BGH,
Beschl. v. 4.4.2006 - 3 StR 91/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 91/06
vom 4.4.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4.04.2006
gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 3. November 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen. Gründe: I. Das Urteil
unterliegt auf die Sachbeschwerde des Angeklagten der Aufhebung, weil
es mehrere durchgreifende Rechtsfehler aufweist: 1 1. Die Strafkammer
hat den Angeklagten wegen insgesamt 23 Fällen des
Betäubungsmittelhandels verurteilt, jedoch dabei nicht
geprüft, ob und gegebenenfalls inwieweit die einzelnen Taten
zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen gewesen wären.
Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass
Einzelverkäufe von Betäubungsmitteln mehreren
größeren Erwerbsmengen entstammen, so erfordert dies
die Bildung von Bewertungseinheiten. Dazu hat der Tatrichter die Zahl
und Frequenz der Erwerbsvorgänge sowie die Zuordnung der
einzelnen Verkäufe zu ihnen an Hand der Tatumstände
festzustellen. Kann er genaue Feststellungen nicht treffen, hat er
innerhalb des feststehenden Gesamtschuldumfangs die Zahl der
Einkäufe und die Verteilung der Verkäufe auf sie zu
schätzen (vgl. BGH NJW 2002, 1810). Konkrete Hinweise auf das
Vorlie-2
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gen solcher Bewertungseinheiten ergeben sich hier insbesondere in den
Fällen, in denen die Abverkäufe entweder am gleichen
Tage (Fälle 9 und 10) oder zumindest in engem zeitlichem
Abstand (Fälle 1 und 2; 9 bis 13) erfolgten. Auch in den
Fällen 22 und 23 kommt Bewertungseinheit in Betracht, da nach
den Feststellungen auf Grund eines Gesamtplanes die gesamte Menge an
einen bestimmten Abnehmer geliefert werden sollte und sich so beide
Erwerbsvorgänge auf ein bestimmtes einheitliches
Rauschgiftgeschäft bezogen. 2. Der Schuldumfang ist in allen
Fällen außer den Nr. 21 bis 23 unzureichend
festgestellt. Neben der Art der Betäubungsmittel sind dabei
die Menge und der Wirkstoffgehalt der gehandelten Rauschmittel
maßgeblich. Auf deren Feststellung kommt es nicht nur
für die Bestimmung einer nicht geringen Menge, sondern auch
für die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im engeren
Sinne an; auf sie kann daher regelmäßig nicht
verzichtet werden. Auch wenn die Betäubungsmittel nicht
sichergestellt sind und eine Untersuchung daher nicht möglich
ist, sind alle Aufklärungsmöglichkeiten
auszuschöpfen (vgl. dazu im Einzelnen Weber, BtMG 2. Aufl.
§ 29 Rdn. 741 ff. m. w. N.). Da der Angeklagte
geständig war, liegt die Möglichkeit weitergehender
Feststellungen auf der Hand. 3 In den Fällen Nr. 1 bis 20
fehlt es an der Feststellung des konkreten Wirkstoffgehalts. Die
Angabe, dass nach dem "Geständnis" des Angeklagten in den
Fällen 17 bis 20 jedenfalls der Grenzwert zur nicht geringen
Menge überschritten worden sei, ist unzureichend.
Darüber hinaus wird in den Fällen 6, 8 und 14 die
Menge des Heroins mit der Zahl der "Päckchen" angegeben, deren
Gewicht aber nicht mitgeteilt. In den Fällen 5 und 14 sind die
Angaben von Mengen und Preisen angesichts der festgestellten
Gewinnerzielungsabsicht 4
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nicht ohne weiteres miteinander vereinbar. Danach hätte der
Angeklagte 6 Gramm Kokain für 270 € gekauft und 5
Gramm Kokain für nur 20 € verkauft. 3. Im Fall 19
kommt die Strafkammer rechtsfehlerfrei zur Annahme eines Versuchs des
Handeltreibens in nicht geringer Menge. Nicht dargelegt wird jedoch,
warum es zu dem beabsichtigten Ankauf nicht gekommen ist. Dies
lässt die Möglichkeit eines strafbefreienden
Rücktritts offen, der nicht geprüft worden ist. 5 4.
Im Fall 21 bleibt unklar, welchen Straftatbestand die Strafkammer
angenommen hat. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte
für einen anderen Drogenhändler in einem Versteck 500
Gramm einer weißen Substanz gegen ein Entgelt von 200
€ aufbewahrt, die er fälschlich für Kokain
mittlerer Qualität gehalten hat, die jedoch nur Stoffe
enthielt, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. 6
In der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht
ausgeführt, dass sich der Angeklagte wegen Besitzes von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht
hat. Ein entsprechender Schuldspruch findet sich in der Urteilsformel
nicht. Dort ist diese Tat wohl in die Zahl der sechs Fälle des
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
eingereiht. Tatsächlich belegen die Feststellungen bislang
keinen der beiden Straftatbestände: 7 a) Da es sich nicht um
Betäubungsmittel handelte, kommt vollendeter Besitz von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a
Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht in Betracht. 8
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b) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind zwar
eigennützige Tätigkeiten, die auf den Umsatz von
Betäubungsmitteln gerichtet sind, auch dann als vollendetes
Handeltreiben zu beurteilen, wenn sie sich auf Scheindrogen beziehen
(vgl. BGH NStZ 1992, 191 m. N. zur Kritik in der Literatur). Der Senat
hat Bedenken, diese sehr weitgehende Rechtsprechung
fortzuführen. Er kann dies jedoch offen lassen, da die auf der
Grundlage dieser Auffassung in Fällen lediglich
untergeordneter Tatbeiträge erforderliche Abgrenzung von
Täterschaft und Beihilfe im angefochtenen Urteil unterblieben
ist (vgl. Nachw. bei Winkler NStZ 2005, 315; 2004, 376). Da der
Angeklagte die Substanz für H. , einen anderen
Händler, lediglich aufbewahrte, nicht einmal über
ihre Beschaffenheit informiert wurde und schließlich nur ein
geringes Entgelt von 200 € erhielt, das bei einem
Geschäft mit 500 Gramm Kokaingemisch eher für eine
kleine Hilfeleistung als für einen Mittäteranteil
spricht, liegt die Annahme nur einer Gehilfenstellung nahe. 9 5. Die
aufgezeigten Rechtsfehler erfordern die Aufhebung des Urteils
insgesamt. Da bereits die Sachrüge erfolgreich ist, kommt es
auf die teils unklaren und teils abwegigen Verfahrensrügen
nicht mehr an. 10 II. Für die neue Hauptverhandlung werden
folgende Hinweise gegeben: 11 1. Sofern der neue Tatrichter zu Fall 21
nicht ohnehin zu völlig neuen Feststellungen gelangt, sondern
nach den oben aufgezeigten Maßstäben eine
Gehilfenstellung des Angeklagten in Bezug auf die
Handelstätigkeit des Haupttäters H. annimmt, wird er
zu dessen Vorstellungen und Absichten nähere Feststellungen zu
treffen haben, insbesondere ob er gleichfalls über die
Beschaffenheit irrte oder wusste, dass es sich um Streckmittel
handelte. Bei zutreffender Vorstellung des Haupttäters wird zu
beachten sein, dass die bloße 12
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Aufbewahrung von Streckmitteln noch keine Straftat darstellt, folglich
auch eine Beihilfe mangels Haupttat ausscheidet. Anders wäre
es, wenn die Aufbewahrung im Hinblick auf ein konkretes
Rauschgiftgeschäft erfolgt wäre. Dann würde
allerdings die Annahme einer Beihilfehandlung des Angeklagten zu diesem
Rauschgiftgeschäft voraussetzen, dass er darüber
wenigstens in Umrissen Bescheid wusste. Bei dieser schwierigen Sach-
und Rechtslage könnte es sich anbieten, den möglichen
Vorwurf einer Beihilfe zum Handeltreiben auszuscheiden und die
Verfolgung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf
den (untauglichen) Versuch des Besitzes einer nicht geringen Menge nach
§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu beschränken. 2. Die
Bezeichnung "gewerbsmäßig" gehört nicht in
die Urteilsformel. Soweit es um Handeltreiben nach § 29 Abs. 1
BtMG geht, ist "Gewerbsmäßigkeit" nur ein
Regelbeispiel für die Annahme eines besonders schweren Falles
nach Absatz 3 dieser Vorschrift, das in die Urteilsformel nicht
aufgenommen wird (BGH NStZ 1994, 39). Beim Qualifikationstatbestand des
Handeltreibens in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr.
2 BtMG kommt der Gewerbsmäßigkeit ohnehin nur die
Bedeutung eines Strafzumessungsumstandes zu. 13
Tolksdorf RiBGH Miebach ist urlaubsbedingt Winkler an der
Unterzeichnung gehindert. Tolksdorf von Lienen Becker |