BGH,
Beschl. v. 31.5.2001 - 1 StR 182/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 182/01
vom
31. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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StGB §§ 239 b Abs. 2, 239 a Abs. 4
Hat der Täter einer Geiselnahme sich des Opfers in dessen
Lebensbereich
bemächtigt, kommt die Anwendung des § 239 b Abs. 2
i.V.m. § 239 a Abs. 4
StGB bereits dann in Betracht, wenn der Täter sein Opfer am
Tatort frei gibt
und dieses die Möglichkeit hat, seinen Aufenthaltsort wieder
frei zu bestimmen.
BGH, Beschluß vom 31. Mai 2001 - 1 StR 182/01 - LG Mosbach
wegen Geiselnahme u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Mai 2001
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mosbach vom 15. Januar 2001 im Ausspruch über
a) die Einzelstrafe wegen Geiselnahme;
b) die Gesamtstrafe
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Der Angeklagte wurde wegen vorsätzlicher
Körperverletzung in Tatmehrheit
mit einer im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit
begangenen
Geiselnahme zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei
Monaten verurteilt.
Seine auf die Verurteilung wegen Geiselnahme (Strafe hierfür:
vier Jahre)
beschränkte Revision führt zur Aufhebung des
Strafausspruchs und damit
zum Wegfall der Gesamtstrafe (§ 349 Abs. 4 StPO); im
übrigen bleibt sie erfolglos
(§ 349 Abs. 2 StPO).
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1. Folgendes ist festgestellt:
Der Angeklagte wollte sich das Leben nehmen. Dies teilte er seiner
früheren
Freundin S. F. schriftlich mit; er hoffte, sie werde ihn davon abhalten
und zu ihm zurückkehren. Nachdem sie jedoch nicht reagierte,
drang er
noch in der gleichen Nacht gewaltsam in das Haus der Familie F. ein.
Während
S. F. nach oben flüchtete, stellte sich ihr (neuer) Freund W.
dem Angeklagten entgegen. Der Angeklagte bemächtigte sich des
damals
gehbehinderten W. mit einem Messer und drohte, ihn zu töten,
wenn S.
F. nicht herbeikäme. Ebenso forderte er mit der Drohung, W.
sonst zu
töten, auch die inzwischen ebenfalls anwesenden Eltern der S.
F.
auf, dafür zu sorgen, daß diese erscheint. Als der
Angeklagte bemerkte, daß
die Polizei eingetroffen war und darüber hinaus der von ihm
geschätzte Vater
der S. F. einen Schwächeanfall erlitten hatte, ließt
er von W. ab und
flüchtete. Bei seiner alsbald erfolgten Festnahme konnte er
daran gehindert
werden, in Selbsttötungsabsicht Frostschutzmittel zu trinken.
2. Diese Feststellungen entsprechen im wesentlichen der Schilderung in
der unverändert zugelassenen Anklage. In rechtlicher Hinsicht
ist dort ohne
nähere Darlegungen ausgeführt, der Angeklagte habe -
unter den übrigen Voraussetzungen
des § 239 b StGB - gehandelt, um "einen Dritten" zu
nötigen.
Angesichts der klaren Sachverhaltsschilderung werden Anklage und
Eröffnungsbeschluß
entgegen der Auffassung der Revision ihrer Informationsfunktion
(gleichwohl) gerecht.
3. Die Strafkammer führt in rechtlicher Hinsicht aus,
§ 239 b StGB sei
erfüllt, da der Angeklagte gehandelt habe, um W. und einen
Dritten zu nötigen.
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Die Revision sieht daher § 265 StPO mehrfach als verletzt an.
Weder
sei darauf hingewiesen worden, wer der Dritte sei, noch darauf,
daß auch W.
als Nötigungsopfer in Frage komme.
Dieses Vorbringen greift jedenfalls deshalb nicht durch, weil der Senat
ausschließen kann, daß sich der Angeklagte im Falle
solcher Hinweise erfolgversprechender
als geschehen hätte verteidigen können: Der
Angeklagte hatte
sich dahin verteidigt, er habe W. lediglich davon abhalten wollen, die
Polizei
zu rufen. Dies sieht die Strafkammer auf Grund der
übereinstimmenden Aussagen
aller Anwesenden als widerlegt an.
4. Auch sonst hält der Schuldspruch rechtlicher
Überprüfung stand.
5. Der Strafausspruch kann dagegen nicht bestehen bleiben, da die
Strafkammer eine (weitere) Strafrahmenmilderung
gemäß § 239 b Abs. 2 StGB
in Verbindung mit § 239 a Abs. 4 Satz 1 StGB nicht
geprüft hat.
Der Angeklagte hat W. unter Verzicht auf sein angestrebtes Ziel
freigelassen.
Soweit § 239 a Abs. 4 StGB darüber hinaus verlangt,
daß der Täter die
Geisel in ihren Lebensbereich zurückgelangen
läßt, beinhaltet dies nicht notwendig
eine räumliche Komponente. Diese Bestimmung soll "dem
Täter die
Entscheidung, das Opfer lebendig frei zu lassen, in jedem Fall
erleichtern" (BTDrucks.
VI/2722 S. 3). Ihre Anwendbarkeit ist daher nicht auf
Entführungsfälle
beschränkt. Bemächtigt sich der Täter der
Geisel in deren Lebensbereich und
kommt es auch im weiteren Verlauf nicht zu einer
Ortsveränderung, so genügt
es, wenn der Täter - unbeschadet möglicher
Besonderheiten bei Gebrechlichen
oder Kindern - der Geisel ermöglicht, ihren Aufenthaltsort
wieder frei und
ungehindert zu bestimmen (vgl. nur K. Schäfer in LK, 10. Aufl.
§ 239 a Rdnr. 26
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m.w.N.; Eser in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl.
§ 239 a Rdnr. 35 ff.), ohne
daß es darauf ankäme, ob die Geisel
überhaupt eine Ortsveränderung vornehmen
will.
Die Strafkammer hat nicht ausdrücklich ausgeführt, ob
der Angeklagte
insgesamt freiwillig oder unfreiwillig gehandelt hat. Es mag mehr
dafür sprechen,
daß er insgesamt unfreiwillig gehandelt hat. Dies
könnte bei der Prüfung,
ob von der durch § 239 a Abs. 4 StGB eröffneten
Möglichkeit Gebrauch gemacht
werden soll, zwar mitberücksichtigt werden, schlösse
die Anwendbarkeit
dieser Bestimmung aber nicht von vorneherein aus (vgl. Esser aaO Rdnr.
40
m.w.N.).
Insgesamt liegt eine Anwendung von § 239 a Abs. 4 StGB
jedenfalls
nicht so fern, als daß deshalb eine ausdrückliche
Erörterung entbehrlich gewesen
wäre.
6. Der Senat weist auf folgendes hin:
Im Hinblick auf den vertypten Milderungsgrund gemäß
§ 21 StGB hat die
Strafkammer einen minder schweren Fall gemäß
§ 239 b Abs. 2 StGB in Verbindung
mit § 239 a Abs. 2 StGB angenommen. Sie geht davon aus, die
Strafe
sei daher einem Strafrahmen zwischen einem Jahr (Mindeststrafe
gemäß
§ 239 a Abs. 2 StGB) und elf Jahren und drei Monaten
(gemäß §§ 21, 49
Abs. 1 StGB gemilderte Höchststrafe gemäß
§ 239 b Abs. 1 StGB) zu entnehmen.
Eine solche Kombination unterschiedlicher Strafrahmen ist jedoch nicht
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möglich (vgl. hierzu im einzelnen Gribbohm in LK 11. Aufl.
§ 46 Rdnr. 263),
mag sich dies hier auch nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt
haben.
Schäfer Wahl Boetticher
Schluckebier Hebenstreit |