BGH,
Beschl. v. 31.1.2007 - 5 StR 504/06
5 StR 504/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
31.1.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31.01.2007 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Leipzig vom 2. Juni 2006 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch, soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt
worden ist,
b) im Gesamtstrafausspruch.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und
vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und einem Monat verurteilt. Die
wirksam auf die Verurteilung wegen Totschlags beschränkte
Revision des Angeklagten hat einen Teilerfolg. Die
Verfahrensrüge versagt aus den Gründen der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Die Sachrüge ist
unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet;
hingegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.
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1. Das Schwurgericht hat festgestellt, dass in der seit 1986
bestehenden Ehe des Angeklagten im Laufe des Jahres 2005 Probleme
auftraten, da seine zunehmende Montagetätigkeit die Ehefrau
störte. Diese unterhielt bereits seit längerer Zeit
heimlich ein intimes Verhältnis mit ihrem Nachbarn R. M. . Im
Oktober 2005 erreichte den Angeklagten die Nachricht vom Tode seiner
Mutter. Wenige Tage darauf eröffnete ihm seine Ehefrau, dass
sie ihn nicht mehr liebe und sich von ihm trennen wolle. Beide
Nachrichten erschütterten den Angeklagten, für den
seine Familie stets das Wichtigste gewesen war, zutiefst.
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Den Abend des 3. November 2005 verbrachten die Eheleute mit dem Ehepaar
R. und O. M. in ihrem Hof. Zum Essen trank man Bier und einen Liter
Wodka. Als kein Bier mehr zur Verfügung stand, ging der
Angeklagte gegen 22.00 Uhr schlafen. Er fühlte sich
müde und betrunken.
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Als er zwischen Mitternacht und 1.00 Uhr des 4. November 2005
aufwachte, feststellte, dass seine Frau weder in der Wohnung noch im
Hof war, und er sie auf ihrem Mobiltelefon nicht erreichen konnte,
verdächtigte er seine Ehefrau, mit R. M. ein
Verhältnis zu haben. Er rief bei O. M. an und sah seinen
Verdacht bestätigt, als diese ihm erklärte, ihr
Ehemann sei nicht zuhause, sie wisse auch nicht, wo er sei. Der
Angeklagte beschloss, seine Frau mit seinem Auto zu suchen. Dabei
geriet er in eine Verkehrskontrolle, wobei seine alkoholbedingte
Fahruntüchtigkeit festgestellt wurde. Auf dem Polizeirevier
wurde ihm um 3.06 Uhr eine Blutprobe entnommen. Anschließend
wollte er, sogar unter erneuter Verwendung seines Autos, seine Ehefrau,
die er weiterhin telefonisch nicht erreichen konnte, suchen. Als O. M.
in einem erneuten Telefongespräch seinen Verdacht von einem
intimen Treffen ihres Mannes mit seiner Frau zurückwies,
erklärte der Angeklagte, er werde beide suchen und
„sie erstechen“. Vor Verlassen des Hauses steckte
er ein Küchenmesser ein.
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Gegen 4.45 Uhr fuhr seine Frau in Begleitung von R. M. in dessen Auto
vor. Der Angeklagte fragte sie, wo sie gewesen sei. Sie entgegnete, es
gehe ihn nichts an, er schlug ihr mit der Hand mehrmals in das Gesicht.
Der Angeklagte fragte nun R. M. : „Wie war denn meine
Frau?“, und versuchte, sie erneut zu schlagen. M. ging mit
Fäusten auf den Angeklagten los. Der Angeklagte - auf den zu
diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 1,55 Promille
einwirkte - versuchte zunächst vergeblich, M. mit einer
Flasche zu treffen. Er hatte „das Ge- fühl, dass M.
ihm das Liebste genommen hatte, als“ dieser „jetzt
auch noch mit Fäusten auf ihn zuging, verspürte er
Hass“. Er nahm das Messer aus der Jacke und zog es M. von
links nach rechts über die untere Gesichtshälfte.
Sodann stach er ihm mehrfach wuchtig in den linken unteren Brustkorb.
M. sackte zusammen; er verstarb noch am selben Tag an den
tödlichen Stichverletzungen.
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Der Angeklagte ging in den Hausflur, wo seine Ehefrau ihm das Messer
aus der Hand nahm. Er begab sich auf den Dachboden und versuchte, sich
zu erhängen, was ihm misslang, da der Strick entzweiriss.
Schließlich wartete er im Hof auf das Eintreffen der
Polizeibeamten. Auch in der Untersuchungshaft versuchte er mehrmals,
sich das Leben zu nehmen.
Das Schwurgericht ist von einer nicht erheblich
beeinträchtigten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
ausgegangen und hat die Tat als einen minder schweren Fall des
Totschlags im Sinne des § 213 zweite Alt. StGB angesehen.
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2. Die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit
erweist sich als rechtsfehlerhaft. Während eine allein
alkoholbedingt verminderte Steuerungsfähigkeit nachvollziehbar
abgelehnt worden ist, lassen die Feststellungen eine hinreichende
Auseinandersetzung damit vermissen, ob die affektive Erregung des
Angeklagten, gegebenenfalls auch im Zusammenwirken mit seiner
alkoholbedingten Beeinträchtigung, das Gewicht einer die
Schuldfä-
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higkeit erheblich beeinträchtigenden tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung erlangt hat.
a) So ist das Schwurgericht zwar von einer „besonderen
Affektkonstellation“ ausgegangen. Im Hinblick auf die
detaillierte Schilderung des Angeklagten und das „Fehlen von
Merkmalen, die für ein Affektdelikt sprechen“ hat es
ein „gesteuertes Verhalten“ des Angeklagten
angenommen, was auch die telefonische Ankündigung der Tat
gegenüber O. M. und das besonnene Auftreten gegenüber
den die Verkehrskontrolle vornehmenden Polizeibeamten belege. Diese
Würdigung begegnet durchgreifenden Bedenken.
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b) Die angeführten Kriterien zur Ablehnung der Voraussetzungen
des § 21 StGB sind nicht geeignet, eine affektbedingte
relevante Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens
auszuschließen. Teilweise decken sie sich auch nicht mit den
Feststellungen.
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Abgesehen davon, dass eine besonders exakte, detailreiche Erinnerung
des Angeklagten im Urteil nicht belegt ist, kann erhalten gebliebene
Erinnerung an das Tatgeschehen ohnehin nur eingeschränkt als
Anhaltspunkt für intaktes Steuerungsvermögen
herangezogen werden (BGHR StGB § 20
Bewusstseinsstörung 5). Es handelt sich dabei nur um einen von
vielen Aspekten, die als Indizien - nicht als Ausschlusskriterien - im
Rahmen einer Gesamtbetrachtung für und gegen die Annahme eines
schuldrelevanten Affekts sprechen können (vgl. BGHR StGB
§ 20 Bewusstseinsstörung 3 und 5; BGHR StGB
§ 21 Affekt 4 bis 6).
Soweit das Schwurgericht die Vorankündigung der Tat als Beleg
gegen einen die Steuerungsfähigkeit
beeinträchtigenden Affekt wertet, kann dem angesichts der
belegten Feststellungen nicht gefolgt werden. So lassen die
Urteilsgründe bewusst offen, ob sich die Drohung im Telefonat
mit Frau M. auch gegen das spätere Tatopfer richtete (UA S. 8,
13). Damit
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bleibt aber auch offen, ob die konkrete Tat tatsächlich
angekündigt worden ist. Zudem könnte dies auch
bereits im Zuge einer sich aufbauenden affektiven Aufwallung erfolgt
sein.
Das Auftreten des Angeklagten bei der knapp zwei Stunden vor der Tat
liegenden Polizeikontrolle lässt nur sehr bedingt
Rückschlüsse auf das Gewicht der affektiven Erregung
bei der Konfrontation mit seiner Frau bzw. mit deren Liebhaber zu.
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c) Jedenfalls aber lässt die Begründung des
Schwurgerichts besorgen, dass es wesentliche, für einen
affektiven Ausnahmezustand sprechende Kriterien bei der gebotenen
Gesamtbetrachtung nicht erwogen hat (vgl. BGH StV 1993, 637;
zusammenfassend zu den wesentlichen Merkmalen der Affektdelikte: Salger
in Festschrift für Tröndle, 1989 S. 201, 208 f.
m.w.N.), wie vor dem Hintergrund der spannungsgeladenen
Ausgangssituation insbesondere die Persönlichkeitsfremdheit
der Tat, den von elementarer Wucht gekennzeichneten Tatablauf ohne
Sicherungstendenzen, eine Einengung der Wahrnehmung des Angeklagten auf
den Verlust des „Liebsten“ durch eine ihn zudem
angreifende Person, ein plötzliches Abklingen des
Aggressionsschubs unmittelbar nach der Tat mit anschließendem
Suizidversuch. Rechtsfehlerhaft ist insbesondere auch
unerörtert geblieben, inwieweit sich die al-koholische
Enthemmung affektbegünstigend ausgewirkt haben könnte
(vgl. hierzu: BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3, 9, 11; BGH
StV 1994, 13). Auch eine Berücksichtigung möglicher
anderer konstellativer Faktoren wie Ermüdung und
Erschöpfung ist nicht zu erkennen.
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4. Der Senat vermag daher angesichts der aufrechterhaltenen
Feststellungen zwar eine völlige Aufhebung der
Steuerungsfähigkeit auszuschließen, nicht jedoch,
dass das Landgericht bei gebotener umfassender Prüfung des
Gesamtverhaltens des Angeklagten - gegebenenfalls nach Beratung durch
einen anderen Sachverständigen - eine dem Zusammenwirken der
affektiven Erregung und der alkoholischen Beeinträchtigung
geschuldete
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tiefgreifende Bewusstseinsstörung angenommen und diese
strafmildernd berücksichtigt hätte,
möglicherweise unter weiterer Anwendung von
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB auf den rechtsfehlerfrei
zugrunde gelegten Strafrahmen des § 213 StGB, jedenfalls aber
unter stärkerer Gewichtung der übrigen gravierenden
strafmildernden Faktoren zu Gunsten des Angeklagten.
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