BGH,
Beschl. v. 30.11.2006 - 4 StR 452/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 452/06
vom
30.11.2006
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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StPO § 268 Abs. 3 Satz 2
Die besondere Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO
für die Urteilsverkündung ist - unbeschadet der
Verlängerung der regulären Unterbrechungsfrist
für die Hauptverhandlung (§ 229 Abs. 1 StPO) durch
das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl I 2198) -
zwingendes Recht und ihre Verletzung deshalb revisibel.
BGH, 4. Strafsenat, Beschluss vom 30. November 2006 - 4 StR 452/06 -
Landgericht Münster
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 30. November
2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Münster vom 31. Mai 2006 - soweit es den Angeklagten betrifft
- mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangenen
Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten
verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt
hat. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner
Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung
sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer
Verfahrensrüge Erfolg.
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Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer die Verletzung der
Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO.
Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift vom 2.
November 2006 ausgeführt:
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"Die Beweisaufnahme in der vorliegenden Sache wurde am 18. Mai 2006,
dem 8. Hauptverhandlungstag, geschlossen (Prot. Bd. Bl. 24). An diesem
Tag erging am Ende der Sitzung folgende Anordnung des Vorsitzenden:
'Die heutige Hauptver-
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handlung wird unterbrochen und fortgesetzt, wie bereits bestimmt, am
Mittwoch 31. Mai 2006, 12.00 Uhr' (Prot. Bd. Bl. 27). An diesem Tag
wurde die Hauptverhandlung nach der Feststellung der Anwesenheit mit
der Urteilsverkündung fortgesetzt (Prot. Bd. Bl. 28). Damit
hat das Landgericht gegen § 268 Abs. 3 StPO
verstoßen. Danach muss, sofern das Urteil nicht am Schluss
der Verhandlung verkündet wird, die Verkündung des
Urteils spätestens am 11. Tage danach erfolgen, andernfalls
mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist. Die Elftagefrist
begann am 18. Mai 2006 und endete am Montag, den 29. Mai 2006. Eine
Verlängerung der Frist, wie im Fall des § 229 Abs. 2
StPO, gibt es bei der Unterbrechung der Hauptverhandlung unmittelbar
vor der Urteilsverkündung nicht. § 268 Abs. 3 Satz 3
StPO verweist hierzu ausdrücklich nur auf § 229 Abs.
3 StPO, nicht aber auf § 229 Abs. 2 StPO (BGH NStZ 2004, 52).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann nur in
Ausnahmefällen ein Beruhen des Urteils auf dem
Verstoß ausgeschlossen werden (BGH aaO; BGHR StPO §
268 Abs. 3 Verkündung 1 und 2). Besondere Umstände,
die einen solchen Ausnahmefall begründen könnten,
sind hier jedoch nicht ersichtlich. Der dienstlichen Erklärung
des Vorsitzenden der Strafkammer vom 17. Oktober 2006 kann lediglich
entnommen werden, dass bis zum 18. Mai 2006 vorläufige
Beratungen der Kammer, gegebenenfalls auch nur zu Teilfragen,
stattgefunden haben, die endgültige Urteilsberatung sowie die
schriftliche Fassung der Urteilsformel jedoch erst am 31. Mai 2006
unmittelbar vor der Urteilsverkündung erfolgt ist (Bd. LVI Bl.
11395 d.A.). Dies lässt die verzögerte
Verkündung rechtfertigende Umstände nicht erkennen.
Danach ist das Urteil aufzuheben."
Dem stimmt der Senat zu. Es hält an der gefestigten
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wie sie in der Antragsschrift
des Generalbundesanwalts zitiert worden ist, fest (so auch noch der 5.
Strafsenat im Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 5 StR 432/05, StV 2006,
516). Demgegenüber neigt der 5. Strafsenat neuerdings in einem
Beschluss vom 9. November 2006 - 5 StR 349/06 - mit einer die
Entscheidung nicht tragenden Erwägung zu der Auffas-
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sung, die besondere Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2
StPO sei "als Ordnungsvorschrift zu werten, auf deren Verletzung allein
ein Urteil niemals im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO beruhen"
könne. Dem vermag der erkennende Senat nicht folgen. Schon der
klare Wortlaut der Vorschrift ("muss", "ist") lässt es
ausgeschlossen erscheinen, der Vorschrift lediglich den Charakter einer
blo-ßen - nicht revisiblen - Ordnungsvorschrift zu geben.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des 5. Strafsenats
auch nicht aus der Neuregelung über die Höchstgrenze
der regelmäßigen Unterbrechungsfrist für
die Hauptverhandlung in § 229 Abs. 1 StPO durch das 1.
Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2198). Dieses
Gesetz hat die Fristenregelung in § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO
unberührt gelassen. Auch die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks.
15/999 S. 24/25 und 15/1508 S. 25) geben keinerlei Hinweis darauf, dass
der Gesetzgeber aus den der Änderung des § 229 Abs. 1
StPO zugrunde liegenden Erwägungen der unverändert
gebliebenen, nach ihrem klaren Wortlaut als zwingendes Recht
ausgestalteten Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO
nunmehr den Charakter einer bloßen Sollvorschrift beimessen
wollte. Etwas anderes wäre allenfalls zu erwägen,
wenn die Neuregelung des § 229 Abs. 1 StPO ihrerseits als
disponibel ausgestaltet worden wäre. Das ist aber gerade nicht
der Fall: Sinn und Zweck der Änderung des § 229 Abs.
1 StPO war es in erster Linie, dem Gericht eine
größere Flexibilität bei der
Terminsbestimmung einzuräumen, um dadurch rein formale
Fortsetzungstermine („Schiebetermine“) weitgehend
zu vermeiden; an dem zwingenden Charakter dieser Vorschrift als solchem
hat der Gesetzgeber indes ungeachtet der Verlängerung der
Unterbrechungsfrist ausdrücklich festgehalten („
… muß die Verhandlung spätestens
… fortgesetzt werden.“; BT-Drucks. aaO).
Für eine planwidrige Regelungslücke, nämlich
eine durch den Gesetzgeber nur versehentlich unterbliebenen
„Anpassung“ der Fristenregelung des § 268
Abs. 3 Satz 2 StPO an die veränderte Unterbrechungsfrist des
§ 229 Abs.
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1 StPO, sieht der Senat keinen Anhalt. Es stellt keinen
unauflöslichen Wertungswiderspruch zu einer Ausweitung der
Unterbrechungsfrist während der Hauptverhandlung dar, wenn dem
Beschleunigungsgebot im Strafverfahren nach Schluss der Beweisaufnahme
in besonderer Weise durch eine unverändert kurze
Unterbrechungsfrist von höchstens 11 Tagen bis zur
Urteilsverkündung Rechnung getragen wird. Zudem wäre
es nicht Aufgabe der Rechtsprechung, eine etwaige planwidrige
Regelungslücke entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut zu
schließen; vielmehr obläge es dem Gesetzgeber,
seinen Vorstellungen durch Schaffung einer entsprechenden
Verweisungsnorm für die Zukunft Geltung zu verschaffen.
Die Sache ist deshalb, soweit sie den Beschwerdeführer
betrifft, insgesamt neu zu verhandeln.
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Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Sost-Scheible |