BGH,
Beschl. v. 4.8.2009 - StB 37/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
StB 37/09
vom
4. August 2009
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Rädelsführerschaft in einer
ausländischen terroristischen Vereinigung u. a.;
hier: Beschwerde des Zeugen N. gegen die Anordnung von Haft
zur Erzwingung des Zeugnisses
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 4. August 2009 gemäß
§ 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO, § 135 Abs. 2
GVG beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Zeugen N. wird der Beschluss des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. Juli 2009 über
die Anordnung von Beugehaft aufgehoben.
Der Beschwerdeführer ist unverzüglich aus der Haft zu
entlassen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschwerdeführer
entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe:
I.
Vor dem 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf findet
zurzeit die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten E. statt. Diesem
wird im Wesentlichen vorgeworfen, Mitglied des Zentralkommitees der
DHKP-C gewesen zu sein und in dieser Eigenschaft von Deutschland aus in
den Jahren 1993 bis 2005 an der Begehung mehrerer
Terroranschläge in der Türkei mitgewirkt zu haben
bzw. für diese verantwortlich zu sein.
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In der Sitzung vom 2. Juli 2009 wurde der Beschwerdeführer als
Zeuge vernommen. Auf die Frage des Sitzungsvertreters des
Generalbundesanwalts, ob er eine Person namens A. kenne, hat der Zeuge
zunächst die Auskunft unter Berufung auf § 55 StPO
verweigert und diese Frage nach der Feststellung des Strafsenats, dass
er hierzu nicht berechtigt ist, mit "Ja" beantwortet. Auf die folgende
Frage des Sitzungsvertreters, aus welchem Zusammenhang er den A. kenne,
hat der Beschwerdeführer unter Berufung auf § 55 StPO
erneut die Antwort verweigert und an dieser Weigerung festgehalten,
nachdem der Strafsenat wiederum seine fehlende Berechtigung zur
Auskunftsverweigerung festgestellt hatte. Deswegen hat das
Oberlandesgericht gegen den Zeugen unter Auferlegung der durch dessen
Auskunftsverweigerung verursachten Kosten ein Ordnungsgeld von 500
€, ersatzweise für je 100 € einen Tag
Ordnungshaft, angeordnet und die Verhängung von Beugehaft
angedroht.
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Nachdem der Zeuge die Auskunft weiterhin verweigert hatte, hat das
Oberlandesgericht zur Erzwingung des Zeugnisses Haft bis zu einer Dauer
von drei Monaten gegen den Beschwerdeführer beschlossen und
dessen Inhaftnahme sowie Vorführung zum nächsten
Hauptverhandlungstermin am 3. August 2009 verfügt. Gegen diese
Anordnung von Beugehaft richtet sich die Beschwerde des Zeugen, der das
Oberlandesgericht nicht abgeholfen hat.
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II. Das Rechtsmittel ist gemäß § 304 Abs. 4
Satz 2 Nr. 1 StPO zulässig und hat Erfolg, weil dem
Beschwerdeführer hinsichtlich der nicht beantworteten Frage
ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO zusteht.
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1. Die Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne des § 55 StPO
setzt voraus, dass der Zeuge Tatsachen bekunden müsste, die -
nach der Beurteilung durch das Gericht - geeignet sind, unmittelbar
oder mittelbar den Anfangsverdacht einer von ihm selbst oder von einem
Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) begangenen Straftat zu
begründen oder einen bereits bestehenden Verdacht zu
bestärken. Bloße Vermutungen ohne Tatsachengrundlage
oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen für
die Annahme einer Verfolgungsgefahr nicht aus (vgl. BGH NJW 1994, 2839;
Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 55 Rdn. 7). Eine das
Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr
im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht grundsätzlich
dann nicht mehr, wenn gegen den Zeugen hinsichtlich der Tat, deren
Begehung er sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung
der Frage verdächtig machen könnte, bereits ein
rechtskräftiges Urteil vorliegt, die Strafklage daher
verbraucht ist, oder die Straftat verjährt wäre und
deswegen zweifelsfrei ausgeschlossen ist, dass er für diese
noch verfolgt werden könnte (vgl. Meyer-Goßner aaO
Rdn. 8 m. w. N.).
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a) Hinsichtlich des Strafklageverbrauchs gelten im Bereich der
Organisationsdelikte grundlegende Besonderheiten: Danach werden im
Vergleich zu §§ 129, 129 a, 129 b StGB schwerere
Straftaten, die mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der
Vereinigung in Tateinheit stehen, dann nicht von der Rechtskraft eines
allein wegen dieser Beteiligung ergangenen Urteils erfasst, wenn sie in
dem früheren Verfahren tatsächlich nicht - auch nicht
als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt - Gegenstand der Anklage und
der Urteilsfindung waren (BGHSt 29, 288). Daher ist ein wegen eines
Organisationsdelikts Verurteilter durch die Rechtskraft des
früheren Urteils nur vor weiterer Strafverfolgung wegen dieses
Delikts und tateinheitlich mit diesem zusammentreffender weiterer,
nicht schwerer wiegender Straftaten geschützt (st. Rspr.; vgl.
BGH NStZ 2002, 607, 608).
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b) Eine Verfolgungsgefahr ist bei Vorliegen einer
rechtskräftigen Verurteilung ferner dann nicht
auszuschließen, wenn zwischen der abgeurteilten Tat und
anderen Straftaten, derentwegen der Zeuge noch verfolgt werden
könnte, ein so enger Zusammenhang besteht, dass die
Beantwortung von Fragen zu der abgeurteilten Tat die Gefahr der
Verfolgung wegen dieser anderen Taten mit sich bringt (vgl. BGH NStZ-RR
2006, 239; NStZ 2006, 509; StraFo 2008, 423 m. w. N.)
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Ein entsprechender Zusammenhang kann auch bei einem - insoweit bereits
rechtkräftig verurteilten - Mitglied einer terroristischen
Vereinigung gegeben sein, wenn es so in die Strukturen der Vereinigung
eingebunden, insbesondere in einer derart herausgehobenen Stellung
tätig war, dass er schon deswegen (allgemein) oder aufgrund
der spezifischen Sachzusammenhänge weiterer Straftaten
verdächtig ist, die aus der Vereinigung heraus begangen worden
sind und für die nach obigen Grundsätzen in seiner
Person Strafklageverbrauch nicht eingetreten ist. Die von einer
terroristischen Vereinigung begangenen Straftaten sind vielfach dadurch
gekennzeichnet, dass sie von einem begrenzten Kreis von Tätern
begangen werden, die sich kennen oder zumindest voneinander wissen,
untereinander - teils über Dritte - in (konspirativem) Kontakt
stehen und von den terroristischen Aktivitäten der anderen
Mitglieder zumindest aus Treffen, internen Mitteilungen oder
Gesprächen Kenntnis haben. Daher kann schon die Aufdeckung der
Zusammenhänge des Sichkennens einzelner Mitglieder der
Vereinigung nicht selten auch Rückschlüsse
über deren Beteiligung sowie der von weiteren Mitgliedern an
(anderen) Taten der Vereinigung zulassen, so dass diese Erkenntnisse -
unter Umständen mit weiteren schon bekannten Tatsachen -
"Teilstücke in einem mosaikartig zusammengesetzten
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Beweisgebäude" werden können (vgl. BVerfG NJW 2002,
1411; BGH NJW 1999, 1413 m. w. N.).
2. Nach diesen Maßstäben kann die angefochtene
Entscheidung nicht bestehen bleiben. Für den
Beschwerdeführer ist bei Beantwortung der Frage eine
Verfolgungsgefahr nicht ausgeschlossen.
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a) Der Zeuge wurde durch Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts
Hamburg vom 5. Januar 2000 rechtskräftig wegen
Rädelsführerschaft in einer terroristischen
Vereinigung zur Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten
verurteilt, die er bis zum Jahr 2005 verbüßt hat.
Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer
nach seiner Einreise nach Deutschland im Februar 1992
führender Funktionär der DHKP-C und zunächst
von Anfang 1995 bis zu seiner (ersten) Verhaftung Mitte 1995 sowie
erneut spätestens ab September 1997 sogar Deutschland- und
Europaverantwortlicher dieser Vereinigung war.
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b) Wegen dieser (herausgehobenen) Führungsrolle innerhalb der
DHKP-C ist nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer in
den 1990er Jahren an weiteren, bislang nicht abgeurteilten Straftaten
in Deutschland und in der Türkei - etwa an solchen, wie sie
dem Angeklagten E. zur Last liegen - beteiligt war, für die
Strafklageverbrauch durch seine Verurteilung durch das Hanseatische
Oberlandesgericht Hamburg nach den oben dargestellten
Maßstäben nicht eingetreten ist und die auch noch
nicht verjährt sind. Bei (wahrheitsgemäßer)
Beantwortung der Frage, aus welchem Zusammenhang er den A. kenne,
bestünde für den Beschwerdeführer die
Gefahr, dass er durch Preisgabe der Hintergründe und des
Zusammenhangs seiner Beziehung zu dieser Person zugleich auch
Umstände zu weiteren eigenen, noch verfolgba-
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ren Straftaten offenbart oder dadurch ein bestehender Verdacht
verstärkt wird. Dies wird insbesondere bei
Berücksichtigung des Umstandes deutlich, dass nach - im
Dezember 2004 gemäß § 153 c Abs. 1 Nr. 3
StPO abgeschlossenen - Ermittlungen der früheren
Generalstaatsanwaltschaft bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht
gegen A. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer
(inländischen) terroristischen Vereinigung dieser ab Januar
1998 bis zur (zweiten) Festnahme des Beschwerdeführers am 15.
Oktober 1999 dessen Fahrer und Sekretär gewesen sein soll. Bei
dieser Sachlage ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass sich durch
die begehrte Auskunft die konkrete Gefahr einer Strafverfolgung des
Beschwerdeführers für vor Oktober 1999 begangene
Straftaten ergibt. Daher kommt es nicht mehr darauf an, ob dem
Beschwerdeführer - wie dieser mutmaßt - durch die
Beantwortung der Frage die Verfolgung von Straftaten droht, die er nach
seiner Haftentlassung im Jahre 2005 begangen haben könnte.
Becker Pfister Hubert |