BGH,
Beschl. v. 31.3.2009 - 1 StR 76/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 76/09
vom
31. März 2009
BGHSt: nein
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
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StPO §§ 99, 95 Abs. 2
Die Sicherstellung von E-Mails beim E-Mail-Provider ist entsprechend
den Voraussetzungen des § 99 StPO mit der Herausgabepflicht
nach § 95 Abs. 2 StPO anzuordnen.
BGH, Beschl. vom 31. März 2009 - 1 StR 76/09 - LG
München I
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. März 2009
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 2. Oktober 2008 wird als unbegründet
verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Unter Berücksichtigung der Ausführungen in der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 11. Februar 2009 bemerkt
der Senat:
Den Angeklagten beschwert es nicht, wenn die Strafkammer - keinesfalls
zwingend - unter Zugrundelegung des Zweifelsatzes die Voraussetzungen
des § 21 StGB auf eine "erhebliche Minderung der Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitraum"
gestützt hat. Jedenfalls konnte sie ohne Rechtsfehler eine
Strafrahmenverschiebung ablehnen, weil sich der Angeklagte im Vorfeld
der Tat geplant in eine Situation begeben hat, in welcher die Tat
für ihn vorhersehbar war.
Die Verwertung von E-Mails des Angeklagten, welche im
Ermittlungsverfahren beschlagnahmt wurden, wobei alle in dem jeweiligen
E-Mail-Postfach des Angeklagten abgespeicherten - gelesenen und noch
nicht gelesenen - E-Mails betroffen waren und erfasst wurden, begegnet
letztlich keinen durch-
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greifenden rechtlichen Bedenken. Zwar hat der Ermittlungsrichter des
Amtsgerichts die Beschlagnahmeanordnung allein auf §§
94, 98 StPO gestützt, was zumindest bezüglich bislang
ungelesener E-Mails rechtlich umstritten ist (vgl. hierzu BVerfG, 3.
Kammer, Beschl. vom 29. Juni 2006 - 2 BvR 902/06 - MMR 2007, 169;
mehrfach verlängert, zuletzt durch Beschl. vom 13. November
2008). Jedoch bedurfte es für die im Postfach beim
E-Mail-Provider abgespeicherten E-Mails, ob bereits gelesen oder noch
ungelesen, auch nicht der Voraussetzungen des § 100a StPO,
denn während der möglicherweise auch nur
Sekundenbruchteile andauernden Speicherung in der Datenbank des
Mail-Providers ist kein Telekommunikationsvorgang (mehr) gegeben (vgl.
hierzu näher KK-StPO/Nack § 100a Rdn. 22 f.;
BeckOK-StPO/Graf § 100a StPO Rdn. 28 ff.; KMR/Bär
§ 100a Rdn. 29; aA LG Hanau NJW 1999, 3647; LG Hamburg wistra
2008, 116; dem zustimmend Gaede, StV 2009, 96, 97, allerdings bereits
mit aus technischer Sicht fragwürdiger Begründung;
bislang zu einer Gesamtbetrachtung neigend Meyer-Goßner,
StPO, 51. Aufl., § 100a Rdn. 6).
Vielmehr ist die Beschlagnahme von E-Mails bei einem E-Mail-Provider,
welche dort bis zu einem ersten oder weiteren Aufruf abgespeichert
sind, auch unter Berücksichtigung des heutigen
Kommunikationsverhaltens in jeder Hinsicht vergleichbar mit der
Beschlagnahme anderer Mitteilungen, welche sich zumindest
vorübergehend bei einem Post- oder
Telekommunikationsdiensteleister befinden, bspw. von Telegrammen,
welche gleichfalls auf dem Telekommunikationsweg dorthin
übermittelt wurden. Daher können beim Provider
gespeicherte, eingegangene oder zwischengespeicherte, E-Mails - auch
ohne spezifische gesetzliche Regelung - jedenfalls unter den
Voraussetzungen des § 99 StPO beschlagnahmt werden (vgl.
hierzu BeckOK-StPO/Graf § 100a StPO Rdn. 28 f. m.w.N.). Der
einer E-Mail-Sendung, selbst wenn diese aus technischen
Gründen und insbesondere auch während des Transports
leichter "lesbar" ist als beispielsweise verschlossene Briefsendungen
auf dem Postweg, zukommende
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grundrechtssichernde Schutz wird bei einer Anordnung nach § 99
StPO durch das Erfordernis einer richterlichen Anordnung bzw.
Bestätigung bei (eher seltenen) Eilfällen nach
§ 100 StPO gewahrt, zumal bei der konkreten Beschlagnahme
einer E-Mail erneut eine richterliche Prüfung stattzufinden
hat.
Für eine Anwendung des § 99 StPO spricht auch die
Neufassung des § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO durch das Gesetz
zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21.
Dezember 2007 (BGBl I 3198), wonach - anders als noch bei der
früheren Rechtslage - nun auch für diese
Maßnahmen ausdrücklich eine Benachrichtigungspflicht
festgelegt ist. Zudem können die Betroffenen
nachträglichen Rechtsschutz begehren (§ 101 Abs. 7
StPO).
Dass in §§ 99, 100 StPO selbst keine zwangsweise
Durchsetzung des Herausgabeanspruchs geregelt ist, ändert an
der hier dargestellten Rechtslage nichts, sondern beruht allein darauf,
dass ursprünglich allein die mit hoheitlichen Befugnissen
ausgestattete Deutsche Bundespost Verpflichteter einer solchen
Maßnahme sein konnte, bei welcher eine Weigerung nicht zu
erwarten war. Nach der Öffnung der Märkte in diesem
Bereich muss aber gewährleistet sein, dass eine
Maßnahme nach § 99 StPO auch durchsetzbar ist.
Deshalb gilt auch hier der in § 95 Abs. 1 und 2 StPO seine
Ausprägung gefundene allgemeine Grundsatz, dass richterlichen
Herausgabeanordnungen allgemein Folge zu leisten ist und deshalb zu
deren Durchsetzung die in § 70 StPO bestimmten Ordnungs- und
Zwangsmittel festgesetzt werden können, soweit Verpflichtete
nicht zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind.
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Nachdem bei der vorgenannten Beschlagnahmeanordnung des
Ermittlungsrichters auch die Voraussetzungen des § 99 StPO
gegeben waren, steht einer Verwertung hiervon betroffener E-Mails
nichts entgegen, zumal die Verteidigung keine Einwände in der
Hauptverhandlung erhoben hat.
Nack Elf Graf
Jäger Sander |