BGH,
Beschl. v. 4.12.2007 - 5 StR 398/07
5 StR 398/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
4.12.2007
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4.12.2007 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 13. April 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision gegen das genannte Urteil wird
gemäß § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sachbeschädigung in
drei Fällen und wegen versuchter schwerer Brandstiftung in
drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren
verurteilt und ihn zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung
materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat
zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist es aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts musste der Angeklagte am
Tattag sein Wohnheim verlassen, nachdem er auf einen Mitbewohner im
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Rahmen einer aus ungeklärtem Grund begonnenen
Auseinandersetzung mit seiner Krücke eingeschlagen hatte. Der
Angeklagte fühlte sich ungerecht behandelt. Kurz darauf
beschädigte er drei Kraftfahrzeuge ihm unbekannter
Eigentümer, indem er mit Steinen die Autoscheiben einwarf.
Etwa vier Stunden später begab er sich in den Vorraum eines in
der Spandauer Innenstadt gelegenen Reisebüros und
zündete das dort in einer Tonne gelagerte Papier und die auf
einem Tisch ausgelegten Werbeprospekte an. In dem Vorraum, dessen
Fußboden und Decke aus Holz bestanden, entwickelten sich 30
bis 40 Zentimeter hohe Flammen, die jedoch gelöscht werden
konnten, ohne dass es zu einer weiteren Ausbreitung des Brandes kam.
Unmittelbar darauf ging er in ein in der Nähe gelegenes
Kaufhaus und suchte mit Kleidungsstücken aus den Auslagen die
Umkleidekabine auf. Dort zündete er die Bekleidung an und
legte sie auf die Sitzbank, die in Brand geriet, welcher sich auf die
hölzernen Kabinenwände ausbreitete. Ein
Übergreifen auf in der Nähe stehende
Warenträger mit Textilien und auf den Holzfuß-boden
wurde durch Löscharbeiten der Kaufhausangestellten verhindert.
Kurze Zeit darauf wiederholte der Angeklagte diese Vorgehensweise in
einem anderen Kaufhaus in der Spandauer Innenstadt. Dort hing er die in
Brand gesetzten Bademäntel an die Kabinenwand, an der es zu
Einbrennungen kam. Ein in der Kabine befindlicher Hocker geriet in
Brand. Dieser wurde von Kunden bemerkt, die den Brand löschten
und eine Ausbreitung auf in unmittelbarer Nähe befindliche
leicht brennbare Materialien und den hölzernen
Fußboden verhinderten. In allen drei Fällen
beabsichtigte der Angeklagte eine Brandausbreitung auf
größere Teile des Geschäfts und der
Haussubstanz; bei ungehindertem Brandverlauf wäre es wegen der
vielen brennbaren und leicht entzündlichen Materialien hierzu
auch gekommen.
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2. Der Schuldspruch zeigt keine Rechtsfehler zuungunsten des
Angeklagten auf. Soweit allerdings die sachverständig beratene
Strafkammer eine relevante Beeinträchtigung der
Schuldfähigkeit verneint hat, kann das Urteil keinen Bestand
haben.
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Im Anschluss an den Sachverständigen hat das Landgericht
hierzu festgestellt, dass bei dem Angeklagten, der auf Affekte nicht
anspreche und keine Gefühle empfinde, eine antisoziale
Persönlichkeitsstörung bestehe, die aber nicht die
Qualität einer krankhaften seelischen Störung habe.
Das lang hingezogene Tatgeschehen und die komplexen
Handlungsabläufe ergäben keine
Beeinträchtigung der Hemmungsfähigkeit, der
Angeklagte führe vielmehr gezielt und koordiniert einen
bewussten Rachefeldzug durch.
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Diese Erwägungen sind nicht ausreichend, um angesichts der
festgestellten Auffälligkeiten in der Persönlichkeit
des Angeklagten, ihren Auswirkungen auf sein Vorleben und das Tat- und
Nachtatgeschehen eine erhebliche Verminderung der
Steuerungsfähigkeit aufgrund einer schweren anderen seelischen
Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB nachvollziehbar
auszuschlie-ßen. Zwar geht das Landgericht zutreffend davon
aus, dass die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung
nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer schweren anderen seelischen
Abartigkeit ist (BGHSt 49, 347). Für diese Annahme und die
Bewertung der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung der
Steuerungsfähigkeit bedarf es einer Gesamtschau, ob die
Störungen beim Täter sein Leben vergleichbar schwer
und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte
seelische Störungen (BGH NStZ 2006, 154).
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Eine solche Gesamtschau (vgl. BGHR StGB § 21 seelische
Abartigkeit 4, 9, 16, 24, 29) hat das Landgericht aber nicht
angestellt, sondern eine entsprechende Beeinträchtigung der
Gesamtheit des Lebens des Angeklagten ohne weitere Begründung
abgelehnt. Dies ist rechtsfehlerhaft, da der im Urteil festgestellte
Werdegang des Angeklagten keinen Lebensbereich erkennen lässt,
der von einem intakten Sozialverhalten geprägt ist. Daher ist
der Schluss des Landgerichts, dass eine schwerwiegende allgemeine
Einschränkung seiner Handlungskompetenz, wie sie die
Feststellung eines überdauernden Zustands vom Schweregrad des
§ 21 StGB voraussetzt (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2007 - 4
StR 603/06), nicht gegeben ist,
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hier eher fernliegend. In diesem Zusammenhang wäre
nämlich zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte, der
seit seiner Kindheit an einer chronischen Muskelentzündung der
Beine leidet, aufgrund dessen zu 30 Prozent schwerbehindert und auf
Gehhilfen angewiesen ist, von seinen Eltern wegen seiner Behinderung
abgelehnt wurde und seine Kindheit überwiegend in Heimen
verbrachte. Aufgrund seiner lebensfremden Einstellung entschied er sich
schon früh, keinen Beruf erlernen zu wollen, und lebt seit
1982 von Sozialhilfe. Er hat nie gearbeitet. Für die Bewertung
der Beeinträchtigung des bisherigen Lebens des Angeklagten
durch die psychische Störung ist auch von Bedeutung, dass er
zu keiner Zeit Freunde oder eine Intimpartnerin hatte. Zudem
wäre der Umstand, dass er seit etwa einem Jahr in einem
Übergangswohnheim für Obdachlose wohnte, welches er
schließlich aufgrund eines aggressiven Übergriffs
verlassen musste, einzubeziehen gewesen.
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Vor allem der Charakter der Taten als
„Rachefeldzug“ gegenüber einer Vielzahl
von Menschen, die an vermeintlichen Kränkungen oder
Zurücksetzungen des Angeklagten nicht mitgewirkt haben,
wäre als Indiz für die Bewertung des
Ausprägungsgrades der psychischen Störung zu
erörtern gewesen. Auch wäre zu prüfen
gewesen, ob die Umsetzung der Rachepläne vor allem durch
Brandlegung, was auf eine gewisse Affinität zu Feuer
schlie-ßen lässt, im Zusammenhang mit der
diagnostizierten Störung zu sehen ist. Schließlich
wäre im Rahmen der Gesamtschau auch das Verhalten des
Angeklagten nach seiner Festnahme zu berücksichtigen gewesen,
bei dem er erklärte, dass alles erst der Anfang sei, alle
würden für das ihm angetane Unrecht bezahlen, er
werde Menschen töten, es sei ihm gleichgültig, wen es
erwische. Gleiches gilt für die dem Sachverständigen
berichteten Drohungen.
Soweit das Landgericht eine erhebliche Verminderung der
Steuerungsfähigkeit aufgrund der
Persönlichkeitsstörung im Hinblick auf das gezielte
und koordinierte Handeln des Angeklagten ausgeschlossen hat, ist diese
Begründung ebenfalls nicht tragfähig (BGHR StGB
§ 21 seelische Abartigkeit 10, 14, 23). Denn auch bei
geplantem und geordnetem Vorgehen
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kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein,
Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvermögen
gegeneinander abzuwägen und danach seinen Willensentschluss zu
bilden (BGH StraFo 2001, 249).
Dass eine umfassende Beurteilung aller Kriterien zur
Schuldunfähigkeit führt, lässt sich nach den
Feststellungen ausschließen, nicht indes die
Möglichkeit einer erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit. Dies hat die Aufhebung der Einzelstrafen
und der Gesamtstrafe, die für sich genommen nicht
überhöht sind, jedenfalls deshalb zur Folge, weil der
Angeklagte bei Annahme des § 21 StGB zugleich mit der
Anordnung einer Maß-regel nach § 63 StGB rechnen
muss. Sollte das neue Tatgericht nämlich, naheliegend unter
Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen, zu dem Ergebnis
kommen, dass der Angeklagte bei den Taten in seiner
Steuerungsfähigkeit mit Sicherheit erheblich vermindert war,
was ungeachtet der bisherigen Begutachtung keineswegs fernliegt, wird
es auch über die Verhängung einer Maßregel
nach § 63 StGB zu entscheiden haben (§ 358 Abs. 2
Satz 3 StPO).
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