechtsgüter getan habe,
belegen, daß er aufgrund
seiner Erkrankung keine Einsicht in das Unrecht seines Handelns hatte,
sondern
vielmehr von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt war und
daher
auch einen Freispruch forderte") und UA S. 50 (... beruht die Gefahr
... auf seiner
"fehlenden Unrechtseinsicht") darauf hin, daß gute
Gründe für eine Aufhebung
der Einsichtsfähigkeit sprachen. Davon hat sich die
Strafkammer ersichtlich
aber nicht überzeugen können, da sie immer wieder
ausdrücklich auf die
"erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit" und die "nicht
auszuschließende
fehlende Unrechtseinsicht" als Grundlage der Unterbringung abstellt (UA
S. 30;
47/48).
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Die Sache muß deshalb neu verhandelt werden. Die
rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen zu den der Maßregelanordnung zugrundeliegenden
rechtswidrigen Taten (UA S. 31- 37: Fälle 1- 6) und die
Einziehungsanordnung
können jedoch aufrechterhalten bleiben.
VRinBGH Dr. Rissing-van Saan Detter Bode
befindet sich in Urlaub und ist
deshalb an der Unterzeichnung
gehindert.
Detter Otten Fischerinse |