BGH,
Beschl. v. 30.6.2005 - 1 StR 227/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 227/05
vom
30.06.2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30.06.2005 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bayreuth vom 10.02.2005 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Schwurgerichtskammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Der Angeklagte wurde wegen Anstiftung zum Totschlag in zwei
Fällen zu
drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision
hat
schon mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), da
die Beweiswürdigung
rechtlicher Überprüfung nicht stand hält.
Unabhängig davon bestehen auch gegen
den Schuldspruch rechtliche Bedenken.
I.
Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Der Angeklagte verbüßte in der
Justizvollzugsanstalt B. bis April
2004 (Endstrafe) eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun
Monaten wegen
zahlreicher Sexualstraftaten zum Nachteil seiner Tochter. In der
Krankenabtei-
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lung - der Angeklagte benutzt einen Rollstuhl - war er ab etwa Januar
2004 mit
H. etwa vier Wochen lang in derselben Zelle untergebracht. H.
hat seit Ende 2003 bis voraussichtlich 2006 Freiheitsstrafe wegen
Betrügereien
zu verbüßen. Der Angeklagte forderte H. auf, einen
"Auftragskiller" zu besorgen,
der Bä. und M. noch vor der Entlassung des Angeklagten
umbringen sollte. Bä. war 1999 wegen sexuellen
Mißbrauchs der genannten
Tochter des Angeklagten, nach dessen Auffassung zu milde, zu einer
Bewährungsstrafe
verurteilt worden. M. war, nachdem die Tochter des Angeklagten
gegenüber anderen Kindern von dem Mißbrauch
erzählt hatte, Teil einer Informationskette
gewesen, die letztlich zu einer anonymen Unterrichtung des Jugendamts
führte. Außerdem hatte sich der Angeklagte einmal um
eine Stelle bei
einem Fuhrunternehmen beworben, die dann M. bekommen hatte. Der von
H. zu vermittelnde "Auftragskiller" sollte 5.000 Euro Belohnung
bekommen,
H. 50.000 Euro, die der Angeklagte aus Lösegeldzahlungen der
Familien
Bä. und M. begleichen wollte; ihnen sollte vorgespiegelt
werden, Bä. und
M. seien zwar entführt, aber am Leben.
2. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung "kaum" Angaben gemacht
und im Ermittlungsverfahren jedes Fehlverhalten bestritten.
Gestützt ist die Verurteilung
"in erster Linie" auf den Zeugen H. . Dieser hatte Anfang März
in
einem Brief an die Strafverfolgungsbehörden den Plan des
Angeklagten angezeigt
und dabei seine in der Folge wiederholte Erwartung nach Strafaussetzung
zur Bewährung und (oder) der Einstellung weiterer Verfahren
zum Ausdruck gebracht.
Beigefügt war ein Zettel, auf den der Angeklagte sowohl seinen
Namen
als auch die Namen von Bä. und M. jeweils mit Anschrift
geschrieben hatte.
Es gab, in der Folgezeit unter polizeilicher Kontrolle, auch einen im
Urteil wiedergegebenen
anstaltsinternen Briefwechsel zwischen dem Angeklagten und
H. , der seinem Wortlaut nach den Kauf eines behindertengerechten Pkw's
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betraf, sich nach der Beweiswürdigung der Strafkammer in
verschleiertem
Sprachgebrauch der Sache nach aber um den geplanten Mordauftrag drehte.
II.
1. Die Strafkammer stellt im Kern - auch - darauf ab, es sei
unwahrscheinlich,
daß der Angeklagte von H. einen behindertengerechten Pkw
gewollt hätte,
weil H. bis 2006 inhaftiert sei.
Die Annahme, daß der Angeklagte sich entschlossen habe, aus
Rache für
Jahre zurückliegende Vorgänge Tötungen in
Auftrag zu geben und geglaubt habe,
der seit kurzem wegen Betrugs einsitzende H. könne aus der
Justizvollzugsanstalt
heraus innerhalb weniger Wochen Auftragsmorde organisieren,
wofür
er ihm eine ersichtlich sehr schwer realisierbare hohe Belohnung aus dem
Erlös vorgetäuschter Entführungen versprach,
erscheint nicht naheliegender.
Stehen mehrere Möglichkeiten im Raum, von denen keine zwingend
ausgeschlossen
ist, aber auch keine naheliegt, ist der Tatrichter zwar nicht gehindert,
die für den Angeklagten ungünstigere
Möglichkeit zu bejahen (§ 261 StPO); er
muß jedoch erkennbar erwägen, daß diese
Möglichkeit auch nicht wesentlich
näherliegend erscheint als die als fernliegend verworfene
Möglichkeit, die für
den Angeklagten günstiger gewesen wäre (vgl. BGH
StraFo 2005, 161).
2. Dies würde den Bestand des Urteils nicht notwendig
gefährden, wenn
die zur Glaubwürdigkeit des Zeugen H. angestellten
Erwägungen rechtlicher
Überprüfung stand hielten. Dies ist jedoch nicht der
Fall.
Die Strafkammer prüft, ob aus Erkenntnissen zu vergleichbarem
Verhalten
des Zeugen Rückschlüsse auf die Richtigkeit seiner
hier im Raum stehenden
Aussagen gezogen werden können (sog. allgemeine
Glaubhaftigkeit, vgl. hierzu
BGH NJW 2005, 1519, 1521 m. w. N.). Der inhaftierte Zeuge hat in der
Erwar-
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tung eigener Vorteile in der Justizvollzugsanstalt sicherheitsrelevante
Vorgänge
angezeigt. Die Strafkammer hält die Erwartung eigener Vorteile
- zu Recht - für
ein mögliches Falschbelastungsmotiv und erwägt in
diesem Zusammenhang,
daß er - naheliegend ebenfalls in der Erwartung von Vorteilen
- auch schon Angaben
zu angeblichen Verstecken von Falschgeld und zum Schmuggel von
Handys in die Vollzugsanstalt gemacht habe. Diese Angaben waren nicht
brauchbar. Die Strafkammer meint jedoch, daraus könnten keine
Schlüsse über
die Qualität der vorliegenden Aussagen gezogen werden, weil
die Angaben zu
Falschgeldverstecken und Handyschmuggel nicht nachweisbar falsch gewesen
seien. Näher begründet ist all dies nicht. Es
versteht sich jedoch nicht von selbst
und wäre daher darzulegen gewesen, worin der Unterschied
zwischen nicht
brauchbaren und falschen Aussagen liegt, nachdem die Strafkammer hierin
einen
für die Einschätzung auch der hier wichtigen Angaben
des Zeugen maßgeblichen
Unterschied sieht. Auf ähnlicher Ebene liegt die
Erwägung, der Zeuge
vermittle nicht den Eindruck, zu glauben, er könne mit einer
"durch nichts belegbaren
falschen Anschuldigung ... Vorteile erlangen". Auch diese
Erwägung
wäre nur tragfähig, wenn sich die Strafkammer damit
auseinandergesetzt hätte,
daß der Angeklagte auch sonst (zumindest) unbrauchbare
Angaben zu Straftaten
bzw. Ordnungsverstößen in der Justizvollzugsanstalt
gemacht hat. Schließlich
erwägt die Strafkammer, sie halte es für
"ausgeschlossen", daß der Zeuge
"jemand ist", der sich mit falschen Anschuldigungen zu Lasten anderer
eigene
Vorteile verschafft. Bei der Einschätzung der Glaubhaftigkeit
einer Aussage
auch auf Grund einer generellen Persönlichkeitsbeurteilung
(zur Problematik
vgl. BGH StV 1994, 64; NJW 2005, 1519, 1521; Boetticher in
NJW-Sonderheft
für
G. Schäfer 2002, 8, 12 jew. m. w. N.) ist es erforderlich,
möglicherweise
gegenläufige Gesichtspunkte erkennbar zu erörtern.
Daran fehlt es. Es ist nicht
näher mitgeteilt, was der Verurteilung zu insgesamt mehr als
zwei Jahren
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mitgeteilt, was der Verurteilung zu insgesamt mehr als zwei Jahren
Freiheitsstrafe
wegen Betrügereien konkret zu Grunde liegt.
Grundsätzlich ist Betrug jedoch
dadurch gekennzeichnet, daß der Täter mit
planmäßig eingesetzter, unerkannt
gebliebener Unwahrhaftigkeit andere schädigt und sich
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dadurch Vorteile verschafft. Die Annahme, ein solches Verhaltensmuster
des
Zeugen sei hier nach dessen Persönlichkeit ausgeschlossen,
hätte daher näherer
Begründung bedurft.
3. Jedenfalls insgesamt führen die aufgeführten
Gesichtspunkte zur Aufhebung
des Urteils, ohne daß es auf die Verfahrensrügen
noch ankäme. Der
Senat bemerkt jedoch, daß für das Tatgericht umso
eher Anlaß besteht, trotz der
erlangten Überzeugung weitere erkennbare
Beweismöglichkeiten zu benutzen,
je weniger gesichert das Beweisergebnis erscheint, je gewichtiger die
Unsicherheitsfaktoren
sind und je mehr Widersprüche bei der Beweiserhebung zutage
getreten sind (vgl. BGH StV 1996, 249 f. m. w. N.).
III.
Auch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist das Urteil
nicht
rechtsfehlerfrei:
1. Die Strafkammer hat Mordmerkmale beim Angeklagten verneint und ihn
deshalb wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag verurteilt. Dieser
Ansatz ist
unzutreffend. Hinsichtlich der rechtlichen Einordnung einer (hier:
geplanten) Tat
ist nicht auf den Anstifter (hier: denjenigen, der eine Anstiftung im
Wege der Kettenanstiftung
versucht) abzustellen; es kommt vielmehr darauf an, ob die Tat des
(hier: noch zu findenden) Täters Mord wäre und ob dem
Anstifter die hierfür
maßgeblichen Umstände bewußt sind (vgl.
BGH NJW 2005, 996 f., BGHR StGB
§ 30 Abs. 1 Satz 2 Strafrahmen 1 jew. m. w. N.). Der (noch zu
findende) Täter
der Tötung von Bä. und M. sollte vom Angeklagten eine
Belohnung bekommen.
Wer einen anderen gegen Belohnung tötet, handelt
regelmäßig habgierig i.
S. d. § 211 StGB (BGH NJW 1993, 1664, 1665; Schneider in
Münch-Komm
§ 211 Rdn. 62 m. w. N. in Fußn. 170). Da das Angebot
einer Belohnung vom
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Angeklagten stammte, drängt sich die Annahme auch der
subjektiven Voraussetzungen
einer versuchten Anstiftung zum Mord auf. Das Verschlechterungsverbot
(§ 358 Abs. 2 StPO) würde einer Verschärfung
des Schuldspruchs nicht
entgegenstehen (ständ. Rspr., vgl. d. N. b. Kuckein in KK 5.
Aufl. § 358
Rdn. 18).
2. Hier kommt die Besonderheit hinzu, daß der gewichtigere
Schuldspruch
wegen versuchter Anstiftung zum Mord mit sechs Monaten Freiheitsstrafe
eine wesentlich geringere Mindeststrafe nach sich ziehen
würde, als die Mindeststrafe
von zwei Jahren Freiheitsstrafe bei einem Schuldspruch wegen versuchter
Anstiftung zum Totschlag, von der die Strafkammer ausgeht. Dies beruht
darauf, daß der Strafrahmen des § 211 StGB hier
zweimal gemäß § 49 Abs. 1
StGB zu mildern wäre, nicht nur im Hinblick auf § 30
Abs. 1 Satz 2 StGB, sondern
auch im Hinblick auf § 28 Abs. 1 StGB, weil das
täterbezogene Mordmerkmal
der Habgier beim Angeklagten selbst nicht vorläge (vgl. BGH
NStZ 1989,
19; w. N. b. Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdn. 62
Fußn. 241). Der Strafrahmen
des § 212 StGB wäre hingegen nur einmal im Hinblick
auf § 30 Abs. 1 Satz 2
StGB gemäß § 49 Abs. 1 StGB zu mildern. Es
gilt hier dasselbe wie bei einem
Gehilfen, bei dem ein beim Täter vorliegendes
persönliches Mordmerkmal fehlt
(vgl. hierzu BGH NStZ 1981, 299; Beschluß vom 13. Oktober
2004 - 2 StR
206/04; w. N. b. Jähnke aaO).
3. Allerdings kann innerhalb des anzuwendenden Strafrahmens bei einem
Teilnehmer, bei dem ein beim Täter vorliegendes Merkmal i. S.
d. § 28 Abs. 1
StGB fehlt, das im Hinblick auf dieses Merkmal gesteigerte Unrecht der
Tat
strafschärfend berücksichtigt werden (BGH wistra
2005, 177 m. w. N.). Ungeachtet
dessen sieht der Senat in der aufgezeigten Differenz bei der
Mindeststrafe
einen Wertungswiderspruch (ebenso BGH, Beschluß vom 13.
Oktober 2004
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- 2 StR 206/04 bei einem der aufgezeigten "Gehilfenfälle"),
der vorliegend besonders
hervortritt, weil der Anstifter durch das Angebot einer Belohnung erst
die Habgier des Anzustiftenden wecken und sie so zur Tatbegehung
instrumentalisieren
wollte.
4. Der Senat neigt der Auffassung zu, daß in derartigen
Fällen die für eine
Beteiligung am Totschlag zu verhängende Mindeststrafe eine
"Sperrwirkung" für
die Mindeststrafe wegen einer Beteiligung am Mord entfaltet, diese also
nicht
unterschritten werden kann. Dies hat der Bundesgerichtshof auch schon
früher
erwogen (Beschluß vom 13. Oktober 2004 - 2 StR 206/04; in
vergleichbarem
Sinne Arzt/Weber, Strafrecht BT, 2000, § 2 Rdn. 41 <S.
48>; aus systematischen
Gründen demgegenüber ablehnend Küper JZ
1991, 910, 914; generell
zur Frage der Sperrwirkung vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl.
vor § 52 Rdn. 23
m. w. N.). Einer Entscheidung bedarf es hier aber letztlich nicht, weil
es bisher
an einer rechtsfehlerfrei getroffenen Tatsachengrundlage für
eine Verurteilung
fehlt. Aus
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demselben Grund bedarf es auch keiner Entscheidung darüber, ob
die verhängte
Strafe i. S. d. § 354 Abs. 1a StPO (zu dessen Anwendbarkeit
bei Mängeln
auch im Schuldspruch vgl. BGH wistra 2005, 232) angemessen
wäre.
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