BGH,
Beschl. v. 4.4.2007 - 4 StR 345/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 345/06
vom
4. April 2007
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StPO § 251 Abs. 1 Nr. 2; StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3
1. Kann ein Zeuge in der Hauptverhandlung nicht abschließend
vernommen werden, können Aufklärungsgesichtspunkte
die Verlesung von Niederschriften über frühere
Vernehmungen rechtfertigen.
2. Allein die auslandsspezifische Hilflosigkeit eines Tatopfers und
dessen Angst vor ausländer- und strafrechtlichen Konsequenzen
seines illegalen Aufenthalts begründen noch keine schutzlose
Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB.
BGH, Beschluss vom 4. April 2007 - 4 StR 345/06 - Landgericht
Saarbrücken
1.
- 2 -
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 4. April 2007
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revisionen der Angeklagten B. , Sch. , S. und St. wird das
Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14. Dezember 2005,
soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Auf die Revisionen der Angeklagten J. , K. , D. , Z. und Ke. wird
das vorbezeichnete Urteil, soweit es den jeweiligen
Beschwerdeführer betrifft, jeweils mit den Feststellungen
aufgehoben
1. hinsichtlich des Angeklagten J.
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a) in den Fällen 4, 6, 8d, 10, 11, 12b, 12e, 15, 17b, 19a,
20a, 22, 24, 26a, 26b, 28d, 28f, 28h und 29b der Urteilsgründe
insgesamt,
b) in den Fällen 8a, 19b, 28b, 29a der Urteilsgründe
im Strafausspruch,
2. hinsichtlich des Angeklagten K.
a) in den Fällen 28e, 28g, 28i der Urteilsgründe
insgesamt,
b) im Fall 28c der Urteilsgründe im Strafausspruch,
3. hinsichtlich des Angeklagten D.
in den Fällen 16, 39 der Urteilsgründe insgesamt,
4. hinsichtlich des Angeklagten Z.
im Fall 39 der Urteilsgründe insgesamt,
5. hinsichtlich des Angeklagten Ke.
a) im Fall 32 der Urteilsgründe (= UA 72, Punkt 40 der
Anklage) insgesamt,
b) in den Fällen 38, 43 der Urteilsgründe im
Strafausspruch,
sowie jeweils im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
- 4 -
III. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten J. , K. , D. , Z.
und Ke. werden verworfen.
IV. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken
zurückverwiesen.
- 5 -
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt:
1
Den Angeklagten B. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und
sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben
Jahren,
2
den Angeklagten Sch. wegen Vergewaltigung in neun Fällen unter
Einbeziehung von Freiheitsstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren,
3
den Angeklagten St. wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren,
4
den Angeklagten J. wegen Vergewaltigung in elf Fällen, davon
in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung, sowie wegen sexueller Nötigung und
wegen Vergewaltigung in elf Fällen, davon in zwei
Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung, jeweils unter Einbeziehung von
Freiheitsstrafen aus Vorverurteilungen zu Gesamtfreiheitsstrafen von
acht und von neun Jahren,
5
den Angeklagten K. wegen Vergewaltigung in vier Fällen unter
Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
sieben Jahren,
6
den Angeklagten S. wegen Vergewaltigung in vier Fällen unter
Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
sieben Jahren und drei Monaten,
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- 6 -
den Angeklagten D. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen,
Zuhälterei, Erpressung in drei Fällen, Raub,
Unterschlagung, Anstiftung zu Urkundenfälschung und Betrug
sowie fahrlässiger
Straßenverkehrsgefährdung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren,
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den Angeklagten Z. wegen Vergewaltigung und vorsätzlicher
Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr
und zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt
wurde, und
9
den Angeklagten Ke. wegen Vergewaltigung in drei Fällen, in
einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung, sowie wegen zwei weiteren Fällen
der vorsätzlichen Körperverletzung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten.
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Hinsichtlich des Angeklagten D. hat es ferner eine Maßregel
nach §§ 69, 69a StGB angeordnet.
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Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die
Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten
Revisionen. Diese haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen
Umfang Erfolg.
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I.
Auf die von den Angeklagten B. , Sch. , S. und St. erhobenen
Verfahrensrügen kommt es nicht an, da das Urteil hinsichtlich
dieser Angeklagten bereits auf die Sachrüge aufzuheben ist.
Die von den übrigen Angeklagten erhobenen
Verfahrensbeschwerden greifen nicht durch (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Erörterung bedürfen nur folgende Rügen:
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1. Die Revisionen der Angeklagten J. und K. machen erfolglos eine
Verletzung des sich aus Art. 6 Abs. 3 d EMRK ergebenden
Konfrontationsgebots geltend.
14
Der Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zu Grunde: Die
Zeugin Ba. , zu deren Nachteil die abgeurteilten Taten der
Beschwerdeführer verübt worden sein sollen, konnte
lediglich an drei der 53 Hauptverhandlungstage vernommen werden, wobei
sie nur bis zu Fall 4 der Urteilsgründe befragt werden konnte.
Eine weitere Vernehmung der Zeugin war nicht möglich, da diese
infolge einer posttraumatischen Belastungsstörung mit der
Gefahr einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach
Extrembelastung vernehmungsunfähig geworden war. Daraufhin
wurden gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO die
Niederschriften über die polizeilichen Vernehmungen der Zeugin
im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung
eingeführt. Im Rahmen dieser umfangreichen Vernehmungen, die
sich über einen Zeitraum von drei Monaten erstreckten, hat die
Zeugin den Sachverhalt im Sinne der getroffenen Feststellungen
wiedergegeben. Allerdings konnte sie damals nur die Nachnamen der
Angeklagten D. und Ke. angeben, von den übrigen Angeklagten
waren ihr lediglich Vornamen oder Namenskürzel bekannt. Weder
die Angeklagten noch deren Verteidiger hatten Gelegenheit, bei den
polizeilichen Vernehmungen anwesend zu sein und die Zeugin zu befragen.
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Die Revisionen vertreten zwar zutreffend die Ansicht, es sei nicht auf
ein Verschulden der Justiz zurückzuführen, dass die
Angeklagten und deren Verteidiger nicht die Möglichkeit
hatten, die Zeugin zu befragen; ihre Auffassung, das Landgericht habe
die Angeklagten nicht verurteilen dürfen, weil die verlesene
Aussage der Hauptbelastungszeugin nicht durch hinreichend gewichtige
anderweitige Beweismittel gestützt werde, teilt der Senat aber
nicht. Dass eine
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- 8 -
Konfrontation der Angeklagten mit der Zeugin hinsichtlich der
abgeurteilten Fälle nicht erfolgt ist, führt nicht
ohne weiteres zur Annahme eines Konventionsverstoßes. Ein
solcher ist nicht gegeben, wenn die Verteidigungsrechte, deren
Verletzung geltend gemacht wird, insgesamt angemessen gewahrt wurden,
das Verfahren in seiner Gesamtheit fair war. Dies erfordert eine
besonders sorgfältige und kritische tatrichterliche
Beweiswürdigung. Auf die Angaben eines Zeugen, der vom
Angeklagten nicht befragt werden konnte, kann eine Feststellung
regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn
diese Bekundungen durch andere wichtige Gesichtspunkte
außerhalb der Aussage bestätigt werden; die
Zeugenaussage darf nicht das einzige Beweismittel sein, sondern muss
durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage
gestützt werden (BGH NStZ-RR 2005, 321 m.w.N.; NJW 2005, 1132;
vgl. auch EGMR JR 2006, 289 m. Anm. Gaede).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil noch gerecht. Das
Landgericht hat die sich aus Art. 6 Abs. 3 d EMRK ergebende Problematik
erkannt, dieser durch eine eingehende Beweiswürdigung Rechnung
getragen und hinreichend gewichtige andere Beweismittel gefunden, die
die Richtigkeit der Aussage der Zeugin Ba. bestätigen. Zu
diesen durfte das Landgericht neben seinem eigenen
persönlichen Eindruck, den es von der Zeugin während
deren Aussage in der Hauptverhandlung gewonnen hat, auch die Angaben
der Vernehmungsbeamten über die psychische Verfassung der
Zeugin bei ihren polizeilichen Aussagen zählen (vgl. BGH
NStZ-RR 2004, 87); danach zeigte sie während der dreimonatigen
Vernehmungen starke psychische Regungen und durchlebte den Sachverhalt
offensichtlich wieder. Weiterhin war zu berücksichtigen (vgl.
BGH NJW 2005, 1132, 1133), dass die Einlassung des Angeklagten Ke. die
Angaben der Zeugin in den verlesenen Protokollen maßgeblich
bestätigte: Er gab an, die Zeugin habe in der Vorstellung
gelebt, mangels gültigen
17
- 9 -
Ausweises eingesperrt zu werden, wenn sie zur Polizei ginge, sie habe
auch Angst vor dem Angeklagten D. und davor gehabt, wieder in die
Gewalt der "russischen Mafia" zu geraten; ferner habe sie berichtet,
sie habe mit mehreren Männern schlafen müssen. Der
Angeklagte D. selbst bestätigte bei seiner
ermittlungsrichterlichen Vernehmung, mit der Zeugin sexuell verkehrt zu
haben, obgleich sie dies nicht wollte, auch habe er sie der
Prostitution zugeführt und ihr - was der Zeuge H. in der
Hauptverhandlung bestätigte - einen Armreif abgepresst. All
dies steht in Einklang mit den Angaben der Zeugin bei ihren
polizeilichen Vernehmungen. Die Ermittlungen haben auch die Angaben der
Zeugin zum örtlichen und zeitlichen Geschehensablauf
bestätigt. Angesichts dieser Umstände und im Hinblick
auf die besondere Beweislage bei Sexualstraftaten (vgl. EGMR NJW 2003,
2297, 2298), die häufig dadurch gekennzeichnet ist, dass das
durch das Geschehen traumatisierte Opfer alleiniges Beweismittel ist,
wird die verlesene Aussage der Zeugin durch hinreichend gewichtige
andere Beweismittel gestützt, auch wenn die Feststellungen zum
Tatkerngeschehen, soweit es die Beschwerdeführer betrifft, auf
den verlesenen Angaben der Zeugin beruhen.
2. Der Beschwerdeführer J. rügt, die
Vernehmungsniederschriften der Aussagen der Zeugin Ba. hätten
nicht nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden
dürfen, weil die Zeugin - jedenfalls teilweise - in der
Hauptverhandlung vernommen worden sei: Die Vorschrift erlaube nach
ihrem Wortlaut lediglich eine "ersetzende", nicht aber eine
"ergänzende" Verlesung der Niederschrift über die
Vernehmung eines Zeugen.
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Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, da sie dem
Regelungszusammenhang der §§ 249 ff. StPO
entgegensteht. Nach § 249 Satz 1 StPO werden Urkunden und
andere als Beweismittel dienende Schriftstücke in der
Hauptverhandlung verlesen. § 250 Satz 2 StPO macht im
Interesse der Sach-
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- 10 -
aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) hiervon eine
Ausnahme, indem er die Vernehmung der Beweisperson über die
von ihr wahrgenommenen Tatsachen der Verlesung von
Vernehmungsprotokollen oder schriftlichen Mitteilungen vorzieht. Wo
eine solche Vernehmung aber nicht möglich ist,
schließt § 251 StPO die entstehende
Aufklärungslücke, indem er die Ersetzung der
Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung einer Niederschrift
über seine Vernehmung oder einer von ihm stammenden
schriftlichen Erklärung gestattet.
Aufklärungslücken können jedoch auch dann
auftreten, wenn ein Zeuge zwar in der Hauptverhandlung erscheint, seine
Angaben aber, sei es auf Grund eines nunmehr geltend gemachten
Aussageverweigerungsrechts, sei es wegen plötzlichen Todes
oder - wie hier - auf Grund eingetretener
Vernehmungsunfähigkeit unvollständig sind. In diesen
Fällen kann es die in § 244 Abs. 2 StPO normierte
Pflicht zu umfassender Sachaufklärung ebenfalls erfordern, die
fehlenden Teile einer Aussage in der Hauptverhandlung
gemäß § 251 StPO zu "ersetzen". Eine
"Sperrwirkung" könnte sich allenfalls aus einem - in der
Strafprozessordnung allerdings keineswegs unter allen
Umständen geforderten - Vorrang des Personalbeweises vor dem
Urkundsbeweis ergeben. Dieser Gesichtspunkt scheidet bei schriftlichen
Erklärungen der Beweisperson von vornherein aus. Da anders als
bei Protokollen, über deren Entstehung und Inhalt
regelmäßig die beteiligten Verhörspersonen
als Zeugen vernommen werden können, bei schriftlichen
Erklärungen in der Regel nur der Aussteller selbst die Art der
Entstehung und den Inhalt der Erklärung aus eigenem Wissen
wiedergeben kann, ist für schriftliche Erklärungen in
der Rechtsprechung anerkannt, dass deren Inhalt auch dann durch
Verlesung in die Verhandlung eingeführt werden kann, wenn die
Beweisperson in der Hauptverhandlung ausgesagt hat (BGHSt 20, 160; BGH
JZ 1987, 315).
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- 11 -
Soweit der 5. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 1975 -
5 StR 407/75, auf die in späteren Entscheidungen Bezug
genommen wird (Beschlüsse vom 5. Dezember 1978 - 5 StR 767/78
- und vom 26. Juli 1983 - 5 StR 310/83 - NStZ 1984, 211
[Pfeiffer/Miebach]), ohne nähere Begründung
ausführt, die Niederschrift über die polizeiliche
Vernehmung eines Zeugen, der über einige am Rande liegenden
Umstände in der Hauptverhandlung zur Sache ausgesagt,
hinsichtlich wichtiger Fragen allerdings nach § 55 StPO die
Auskunft verweigert habe, hätte nicht nach § 251 Abs.
2 StPO (a.F.) verlesen werden dürfen, umso weniger, als die
Möglichkeit bestanden habe, den vernehmenden Polizeibeamten zu
hören, geht er ersichtlich von einem Vorrang des
Personalbeweises aus. Ob dies überhaupt eine
tragfähige Begründung sein kann, muss der Senat nicht
entscheiden (kritisch Diemer in KK 5. Aufl. § 251 Rdn. 10 a;
K. Meyer JR 1987, 523, 524; D. Meyer MDR 1977, 543, 544; offen gelassen
in BGH JZ 1987, 315), da sie jedenfalls in Ausnahmefällen
unter Aufklärungsgesichtspunkten keine Gültigkeit
beanspruchen kann. Dementsprechend hat der 2. Strafsenat die Verlesung
der polizeilichen Aussage im Fall eines Zeugen, der in der
Hauptverhandlung Angaben zur Sache im Hinblick auf ein gegen ihn wegen
des Verdachts der uneidlichen Falschaussage eingeleitetes
Ermittlungsverfahren verweigert hat, nach § 251 StPO a.F.
für zulässig erachtet, wenn der Zeuge von seinem
Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO umfassend Gebrauch
macht, Gründe der Aufklärungspflicht der Verlesung
nicht entgegenstehen, alle Verfahrensbeteiligten mit der Verlesung
einverstanden sind und auf die Vernehmung der Verhörsperson
verzichten. Wo es nur um den Aussageinhalt als solchen gehe, lasse sich
dieser regelmäßig am zuverlässigsten durch
das Protokoll feststellen. In diesem Fall könne es der auch
§ 250 Satz 2 StPO zu Grunde liegende Gedanke
bestmöglicher Sachaufklärung gerade erfordern, von
diesem Beweismittel Gebrauch zu machen (NStZ 2002, 217 ff.).
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Letzteres trifft auf den vorliegenden Fall zu. Zu den
Umständen des Zustandekommens der verlesenen Aussage hat das
Landgericht die Vernehmungsbeamten in der Hauptverhandlung
gehört. Es liegt jedoch auf der Hand, dass diese den Inhalt
der längere Zeit zurückliegenden, mehrere hundert
Seiten umfassenden Vernehmungsprotokolle im Einzelnen nicht mehr
zuverlässig wiedergeben können. Deren Verlesung war
daher zusätzlich zu der Vernehmung der Polizeibeamten nach
§ 251 Abs. 1 StPO nicht nur rechtlich zulässig,
sondern unter Aufklärungsgesichtspunkten zwingend geboten.
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II.
1. Soweit das Landgericht die Angeklagten wegen Vergewaltigung
beziehungsweise sexueller Nötigung verurteilt hat, unterliegt
das Urteil - bis auf die zu II. 2. aufgeführten Fälle
- auf die Sachrügen der Angeklagten der Aufhebung, da die
bisher getroffenen Feststellungen in diesen Fällen die Annahme
des Landgerichts, die Zeugin Ba. habe sich in einer schutzlosen Lage
befunden, was die Angeklagten zur Tatbegehung ausgenutzt
hätten, nicht tragen und auch keine der anderen
Tatbestandsalternativen des § 177 Abs. 1 StGB belegen.
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a) Nach den Feststellungen war die Zeugin Ba. im November 2001 mit
einem Touristenvisum aus Usbekistan in die Bundesrepublik eingereist,
um hier Geld zu verdienen. Sie war zur Ausübung der
Prostitution auf freiwilliger Basis grundsätzlich bereit.
Über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte sie
nicht. Zunächst war sie an äußerst
gewalttätige Karlsruher Zuhälter geraten. Im Juli
2002 entzog sie sich dieser Gruppe, nachdem sie einen schwerwiegenden
Übergriff auf ihren damaligen Freund, der danach unter
ungeklärten Umständen verstarb, hatte miterleben
müssen, und kam statt dessen zu den Angeklagten. Das
Landgericht stützt seine Annahme, die Angeklagten
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- 13 -
hätten bei ihren sexuellen Übergriffen auf die Zeugin
jeweils deren schutzlose Lage ausgenutzt, auf folgende Feststellungen:
"Sämtlichen Angeklagten war bekannt, dass sich Frau Ba. ohne
gültige Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik bzw. in
Frankreich aufhielt und dass sie davon ausging, sich nicht an die
Polizei oder sonstige Behörden wenden zu können, da
sie dann unweigerlich inhaftiert, gegebenenfalls bestraft und in ihr
Heimatland abgeschoben werde. Dort erwartete sie ihrer Vorstellung nach
- wie die Angeklagten wussten - eine weitere mehrjährige
Inhaftierung. Außer den Angeklagten verfügte Frau
Ba. auch über keine persönlichen Verbindungen oder
Kontakte, die ihr eine Erfolg versprechende Alternative geboten
hätten, den Angeklagten dauerhaft zu entkommen. Die
Angeklagten erkannten jeweils, dass Frau Ba. aufgrund dessen in
Widerstandshandlungen keinen Sinn sah, weil sie sich ihnen schutzlos
ausgeliefert fühlte. Sie nutzten dies aus, um sie zur Duldung
der sexuellen Übergriffe zu veranlassen."
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b) Diese Feststellungen begründen das Vorhandensein einer
schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht.
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aa) Mit dieser durch das 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I
1607) in den § 177 StGB eingefügten
Tatbestandsvariante wollte der Gesetzgeber Strafbarkeitslücken
schließen, die sich in der Praxis insbesondere bei den
früher unter § 237 StGB a.F. fallenden
Entführungsfällen gezeigt haben, in denen der
Täter das Opfer an einen Ort verbringt, an dem es fremde Hilfe
nicht erwarten kann, dem körperlich überlegenen
Täter ausgeliefert ist und angesichts seiner hilflosen Lage
eine Verteidigung für sinnlos hält (BTDrucks. 13/7324
S. 6). Mit der neuen Tatbestandsvariante sollten Fälle erfasst
werden, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit
gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers
gedroht wird, dieses die Tat aber aus Angst vor Gefahren für
Leib oder
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- 14 -
Leben über sich ergehen lässt, weil es sich in einer
hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den
überlegenen Täter aussichtslos erscheint (vgl. BGHSt
50, 359, 365 m.w.N.; BGH NStZ 2003, 533, 534). Dabei reicht es aus,
wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in
einem solchen Maß vermindert sind, dass es dem ungehemmten
Einfluss des Täters preisgegeben ist; eines
gänzlichen Beseitigens jeglicher
Verteidigungsmöglichkeiten bedarf es nicht (BGHSt 44, 228,
231, 232 m.w.N.).
Erforderlich ist stets, dass sich das Opfer aus Angst vor
körperlicher Beeinträchtigung nicht gegen den
Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies
aus Angst vor der Zufügung anderer Übel
unterlässt (vgl. BGH NStZ 2003, 533 f.: Angst des Opfers vor
Zerstörung seiner Ehe durch den Täter). Eine
Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Ausnutzens einer schutzlosen Lage
dahin, dass es auch Fälle erfasst, in denen der Verzicht auf
möglichen Widerstand allein darauf beruht, dass das Opfer
Nachteile nichtkörperlicher Art befürchtet,
würde der Vorschrift des § 177 StGB die innere
Stimmigkeit nehmen, da auch die Nötigungsvariante des
§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf Drohungen mit
gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben
beschränkt ist. Für Willensbeugungen anderer Art
kommt lediglich der Tatbestand der Nötigung, § 240
Abs. 1 und 4 StGB, in Betracht.
28
bb) Daran gemessen belegen die Feststellungen eine schutzlose Lage der
Zeugin Ba. nicht, denn danach nutzten die Angeklagten in den fraglichen
Fällen lediglich die auslandsspezifische Hilflosigkeit des
Tatopfers und die Tatsache aus, dass sich die Zeugin aus Angst vor
ausländer- und strafrechtlichen Konsequenzen ihres illegalen
Aufenthalts nicht gegen die sexuellen Übergriffe der
Angeklagten zu wehren wagte.
29
- 15 -
Zwar liegt es in einzelnen Fällen nahe, dass die Zeugin Ba. im
Falle einer Weigerung mit Gewalttätigkeiten rechnen musste. So
wurde sie beispielsweise in Fall 3 der Urteilsgründe auf ihre
Ablehnung hin von dem Angeklagten Sch. gefragt, ob sie sich wichtig
machen wolle, was die Zeugin als Drohung auffasste. Im selben
Zusammenhang äußerte der Angeklagte S. , sie solle
froh sein, nicht in Karlsruhe zu sein, wo man sie schlage (UA 44). In
Fall 4 machte der Angeklagten J. ihr "klar, dass er Widerspruch nicht
duldete" (UA 46) und im Fall 5 wurde ihr von den Angeklagten J. und St.
bedeutet, es gebe, wenn sie bei ihnen in der Gruppe sei, kein "ich will
nicht" (UA 47). Das Landgericht hat aber hinsichtlich dieser und
anderer Äußerungen nicht festgestellt und
erörtert, dass die Zeugin Ba. im Falle einer Weigerung mit
Tätlichkeiten rechnete und gerade deshalb der Vornahme
sexueller Handlungen keinen Widerstand entgegensetzte. Soweit im Fall
28a der Urteilsgründe festgestellt ist, dass die Zeugin sich
dem Verlangen des Angeklagten Sch. nach Durchführung des
Oralverkehrs nicht zu widersetzen wagte, weil sie in vergleichbarer
Situation von dem ebenfalls anwesenden Angeklagten J. geschlagen worden
war (UA 66), ist jedenfalls der entsprechende Vorsatz des Angeklagten
Sch. nicht belegt, da die Zeugin zwischenzeitlich in zahlreichen
Fällen mit den Angeklagten sexuell verkehrt hatte, ohne nach
den Feststellungen dazu gezwungen worden zu sein.
30
2. In folgenden Einzelfällen wird der Schuldspruch wegen
Vergewaltigung beziehungsweise sexueller Nötigung von den
Feststellungen getragen:
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a) Im Fall 8a der Urteilsgründe ist festgestellt, dass der
Angeklagte J. die Zeugin Ba. durch Androhung eines Schlags auf den Kopf
und nachfolgenden Faustschlag auf den Rücken zum Oralverkehr
zwang. Wegen der ihr widerfahrenen Misshandlung, wegen der Angst vor
weiteren Schlägen
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- 16 -
und weil sie wegen der Anwesenheit fünf weiterer
Männer, von denen ihr trotz ihrer Bitte keiner gegen die
Übergriffe des J. geholfen hatte, sah die Zeugin keine
Abwehrmöglichkeit. Das Landgericht hat den Angeklagten
insoweit zutreffend wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit
vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt, wobei der
Angeklagte die Zeugin nicht nur unter Ausnutzung einer schutzlosen
Lage, sondern zugleich mit Gewalt und durch Drohung mit
gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben
nötigte (§ 177 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 3 StGB).
b) Auch in den Fällen 19b, 28b und 29a der
Urteilsgründe tragen die Feststellungen die
Schuldsprüche wegen sexueller Nötigung
beziehungsweise wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit
vorsätzlicher Körperverletzung. In diesen
Fällen zwang der Angeklagte J. die Zeugin Ba. unter Einsatz
von Gewalt zur Durchführung einer sexuellen Handlung an seinem
knapp einjährigen Sohn (Fall 19b) beziehungsweise zur Duldung
des Analverkehrs (Fälle 28b und 29a). Deswegen ist zwar nicht
der Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, wohl aber der des
§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Entgegen der Ansicht
der Revision ist im Übrigen im Fall 19b die
Erheblichkeitsgrenze des § 184 f StGB überschritten,
auch wenn es lediglich zu einem Kuss des Genitals und nicht zu dem vom
Angeklagten geforderten Oralverkehr mit dem Kleinkind kam.
33
c) Bezüglich des Angeklagten K. ist im Fall 28c der
Urteilsgründe eine Ausnutzung der schutzlosen Lage belegt,
weil er bei der Tat billigend in Kauf nahm, dass die Zeugin nur wegen
der unmittelbar vorausgegangenen brutalen Behandlung durch den
Angeklagten J. und in dem Bewusstsein, gegen drei Männer
nichts ausrichten zu können, den Oralverkehr ausübte,
und es sich tatsächlich auch so verhielt.
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- 17 -
d) Hinsichtlich des Angeklagten Ke. tragen die zu den Fällen
38 und 43 getroffenen Feststellungen die Schuldsprüche, weil
der Angeklagte die Zeugin jeweils mit Gewalt zu den sexuellen
Handlungen nötigte und dadurch den Tatbestand des §
177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklichte.
35
e) Soweit der Senat in den vorstehend aufgeführten
Fällen anders als das Landgericht die Tatbestände des
§ 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB als erfüllt ansieht,
steht § 265 Abs. 1 StPO der Änderung der rechtlichen
Bewertung nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich die
Angeklagten gegen den so begründeten Vorwurf anders als
geschehen hätten verteidigen können (vgl. BGH,
Beschluss vom 9. August 2005 - 3 StR 464/04 S. 8).
36
3. Der Senat hebt die Einzelstrafaussprüche wegen der zu 2a)
bis d) genannten Taten auf, um dem neuen Tatrichter, auch im Hinblick
auf den engen inneren Zusammenhang der Sexualstraftaten insgesamt, eine
einheitliche Strafzumessung zu ermöglichen. Bei dieser wird
auch der jeweilige Unrechtsgehalt der einzelnen Tat, wie er in der Art
und Intensität des sexuellen Übergriffs zum Ausdruck
kommt, zu berücksichtigen sein.
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- 18 -
4. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigungen hat hinsichtlich der weiteren, den
Angeklagten D. , Z. und Ke. zur Last gelegten Taten keinen Rechtsfehler
in den Schuld- und Strafaussprüchen ergeben.
38
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Ri'inBGH Sost-Scheible ist durch Urlaub gehindert zu
unterschreiben
Tepperwien |