BGH,
Beschl. v. 30.3.2004 - 4 StR 42/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 42/04
vom
30.03.2004
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30.03.2004
gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Halle vom 9. Dezember 2002
a) im Ausspruch über die im Fall II. B 1. (Überfall
"M. ") verhängte Einzelstrafe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie
c) im Ausspruch über die besondere Schuldschwere
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes, versuchten Totschlags
und gemeinschaftlicher versuchter schwerer räuberischer
Erpressung
unter Einbeziehung der Strafen aus zwei früheren
Verurteilungen zu lebenslanger
Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Ferner hat es die besondere
Schwere der Schuld festgestellt und den Angeklagten verurteilt, an die
Neben-
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klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro
nebst Zinsen zu zahlen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit
der er
das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts
rügt. Das
Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen
Teilerfolg; im übrigen
ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Insoweit verweist
der Senat
auf die Ausführungen in der Antragsschrift des
Generalbundesanwalts vom
25.02.2004. Das Vorbringen in der Gegenerklärung des
Verteidigers
Rechtsanwalt Prof. Dr. Mü. vom 16.03.2004 führt zu
keinem anderen Ergebnis.
Anlaß zu ergänzenden Bemerkungen sieht der Senat
lediglich insoweit,
als die Revision eine Verletzung der Vorschriften über die
Öffentlichkeit der
Hauptverhandlung (§ 338 Nr. 6 StPO) im Hinblick darauf
rügt, daß am
19. Verhandlungstag an der Saaltür der Zettel angebracht war:
"Kein Zutritt
während laufender Verhandlung - Zutritt nur während
der Pausen".
Es kann dahingestellt bleiben, ob, wie der Generalbundesanwalt meint,
dieser Rüge schon deshalb der Erfolg zu versagen ist, weil die
Revision nicht
vorgetragen hat, daß sich durch den Hinweis an der
Eingangstür zum Sitzungssaal
tatsächlich jemand von der Teilnahme an der Sitzung hat
abhalten
lassen (vgl. BGH NJW 1980, 249 f.; Kuckein in KK 5. Aufl. StPO
§ 344 Rdn. 49
m.N.). Denn die Rüge ist jedenfalls deshalb nicht
zulässig ausgeführt (§ 344
Abs. 2 Satz 2 StPO), weil es an dem vollständigen Vortrag des
prozessualen
Geschehens fehlt, das dieser sitzungspolizeilichen Maßnahme
des Gerichts
vorausging und zu ihr Anlaß gab. Wie dem Revisionsvorbringen
entnommen
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werden kann und durch die dienstliche Erklärung der
Vorsitzenden Richterin
bestätigt wird, war die Anbringung des Hinweises an der
Eingangstür zum Sitzungssaal
am 19. Verhandlungstag die Reaktion auf Störungen des
Sitzungsverlaufs
nicht nur durch das Verhalten der Besucher im Sitzungssaal, sondern
auch durch deren ständiges Verlassen und Wiederbetreten des
Saales. Dieses
Verhalten führte aber nicht nur - was die Revision insoweit
vorträgt - zu Abmahnungen
an die anwesenden Zuhörer an den beiden vorangehenden
Verhandlungstagen
(25. und 26. Juli 2002). Vielmehr weist das Protokoll jedenfalls
auch schon für den 16. Verhandlungstag (22. Juli 2002) aus,
daß die Vorsitzende
die Zuschauer darauf hingewiesen hat, daß während
der laufenden
Hauptverhandlung "nicht ständig rein- und rausgegangen werden
kann, da das
die Hauptverhandlung stört" (Protokollband II Bl. 19). Hierauf
kam es für die
Beurteilung, ob die vom Gericht getroffene Maßnahme den
Grundsatz der Öffentlichkeit
verletzt hat, an. Allerdings hätte der Senat Bedenken,
allgemein zur
Sicherung eines ungestörten Verlaufs der Hauptverhandlung den
Zutritt zur
Verhandlung nur während der Sitzungspausen zuzulassen. Denn
der Öffentlichkeitsgrundsatz
verlangt, daß grundsätzlich jedermann jederzeit den
Zutritt
zu öffentlichen Gerichtsverhandlungen haben muß
(vgl. grundlegend BGHSt
22, 297). Der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt indes nicht
uneingeschränkt. Vielmehr
hat der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen, daß eine
ungestörte
Verhandlung ebenso wichtig wie die Kontrolle des Verfahrensgangs
durch die Allgemeinheit sein kann (BGHSt aaO S. 301; BGHSt 21, 72, 73;
27,
13, 15). So hat der Bundesgerichtshof etwa in der Anordnung des
Vorsitzenden,
die Tür zum Sitzungssaal während der
Urteilsbegründung möglichst geschlossen
zu halten, um Störungen in dem beengten Sitzungssaal zu
vermeiden,
keinen Verstoß gegen die Vorschriften über die
Öffentlichkeit des Verfahrens
gesehen (BGHSt 24, 72). Für die Abwägung, welchem
Gesichtspunkt im
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Einzelfall Vorrang gebührt, kommt es, wenn es um die Abwehr
von eingetretenen
oder zu erwartenden Störungen geht, jeweils auf deren
Ausmaß an. Dazu
gehörte hier auch, daß sich die Besucher dieser
Hauptverhandlung ersichtlich
länger - als es die Revision vorträgt - von der
Abmahnung störenden Verhaltens
unbeeindruckt zeigten, bevor dann schließlich am
19. Hauptverhandlungstag der Hinweis an der Eingangstür des
Sitzungssaals
angebracht wurde. Erst das volle Ausmaß der dieser
Maßnahme vorangehenden
Störung läßt die Beurteilung zu, ob
ausnahmsweise die vorübergehende
Gestattung des Zutritts nur während der Verhandlungspausen
noch als sachgerechte
Einschränkung des Grundsatzes der Öffentlichkeit
hinzunehmen war.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Sachrüge hat zum Schuldspruch
keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben. Auch die Verurteilung wegen zum Nachteil des Sch.
begangenen Mordes hält im Ergebnis der rechtlichen
Nachprüfung stand. Mit
zutreffender Begründung hat das Landgericht das Vorliegen des
Mordmerkmals
der niedrigen Beweggründe angenommen. Deshalb
gefährdet es den Bestand
des Urteils insoweit nicht, daß das Landgericht zu Unrecht
auch das Vorliegen
der weiteren Mordmerkmale der Heimtücke und der
Verdeckungsabsicht
angenommen hat:
Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch,
wer in feindlicher
Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt
zur Tötung
ausnutzt (Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 211 Rdn.
16 m.N.). Dabei kommt es
für die Annahme von Arglosigkeit auf den Beginn der mit
Tötungsvorsatz begangenen
Handlung an (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2, 6,
8, 13, 16,
21, 27). Wie das Landgericht selbst annimmt, war das Tatopfer aber
(späte-
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stens) beim Aussteigen aus dem Pkw nicht mehr arglos (UA 55). Das
Landgericht
kommt gleichwohl zur Annahme der Heimtücke mit der
Erwägung, "daß
der Angeklagte, als er Sch. zum Einsteigen in den Pkw
veranlaßte,
ihn quasi in eine 'Falle' lockte und ihn ... wehrlos machte" (UA 55).
Insoweit
ergeben die Feststellungen indes nicht, daß der Angeklagte -
worauf es ankam
- zu diesem Zeitpunkt bereits den Tötungsentschluß
gefaßt hatte. Vielmehr
wollte der Angeklagte danach am Tatort "die Abstrafung ... fortsetzen"
(UA 18).
Dies aber läßt - zumal mit Blick auf die
Schläge, die der Angeklagte dem Geschädigten
unmittelbar zuvor versetzt hatte - den Schluß zu,
daß der Angeklagte
dem Geschädigten im Park zunächst - wie auch der
Zeuge B. annahm
- "nur" noch eine "Abreibung verpassen" wollte (UA 19).
Soweit die Jugendkammer desweiteren das Mordmerkmal der
Verdekkungsabsicht
angenommen und gemeint hat, der Angeklagte habe "in der Absicht
(gehandelt), einen Zeugen, der ihn bezüglich der Tat 'M. '
belastete,
auszuschalten" (UA 55), stellt dies eine bloße, durch keine
Tatsachen
gestützte Vermutung dar. Auch wenn der Angeklagte davon
ausgegangen war,
daß Sch. seinen, des Angeklagten, Namen bei der Polizei im
Zusammenhang
mit den Ermittlungen wegen des Überfalls auf die
Gaststätte
"M. " genannt und ihn der Beteiligung an der Tat bezichtigt habe, folgt
daraus noch nicht, daß der Angeklagte die Tötung des
Sch. in der Absicht
beging, seine Überführung hinsichtlich der
Beteiligung an dem Raubüberfall
durch Beseitigung eines Belastungszeugen zu erschweren. Die Erkenntnisse
der Strafverfolgungsbehörden über den gegen ihn
geäußerten Verdacht
der Tatbeteiligung konnte der Angeklagte durch die Tötung des
Sch. nicht rückgängig machen (vgl. zur Beseitigung
eines Belastungszeugen
nach Anklageerhebung BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 6). Da-
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für, daß der Angeklagte damit rechnete, Sch. werde
ihn weiter belasten,
geben die Feststellungen nichts her. Vielmehr war das - ersichtlich
beherrschende
- Motiv des Angeklagten, sich mit der Tötung an Sch., "der es
gewagt hatte, ihn zu 'verpfeifen', zu rächen" und zugleich
"anderen gegenüber
ein Exempel zu statuieren, um ein für allemal klarzustellen,
daß man ungestraft
nicht gegen ihn bei der Polizei vorgehen könne" (UA 55/56).
Hierin hat das
Landgericht zu Recht niedrige Beweggründe im Sinne des
§ 211 Abs. 2 StGB
gesehen; eine Verdeckungsabsicht läßt dies indes
nicht erkennen.
3. Die Revision hat zum Rechtsfolgenausspruch teilweise Erfolg.
Der Strafausspruch weist einen durchgreifenden Rechtsfehler auf, soweit
es die wegen des Überfalls auf die Gaststätte "M. "
verhängte Einzelstrafe
von drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe anlangt. Das
Landgericht
hat das Vorliegen eines minder schweren Falles des § 250 Abs.
3 StGB
verneint und die Einzelstrafe dem nach § 23 Abs. 2 i.V.m.
§ 49 Abs. 1 StGB
gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB entnommen. "Eine
weitere
Strafrahmenverschiebung wegen der nicht ausschließbar
herabgesetzten
Schuldfähigkeit infolge Alkohols nahm die Kammer nicht vor,
weil lediglich zu
Gunsten des Angeklagten nicht ausschließbar eine solche
angenommen wurde,
nach Aussage der Zeugin W. der Angeklagte jedoch keinen alkoholisierten
Eindruck hinterließ und keine Ausfallerscheinungen zeigte"
(UA 67). Diese Erwägung
begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. In
tatsächlicher Hinsicht
steht sie in Widerspruch zu der eigenen Würdigung der
Jugendkammer,
mit der sie die Voraussetzungen des § 21 StGB angenommen hat.
Im übrigen
ist es rechtsfehlerhaft, der erheblichen Verminderung der
Schuldfähigkeit deswegen
ein geringeres Gewicht beizumessen, weil sie nicht erwiesen, sondern
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nach dem Zweifelssatz lediglich unterstellt wurde (st. Rspr.; BGHR StGB
§ 21
Strafrahmenverschiebung 4, 17; Tröndle/Fischer aaO §
21 Rdn. 18 m.w.N.).
Bei dieser Sachlage kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob die
weiteren Strafzumessungserwägungen, der Angeklagte habe "nur
zur Befriedigung
eigener Bedürfnisse" und "völlig
unverhältnismäßig" gehandelt, auch
entspreche
die Tat "der allgemeinen egoistischen Einstellung des Angeklagten"
(UA 66), durchgreifenden Bedenken unter dem Gesichtspunkt des
§ 46 Abs. 3
StGB begegnen.
4. Die Aufhebung der im Fall II. B 1. der Urteilsgründe
verhängten Einzelstrafe
hat hier die Aufhebung der lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
zur Folge. Damit entfällt zugleich der Ausspruch über
die besondere
Schuldschwere. Denn § 57 b StGB knüpft, wenn auf
lebenslange Freiheitsstrafe
als Gesamtstrafe erkannt wird, die Feststellung der besonderen Schwere
der Schuld (§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) an eine
zusammenfassende
Würdigung aller einzelnen Straftaten. Dazu verhält
sich das angefochtene Urteil
nicht. Im übrigen kann der Ausspruch über die
besondere Schuldschwere
hier aber auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil - wie oben zu 2.
ausgeführt
- die vom Landgericht angenommenen Mordmerkmale der Heimtücke
und der
Verdeckungsabsicht entfallen, die Jugendkammer bei ihrer
Schuldschwerebeurteilung
aber ausdrücklich auch auf die Verwirklichung von drei
Mordmerkmalen
abgestellt hat. Soweit im übrigen das Landgericht insoweit
zudem gemeint
hat, "die Zweck-Mittel-Relation (sei) sichtlich nicht gegeben, so
daß auch
insoweit eine über das Normalmaß hinausgehende
Schuld des Angeklagten"
vorgelegen habe (UA 69), hat es lediglich Umstände
berücksichtigt, die bereits
für die Annahme der niedrigen Beweggründe
maßgeblich sind. Darin liegt ein
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Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46
Abs. 3 StGB, der auch
bei der Schuldschwerebeurteilung Beachtung verlangt (BGHSt 42, 226).
5. Die aufgezeigten Rechtsfehler lassen die getroffenen Feststellungen
unberührt; diese können deshalb bestehen bleiben.
Dies schließt ergänzende
Feststellungen durch den neuen Tatrichter, die mit den getroffenen
Feststellungen
nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
Tepperwien Maatz Kuckein
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