BGH,
Beschl. v. 31.7.2009 - 2 StR 95/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 95/09
vom
31. Juli 2009
Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja BGHR: ja Veröffentlichung: ja
StGB § 266 Abs. 1; GmbHG § 64 S. 3 i.d.F. vom 23.
Oktober 2008
1. Zur Pflichtwidrigkeit bei Untreuehandlungen zu Lasten
konzernintegrierter GmbHs bei Zustimmung der Alleingesellschafterin.
2. Anforderungen an die Feststellungen zur
vermögensschädigenden Überschuldung
konzernabhängiger Gesellschaften durch
Darlehensgewährung bei zentralem Cash-Management.
BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 - 2 StR 95/09 - LG Bonn
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 31. Juli
2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn
vom 25. September 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in sechs
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn
Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Es hat
die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und
angeordnet, dass für den Fall des Widerrufs der
Strafaussetzung vier Monate der Strafe als bereits vollstreckt gelten.
1
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.
2
A.
Das Landgericht hat festgestellt:
3
- 3 -
I. Der Angeklagte war seit dem 1. Juni 1999 Vorstand der
börsennotierten R. AG (im Folgenden: R. AG). Der R. -Konzern
befasste sich mit dem Betrieb von Seniorenheimen und einer Klinik.
Operativ tätig auf diesem Gebiet waren verschiedene von der
Holding beherrschte Untergesellschaften. Die R. AG selbst konnte
Deckungsbeiträge zu ihren Betriebskosten, abgesehen von
Einmaleffekten, nur aus den Gewinnen der Untergesellschaften erzielen.
4
Die Bestellung des Angeklagten war erfolgt, nachdem sich bei einer
Sonderprüfung Unregelmäßigkeiten in der
Amtsführung des bisherigen Vorstands ergeben hatten, die zu
dessen Abberufung führten. Der Angeklagte sollte den Konzern
sanieren. Dies gelang letztlich nicht; mit Beschluss vom 1. August 2001
wurde über das Vermögen der R. AG das
Insolvenzverfahren eröffnet.
5
II. Die R. AG hatte den überwiegenden Teil der
Betriebsgrundstücke des Konzerns von der P. AG gemietet, die
von dem abgelösten früheren Vorstand der R. AG
beherrscht wurde, und sie ihrerseits an die jeweiligen
Betreibergesellschaften (unter-)verpachtet. Bei den
Betreibergesellschaften handelte es sich um die R. B. GmbH (B. ), deren
alleinige Gesellschafterin die R. AG war, sowie um eine Anzahl von
Tochter- und Enkelgesellschaften der B. .
Geschäftsführer der B. und ihrer Untergesellschaften
war bis zum Mai 2001 der Zeuge L. .
6
Die R. AG hatte an die P. AG höhere Pachtzinsen zu zahlen, als
sie selbst von ihren eigenen Pächterinnen aus der
Unterverpachtung erlangte. Die Betreibergesellschaften finanzierten die
von ihnen zu zahlende Pacht aus Zahlungen der Sozialkassen und
wären zu höheren Leistungen nur in der Lage gewesen,
wenn eine Steigerung der Investitionskostenanteile durch
7
- 4 -
Nachverhandlungen der vereinbarten Pflegesätze
gegenüber den Kostenträgern geltend gemacht worden
wäre. Pflegesatzverhandlungen, die branchenüblich in
einem Abstand von 12 bis 15 Monaten erfolgen, waren für die
Betreibergesellschaften der R. -Gruppe aber seit 1998 nicht mehr
geführt worden und wurden auch nach Amtsübernahme des
Angeklagten nicht geführt, da dieser mit anderen im Zuge der
Sanierung vorgefundenen Problemen ausgelastet war. Das
Kerngeschäft der Gruppe war durchgehend defizitär;
die R. AG erwirtschaftete im Sommer 2000 monatliche Verluste von 2 bis
2,5 Mio. DM.
Die P. AG hatte sich die Pachtansprüche der R. AG gegen die
Betreibergesellschaften sicherungshalber abtreten lassen. Die Abtretung
war gegenüber deren Geschäftsführer L.
offengelegt worden. Dennoch zahlten die B. sowie vier der von ihr
beherrschten Gesellschaften bis einschließlich Mai 2001
weiter an die R. AG. Die R. AG leitete erstmals im August 2000 und dann
fortlaufend ab November 2000 diese Pachtzahlungen nicht an die P. AG
weiter, da sie angesichts ihrer sich verschlechternden
Liquiditätslage die Gelder anderweit benötigte,
insbesondere zur Zahlung der Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherung
sowie zur Lohnzahlung. Die P. AG kündigte wegen der
Zahlungsrückstände das Mietverhältnis mit
Datum vom 11. April 2001 fristlos. Dass die Pachtzahlungen der
Betreibergesellschaften an die Konzernmutter in Folge der
Sicherungsabtretung keine schuldbefreiende Wirkung hatten, war dem
Angeklagten nicht bewusst.
8
III. Bereits seit 1999 hatte sich die R. AG von fünf der von
der B. beherrschten Untergesellschaften Darlehen zur
Schließung von Liquiditätslücken
gewähren lassen. Die Rückzahlungsansprüche
waren angesichts der sich verschlechternden Liquiditätslage
der Holdinggesellschaft seit Herbst 2000 nicht mehr werthaltig und
gefährdeten die Liquidität der Darlehensgeberinnen
selbst. Dennoch ließ sich die R. AG auch in dieser Lage noch
mehrmals
9
- 5 -
weitere Darlehen gewähren. Der Angeklagte war über
diese Form der Liquiditätsbeschaffung informiert und billigte
sie; mitunter forderte er die Darlehen persönlich an und
unterzeichnete die Vertragsurkunden.
IV. Die nach Ablösung von L. neu bestellte
Geschäftsführerin der B. und der fünf
Untergesellschaften stellte am 29. Juni und 4. Juli 2001 für
alle sechs Unternehmen Insolvenzanträge. In der Folge wurde
über das Vermögen der Gesellschaften das
Insolvenzverfahren eröffnet.
10
V. Der privat verschuldete Zeuge L. war neben seinen Ämtern
als Geschäftsführer verschiedener
Konzerngesellschaften auch Leiter der Rechtsabteilung der Holding. Er
bemühte sich bei dieser im April 2000 um ein
Arbeitnehmerdarlehen, da er eine Umschuldung vornehmen wollte. Am 10.
April 2000 vereinbarte der Angeklagte namens der R. AG mit ihm einen
Vertrag über die Gewährung eines unverzinslichen
Darlehens über 180.000 DM, das am 10. Oktober 2000 in einer
Summe zur Rückzahlung fällig werden sollte. Nach dem
Vertrag hatte L. auf erstes Anfordern der Darlehensgeberin eine
näher bezeichnete dingliche Sicherheit zu stellen. Die R. AG,
die zu diesem Zeitpunkt bereits mit Liquiditätsproblemen
belastet war, finanzierte die Darlehenssumme, indem sie ihrerseits
einen Darlehensvertrag mit der D. GmbH schloss, einer weiteren von ihr
beherrschten Gesellschaft, deren Geschäftsführer
ebenfalls L. selbst war. Das Darlehen gelangte am 13. April 2000
unmittelbar von der D. GmbH zur Auszahlung an L. . Eine Sicherheit
wurde in der Folge weder angefordert noch gestellt. L. zahlte den
Darlehensbetrag zum Fälligkeitszeitpunkt nicht an die
Darlehensgeberin zurück.
11
- 6 -
Bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit der R. AG
wurde mit einer Aufhebungsvereinbarung vom 25. Juni 2001 ein Teil des
Rückzahlungsanspruchs in Höhe von 50.000 DM mit einem
Prämienanspruch L. s für das Jahr 1999 verrechnet. Im
Übrigen wurde das Darlehen nachträglich um drei Jahre
prolongiert und verzinslich gestellt. L. zahlte auch in der Folge die
verbleibende Hauptforderung nebst Zinsen nicht; er fiel im Jahr 2004 in
Insolvenz.
12
B.
Das Landgericht hat die Gewährung des Darlehens an L. als
Untreue des Angeklagten zum Nachteil der R. AG gewürdigt.
13
Es hat den Angeklagten zudem wegen Untreue zum Nachteil der
fünf von der B. beherrschten Untergesellschaften durch
Entgegennahme der Pachtzinszahlungen sowie durch die
Darlehensanforderungen zugunsten der R. AG verurteilt, während
es ihn - neben weiteren Vorwürfen - vom Vorwurf der Untreue
zum Nachteil der B. selbst freigesprochen hat.
14
C.
Die Verurteilung hält in keinem der sechs Fälle
rechtlicher Überprüfung stand. Die
tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sind
lückenhaft und nicht frei von Widersprüchen; sie
tragen die rechtliche Würdigung des Handelns des Angeklagten
als Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB nicht.
15
I. Untreue zum Nachteil der R. AG
16
Während in den Urteilsgründen die Entscheidung des
Angeklagten zur Gewährung des Arbeitnehmerdarlehens einerseits
als Freundschaftsdienst dar-
17
- 7 -
gestellt wird, mit dem der Angeklagte L. habe helfen wollen (S. 22 UA),
weist das Landgericht andererseits darauf hin, dass der Angeklagte die
Dienste L. s wegen seiner umfassenden Kenntnisse über die
Konzernverhältnisse und zur Führung der
Schadensersatzprozesse gegen den früheren Vorstand unbedingt
benötigt habe (S. 19/20 UA). Traf Letzteres zu, so war die
Gewährung eines zusätzlichen finanziellen Vorteils
für L. aber in Ansehung der dem Angeklagten zustehenden
Leitungsbefugnis aus § 76 Abs. 1 AktG selbst unter
Berücksichtigung der angespannten Liquiditätslage des
Unternehmens nicht ohne Weiteres pflichtwidrig. Dies gilt um so mehr,
als sich wegen der Refinanzierung des Darlehens über die D.
GmbH die Liquidität der R. AG selbst nicht unmittelbar
verschlechterte.
Formulierungen der Urteilsgründe deuten allerdings darauf hin,
dass das Landgericht aus den Umständen der Tatbegehung
gefolgert hat, es habe sich nach dem Vorstellungsbild des Angeklagten
tatsächlich gar nicht um ein Darlehen gehandelt, sondern um
eine vor dem Aufsichtsrat verschleierte Sonderzahlung (S. 22 u. 104/105
UA), der Darlehensvertrag mit L. sei daher ein Scheingeschäft
gewesen. In einem solchen Fall, in dem der Angeklagte den Ausfall der
R. AG mit dem Rückzahlungsanspruch - entgegen der
Würdigung der Strafkammer - nicht nur billigend in Kauf
genommen, sondern mit direktem Vorsatz gehandelt hätte,
drängte sich die Annahme einer strafbaren Untreue allerdings
auf, auch wenn selbst im Fall einer Sonderzuwendung an einen
Arbeitnehmer durch den Vorstand die Pflichtwidrigkeit seines Handelns
nicht ohne jede weitere Begründung auf der Hand läge.
Die - insgesamt unklare - Würdigung des Landgerichts
lässt aber eine Auseinandersetzung mit dem Umstand vermissen,
dass bei L. s Ausscheiden die Verrechnung eines Teils des
Rückzahlungsanspruchs mit einem Prämienanspruch
vereinbart wurde; dies könnte gegen das Vorliegen eines
Scheingeschäfts sprechen.
18
- 8 -
Die Feststellung des Landgerichts schließlich, der Angeklagte
habe in Kenntnis der finanziellen Probleme L. s gehandelt,
über die er bereits 1999 durch den Zeugen Ba. ,
möglicherweise gemeinsam mit dem Zeugen Be. , informiert
worden sei (S. 19 UA), wird durch die Beweiswürdigung nicht
belegt (S. 70 ff. UA).
19
II. Untreue in fünf Fällen zum Nachteil der
Untergesellschaften
20
1. Die Würdigung der Kammer, bei der Unkenntnis des
Angeklagten von der rechtlichen Wirkung der gegenüber dem
Geschäftsführer der Untergesellschaften offen
gelegten Sicherungsabtretung habe es sich nur um eine unbedeutende
Abweichung im Kausalverlauf gehandelt, hält rechtlicher
Überprüfung nicht stand. War dem Angeklagten nicht
bekannt, dass die Pachtzahlungen der Untergesellschaften für
November 2000 bis Mai 2001 an die R. AG nicht zur Befreiung von ihrer
entsprechenden vertraglichen Verbindlichkeit führen konnten,
so fehlte ihm der Vorsatz, ihnen durch die Entgegennahme der Zahlungen
jeweils einen Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB
zuzufügen. Auch wenn Mitarbeiter der Untergesellschaften gegen
Geldabflüsse protestiert und auf Liquiditätsprobleme
hingewiesen hatten, waren die Fälle insofern rechtlich nicht
anders zu beurteilen als in Bezug auf die Pachtzahlungen der B. an die
R. AG, hinsichtlich derer das Landgericht den Angeklagten wegen Fehlen
des Schädigungsvorsatzes vom Vorwurf der Untreue
freigesprochen hat (UA S. 108).
21
2. Als Anknüpfungspunkte für den Vorwurf einer
Untreue zum Nachteil der Untergesellschaften kamen mithin nur die
Darlehensabforderungen zu Gunsten der Konzernmutter in Betracht.
22
Das Landgericht ist im rechtlichen Ansatz im Ergebnis zutreffend davon
ausgegangen, dass „existenzgefährdende“
Abforderungen durch den Vorstand
23
- 9 -
einer herrschenden Gesellschaft den Vorwurf der Untreue zum Nachteil
der beherrschten Gesellschaft begründen können.
a) Zwar können der GmbH mit Zustimmung ihrer Gesellschafter
grundsätzlich Vermögenswerte entzogen werden, weil
sie gegenüber ihren Gesellschaftern keinen Anspruch auf ihren
ungeschmälerten Bestand hat. Deshalb sind solche
Verfügungen, die in Übereinstimmung mit dem
Vermögensinhaber erfolgen, grundsätzlich nicht
pflichtwidrig im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB. In der zivil-
wie strafgerichtlichen Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass es
Fallkonstellationen gibt, in denen der
Geschäftsführer als für das
Vermögen einer Gesellschaft Treupflichtiger seine Pflichten
nach § 266 Abs. 1 StGB auch dann verletzt, wenn er mit
Zustimmung sämtlicher Gesellschafter handelt; danach gibt es
einen Bereich, der einer Dispositionsmöglichkeit der
Gesellschafter entzogen ist. Die Rechtsprechung hat eine
Vermögensverfügung als gegenüber der
Gesellschaft treuwidrig und damit wirkungslos angesehen, wenn sie
geeignet ist, das Stammkapital der Gesellschaft zu
beeinträchtigen, wenn der Gesellschaft durch die
Verfügung ihre Produktionsgrundlagen entzogen werden oder wenn
ihre Liquidität gefährdet wird, indem ihr das zur
Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigte
Vermögen entzogen wird (vgl. BGHSt 49, 147, 157 ff. m. w.
Nachw.). Hieran hält der Senat trotz der in der Literatur
erhobenen, auf den Schutzzweck des § 266 StGB abstellenden
Einwendungen (vgl. die Nachw. bei Fischer StGB 56. Aufl. § 266
Rn. 52e) fest.
24
b) Ob allein die Rücksichtnahme des Gesellschafters auf das
Eigeninteresse der GmbH schon für die Annahme einer eigenen
Vermögensbetreuungspflicht und damit für die
Erfüllung des Treubruchstatbestands ausreichen kann (so BGHZ
149, 10, 17 f.) oder ob die Pflicht zur Rücksichtnahme nicht
lediglich die Schranke eigener Dispositionsbefugnis des Gesellschafters
aufzeigt, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.
Jedenfalls in Fällen, in denen wie hier die
25
- 10 -
den Untergesellschaften entzogenen Vermögenswerte in der
ausschließlichen Einflusssphäre des Konzerns
verbleiben, kommt die besondere, auf die Wahrung fremder
Vermögensinteressen gerichtete Betreuungspflicht im Sinne des
§ 266 Abs. 1 StGB zum Ausdruck. Werden Vermögenswerte
der beherrschten Gesellschaften hier in einem solchen Ausmaß
transferiert, dass die Erfüllung der eigenen Verbindlichkeiten
der einlegenden Konzernmitglieder im Falle eines Verlusts der Gelder
gefährdet wird, so verletzt der Vorstand der herrschenden
Gesellschaft hierdurch seine Vermögensbetreuungspflicht,
sofern nicht die Rückzahlung, etwa durch ausreichende
Besicherung, gewährleistet ist (BGHSt 49, 147, 160 f.). Diese
Verpflichtung trifft im mehrstufigen Beherrschungsverhältnis
nicht nur die Alleingesellschafterin der geschädigten
Gesellschaft, sondern sämtliche die Untergesellschaft
beherrschenden Konzernebenen über dieser (so in der Sache
schon BGHSt 49, 147, 160 f.; im Ergebnis auch Ransiek wistra 2005, 121,
124 f.). Sie wird den Mitgliedern der vertretungsberechtigten Organe
der herrschenden Gesellschaften nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB
zugerechnet.
c) Diese rechtliche Beurteilung wird durch die neuere zivilgerichtliche
Rechtsprechung zur Haftungsgrundlage in Fällen des
"existenzvernichtenden Eingriffs" (vgl. zur Irrelevanz des
Unterschiedes zwischen straf- und zivilgerichtlicher Terminologie BGHSt
49, 147, 159 f.) nicht in Frage gestellt.
26
Zwar hat sich der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs seit 2007 vom
bisherigen Konzept der Existenzvernichtungshaftung als
Durchgriffshaftung des Gesellschafters gegenüber den
Gesellschaftsgläubigern gelöst, die an den Missbrauch
der Rechtsform der GmbH anknüpfte. Er hat stattdessen die
Existenzvernichtungshaftung an die missbräuchliche
Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen
Gesellschaftsvermögens angeknüpft und sie in Gestalt
einer Innenhaftung des Gesellschafters gegenüber der
Gesellschaft als
27
- 11 -
Fallgruppe der vorsätzlichen sittenwidrigen
Schädigung im Sinne des § 826 BGB eingeordnet (vgl.
BGHZ 173, 246, 251 ff.; 176, 204, 209 ff.; BGH NJW 2009, 2127, 2128 f.).
Daraus ist im Schrifttum gefolgert worden, an einer Untreuestrafbarkeit
des Vorstands der herrschenden Gesellschaft könne in
derartigen Fällen nicht festgehalten werden, da die
deliktsrechtlich fundierte Pflicht, die Existenz der beherrschten
Gesellschaft gefährdende Eingriffe zu unterlassen, nicht als
Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1
StGB angesehen werden könne (Weller ZIP 2007, 1681, 1688;
Livonius wistra 2009, 91, 93 f.). Diese Auffassung verkennt jedoch,
dass die Einschränkung der zivilrechtlichen
Dispositionsbefugnis des Alleingesellschafters und der Umfang seiner
eigenen strafrechtlichen Vermögensbetreuungspflicht nicht
deckungsgleich sind. Die neuere Rechtsprechung des II. Zivilsenats
stellt zwar die Reichweite der Einschränkung der
Dispositionsbefugnis auf eine neue rechtliche Grundlage. Von dem
Wechsel zu einer deliktsrechtlichen Haftungskonstruktion
unberührt ist aber die Frage, in welchen Fällen die
Treuepflicht des Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft
- die nunmehr auch nach zivilrechtlicher Betrachtungsweise als
unmittelbar Geschädigte eines ihre Existenz
gefährdenden Eingriffs angesehen wird, während die
Gesellschaftsgläubiger nur mittelbar betroffen werden (BGHZ
173, 246, 260; vgl. dazu auch Radtke/Hoffmann GA 2008, 535, 548 f. u.
550 f.) - zur eigenen Vermögensbetreuungspflicht erstarkt.
Jedenfalls in dem bereits oben dargelegten, erstmals durch die
Entscheidung des 5. Strafsenats vom 13. Mai 2004 (BGHSt 49, 147, 160
f.) entwickelten Umfang ist aber auch im Licht der neuen
zivilrechtlichen Haftungskonstruktion an der Annahme einer solchen
Pflicht festzuhalten.
28
d) Auch die Änderungen des GmbH-Gesetzes durch das Gesetz zur
Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von
Missbräuchen (Mo-
29
- 12 -
MiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I 2026) geben zu einer anderen
Beurteilung keinen Anlass. Insbesondere ist aus § 64 Satz 3
GmbHG n.F., wonach Geschäftsführer einer GmbH dieser
grundsätzlich zum Ersatz von Zahlungen an Gesellschafter
verpflichtet sind, wenn diese zur Zahlungsunfähigkeit der
Gesellschaft führen mussten, nicht die Schlussfolgerung zu
ziehen, das Gesetz nehme nicht mehr den Gesellschafter, sondern nur
noch den Geschäftsführer als den für den
Erhalt der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft Verantwortlichen
in die Pflicht (so aber Livonius wistra 2009, 91, 94 f.). Die Regelung
erfasst nach gesetzgeberischer Intention nur einen Teilbereich der
Haftung für existenzbedrohende
Vermögensverfügungen, indem sie nicht beim
Gesellschafter als Empfänger der Zahlung ansetzt, sondern beim
Geschäftsführer als deren Auslöser oder
Gehilfe, und indem sie dort auch nur Zahlungen, nicht aber die
Aushöhlung der Existenzfähigkeit durch andere
Eingriffe erfasst. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei
§ 64 Satz 3 GmbHG nicht um eine abschließende
Regelung der Existenzvernichtungshaftung; die Vorschrift
berührt die bisherige straf- wie zivilgerichtliche
Rechtsprechung zur Haftung des Gesellschafters für
existenzgefährdende bzw. -vernichtende Eingriffe nicht (so
schon der Gesetzentwurf des MoMiG BT-Drucks. 16/6140, S. 46; ebenso
Bittmann NStZ 2009, 113, 118).
3. Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts tragen
den Vorwurf einer Untreue des Angeklagten zum Nachteil der
fünf Untergesellschaften indes nicht.
30
a) In vier der fünf Fälle nötigt bereits die
rechtsfehlerhafte Berücksichtigung der Entgegennahme der
Pachtzahlungen zur Aufhebung, da die Feststellungen des Landgerichts
zum Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Gefährdungslage
der Untergesellschaften nicht ausschließbar auf dem
Rechtsfehler beruhen.
31
- 13 -
b) Aber auch darüber hinaus lassen die Ausführungen
des Landgerichts besorgen, dass die Strafkammer den rechtlichen
Ansatzpunkt für die Herbeiführung eines
Vermögensnachteils bei den Untergesellschaften aus dem Blick
verloren hat. Anstatt an die Vermögensverfügungen in
Gestalt der einzelnen Darlehensabforderungen anzuknüpfen,
führt die Kammer aus, dass sich die Gefahr einer Insolvenz, in
die der Angeklagte die Gesellschaften gebracht habe, im Juni 2001 (also
wohl mit dem Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung) realisiert habe (S.
34 u. 105 UA). Bei der konkreten Strafzumessung knüpft sie
demgegenüber vornehmlich an den Nominalbetrag des
eingetragenen Stammkapitals der jeweiligen Gesellschaft an (S. 114 f.
UA).
32
c) Dass das Landgericht als maßgeblichen Tatzeitraum
einerseits die Zeit von Ende Oktober (S. 34 UA) oder November 2000 (S.
81 UA) oder ab Herbst 2000 (S. 53 UA) bis Juni 2001 bezeichnet,
andererseits aber auch Darlehen in bedeutender Gesamthöhe, die
einige der Untergesellschaften bereits vor dem 6. November 2000
geleistet hatten, ausdrücklich als für die
Insolvenzen ursächlich angesehen hat, lässt ebenfalls
nicht erkennen, an welche tatbestandlichen
Ausführungshandlungen im Einzelnen die rechtliche
Würdigung anknüpft.
33
4. Da die rechtliche Würdigung der Fälle auf Grund
dieser Mängel der Feststellungen einer näheren
Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen ist,
bedarf die Sache insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zur
neuen Verhandlung berufene Wirtschaftsstrafkammer wird festzustellen
haben, durch welche Handlungen im Einzelnen der Angeklagte Einfluss auf
die verschiedenen Darlehensgewährungen der Untergesellschaften
an die R. AG nahm, ab wann eine schädigende
Gefährdung ihrer Existenz vorlag und ob und ab wann der
Angeklagte dies auch erkannt hatte. Was die Bestimmung des
Schuldumfangs angeht, so wird der neue Tatrichter, sofern eine
Verletzung
34
- 14 -
der Vermögensbetreuungspflicht nicht auf die
Gefährdung des Stammkapitals, sondern auf die
Gefährdung der Fähigkeit zur Erfüllung
eigener Verbindlichkeiten der Untergesellschaften zu stützen
sein sollte, in wertender Betrachtung den Anteil des entzogenen
Vermögens zu bestimmen haben, den die Untergesellschaften zur
Erfüllung ihrer eigenen Verbindlichkeiten benötigt
hätten (vgl. BGHSt 49, 147, 165 f.). Er wird dabei zu beachten
haben, dass das Landgericht bislang keine Feststellungen dazu hat
treffen können, dass außer der Vermieterin P. AG
noch andere Gläubiger der betreffenden fünf
Gesellschaften mit ihren Forderungen ausgefallen waren (S. 61 UA).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Feststellungen
des aufgehobenen Urteils die Bewertung nahe legen, dass die Insolvenzen
der S GmbH (S. ), der Seniorenwohnsitz H. GmbH (H. ) und der V. GmbH
nicht auf den Ausfall mit
Darlehensrückzahlungsansprüchen gegen die R. AG,
sondern ausschließlich oder doch im Wesentlichen auf die
Verpflichtung zur erneuten Zahlung der zuvor bereits in gleicher
Höhe an die Konzernmutter abgeführten Pachtzahlungen
an die Zessionarin P. AG zurückzuführen waren.
35
Das Landgericht durfte in diesem Zusammenhang nicht offenlassen, ob der
R. AG gegen die H. ein von der B. abgetretener
Gewinnabführungsanspruch in Höhe von über
252.000 DM zustand (S. 37/38, 89 UA). Die Ausführungen auf S.
39 UA einerseits und S. 56 UA in Verbindung mit der tabellarischen
Aufstellung S. 41 UA andererseits lassen zudem vermuten, dass
36
- 15 -
die Darlehenszahlung der S. über 100.000 DM vom 6. November
2000 nach der Vorstellung der Beteiligten letztlich in voller
Höhe mit den Pachtverbindlichkeiten gegenüber der
Konzernmutter für Dezember 2000 und Januar 2001 verrechnet
worden war.
Rissing-van Saan Fischer Roggenbuck
Appl Schmitt |