BGH,
Beschl. v. 4.9.2009 - StB 44/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
___________
StB 44/09
vom
4. September 2009
in dem Strafverfahren
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u. a.
zu 2.: Unterstützung einer kriminellen Vereinigung u. a.
hier: Beschwerde des Zeugen Co. gegen die Anordnung von Ordnungsmitteln
zur Erzwingung des Zeugnisses
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. September 2009
gemäß § 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1
StPO beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Zeugen Co. wird der Beschluss des 5.
Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. August
2009 aufgehoben, soweit gegen ihn Beugehaft bis zu einer
Höchstdauer von zwei Monaten angeordnet worden ist.
Der Beschwerdeführer ist unverzüglich aus der Haft zu
entlassen.
Die weitergehende Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen, jedoch wird die Gebühr um die Hälfte
ermäßigt. Von den notwendigen Auslagen des Zeugen im
Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse die Hälfte.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer ist durch rechtskräftiges Urteil
des Landgerichts Koblenz vom 28. November 2008 wegen Mitgliedschaft in
einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr
und sechs Monaten verurteilt worden, weil er als hauptamtlicher Kader
der "Arbeiterpartei Kurdistans" (im Folgenden: PKK) in der Zeit von
Juni 2005 bis Juni 2006 das Gebiet Darmstadt leitete und sich dadurch
als Mitglied an der aus dem führenden
Funktionärskör-
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per der Organisation in Deutschland bestehenden kriminellen Vereinigung
beteiligte. Die Vollstreckung der Strafe ist zur Bewährung
ausgesetzt worden.
Gegenstand der derzeit vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts
Frankfurt am Main stattfindenden Hauptverhandlung gegen die Angeklagten
M. und C. ist zum einen der Vorwurf, der Angeklagte M. habe sich als
Leiter der PKK-Gebiete Nürnberg, Mainz, Darmstadt und Berlin
von Juli 2004 bis zu seiner Festnahme am 26. März 2008 als
Mitglied an einer kriminellen Vereinigung beteiligt. Zum anderen sollen
der Angeklagte C. und zwei weitere hochrangige Jugendkader der PKK im
März 2007 in Darmstadt den als abtrünnig angesehenen
Aktivisten A. in "Parteihaft" genommen haben, um gegen diesen unter
Androhung körperlicher Gewalt eine unberechtigte Geldforderung
für die Organisation durchzusetzen (§ 239 a Abs. 1,
§§ 253, 255, 22, 23 StGB); dadurch soll C. zugleich
die kriminelle Vereinigung unterstützt haben (§ 129
Abs. 1 StGB). Der Angeklagte M. soll zu dieser konkreten Tat Beihilfe
geleistet haben.
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Mit Beweisantrag vom 25. Juni 2009 hat der Generalbundesanwalt die
Vernehmung des Beschwerdeführers als Zeugen beantragt. Mit
Beschluss vom 26. August 2009 hat das Oberlandesgericht entschieden,
der Beschwerdeführer sei nach § 55 StPO berechtigt,
die Auskunft auf mehrere Fragen zu dem mutmaßlichen Tatopfer
A. zu verweigern. Jedoch hat der Vorsitzende in der Hauptverhandlung
dem Beschwerdeführer am 26. und erneut am 27. August 2009 die
Frage gestellt, ob der Angeklagte M. als hauptamtlicher Kader unter dem
Decknamen D. von Juli 2005 bis Juni 2006 das PKK-Gebiet Mainz leitete
und anschließend als Nachfolger des
Beschwerdeführers als Leiter des PKK-Gebiets Darmstadt
tätig war. Der Beschwerdeführer hat auch die
Beantwortung dieser Frage unter Berufung auf ein
Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StGB verweigert. Mit
Beschluss vom 27. August 2009 hat das
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Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer die durch seine
Zeugnisverweigerung entstandenen Kosten auferlegt, zur Erzwingung des
Zeugnisses gegen ihn Ordnungsgeld in Höhe von 250 €,
ersatzweise für je 50 € einen Tag Ordnungshaft,
verhängt sowie zur Erzwingung des Zeugnisses Beugehaft bis zu
einer Höchstdauer von zwei Monaten angeordnet. Zur
Begründung hat es ausgeführt, dem Zeugen stehe
insoweit ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO nicht
zu. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Zeugen, der
das Oberlandesgericht nicht abgeholfen hat.
II.
1. Die Beschwerde ist nur zulässig, soweit sie sich gegen die
Anordnung der Beugehaft richtet.
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Soweit sich der Zeuge gegen die Auferlegung der Kosten sowie die
Verhängung des Ordnungsgeldes, ersatzweise der Ordnungshaft,
wendet, ist das Rechtsmittel unstatthaft. Ein in § 304 Abs. 4
Satz 2 StPO geregelter Fall, in dem ausnahmsweise die Beschwerde gegen
einen Beschluss des im ersten Rechtszug zuständigen
Oberlandesgerichts zulässig ist, liegt insoweit nicht vor. Im
Gegensatz zur Anordnung von Beugehaft ist die Verhängung von
Ersatzordnungshaft keine Verhaftung im Sinne des § 304 Abs. 4
Satz 2 Nr. 1 StPO, weil diese lediglich für den Fall, dass das
Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, sofort festgesetzt wird
(§ 70 Abs. 1 Satz 2 StPO). Sie hat daher keine Verhaftung zum
Inhalt, sondern eine an die Bedingung der Nichtbeitreibbarkeit des
Ordnungsgeldes anknüpfende Entscheidung (st. Rspr.; vgl.
zuletzt BGH, Beschl. vom 4. August 2009 - StB 32/09 m. w. N.).
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2. Die gegen die Anordnung der Beugehaft gerichtete Beschwerde ist
begründet; denn die Voraussetzungen des § 70 Abs. 1
und 2 StPO liegen nicht vor. Der Beschwerdeführer hat das
Zeugnis nicht ohne gesetzlichen Grund verweigert; ihm steht
hinsichtlich der nicht beantworteten Frage ein
Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zu.
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a) Die Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne des § 55 StPO
setzt voraus, dass der Zeuge Tatsachen bekunden müsste, die -
nach der Beurteilung durch das Gericht - geeignet sind, unmittelbar
oder mittelbar den Anfangsverdacht einer von ihm selbst oder von einem
Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) begangenen Straftat zu
begründen oder einen bereits bestehenden Verdacht zu
bestärken. Bloße Vermutungen ohne Tatsachengrundlage
oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen für
die Annahme einer Verfolgungsgefahr nicht aus (vgl. BGH NJW 1994, 2839;
Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 55 Rdn. 7). Eine das
Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr
im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht grundsätzlich
dann nicht mehr, wenn gegen den Zeugen hinsichtlich der Tat, deren
Begehung er sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung
der Frage verdächtig machen könnte, bereits ein
rechtskräftiges Urteil vorliegt, die Strafklage daher
verbraucht ist, oder die Straftat verjährt wäre und
deswegen zweifelsfrei ausgeschlossen ist, dass er für diese
noch verfolgt werden könnte (vgl. Meyer-Goßner aaO
Rdn. 8 m. w. N.).
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Hinsichtlich des Strafklageverbrauchs gelten im Bereich der
Organisationsdelikte allerdings grundlegende Besonderheiten: Danach
werden im Vergleich zu §§ 129, 129 a, 129 b StGB
schwerere Straftaten, die mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung an
der Vereinigung in Tateinheit stehen, dann nicht von der Rechtskraft
eines allein wegen dieser Beteiligung ergangenen Urteils erfasst, wenn
sie in dem früheren Verfahren tatsächlich nicht -
auch nicht als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt - Gegenstand der
Anklage und der Urteils-
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findung waren (BGHSt 29, 288). Daher ist ein wegen eines
Organisationsdelikts Verurteilter durch die Rechtskraft des
früheren Urteils nur vor weiterer Strafverfolgung wegen dieses
Delikts und tateinheitlich mit diesem zusammentreffender weiterer,
nicht schwerer wiegender Straftaten geschützt (st. Rspr.; vgl.
BGH NStZ 2002, 607, 608).
b) Danach erfasst die Rechtskraft des gegen den
Beschwerdeführer ergangenen Urteils vom 28. November 2008
seine etwaige Beteiligung an der konkreten Straftat zum Nachteil des
Zeugen A. nicht. Nach der Begründung des Beweisantrags des
Generalbundesanwalts vom 25. Juni 2009 spricht das Ergebnis von bisher
in der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht erhobenen Beweisen
dafür, dass der Zeuge A. den Beschwerdeführer am Tag
vor der den Angeklagten M. und C. angelasteten Tat in Darmstadt
getroffen und ihm von seinem Entschluss erzählt hat, aus der
Jugendorganisation der PKK auszusteigen. Im Oktober 2007 sei es zu
einem weiteren Zusammentreffen in Zwingenberg gekommen, bei dem der
Beschwerdeführer den Sachverhalt bzw. die Probleme des Zeugen
A. mit der Jugendorganisation thematisiert und ihm geraten habe, die
Sache aus der Welt zu schaffen, da es sonst kein gutes Ende nehme.
Zwischen dem Beschwerdeführer und dem Angeklagten M. habe ein
enger Kontakt bestanden; dieser werde etwa durch die in der
Anklageschrift bezeichneten Telefonate belegt. Unter Hinweis auf diese
Umstände hat das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 26.
August 2009 ausgeführt, es bestehe "die nicht nur theoretische
Möglichkeit, dass der Zeuge Co. die
Disziplinierungsmaßnahme gegen den Zeugen A. angeregt oder
die für diese Maßnahme unmittelbar verantwortlichen
PKK-Kader zumindest in ihrem Tatentschluss bestärkt" habe.
Diese Einschätzung der Beweislage durch das Oberlandesgericht
und den Generalbundesanwalt hat der Senat, der an der Hauptverhandlung
nicht teilgenommen hat und deshalb die ak-
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tuelle Beweissituation nicht kennt, hinzunehmen (vgl. BGH, Beschl. vom
4. August 2009 - StB 32/09). Danach liegen konkrete Anhaltspunkte
für eine Beteiligung des Beschwerdeführers an der den
Angeklagten vorgeworfenen Tat vor.
Vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, dass sich
der Beschwerdeführer durch die
wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage nach dem
Decknamen und den Funktionen des Angeklagten M. innerhalb der PKK in
Bezug auf die Straftat zum Nachteil des Zeugen A. selbst belasten
würde; denn dem Angeklagten M. wird gerade auch die
Beteiligung an dieser Straftat vorgeworfen und die Offenbarung von
Parteiinterna zu dessen Person könnte den
Beschwerdeführer in dessen Nähe rücken.
Seine Angaben können deshalb zumindest im Rahmen einer
mosaikartigen Beweisführung (vgl. BGH NJW 1999, 1413)
für die Begründung bzw. Erhärtung eines
Verdachts hinsichtlich seiner Mitwirkung an dieser Tat Bedeutung
gewinnen.
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3. Mit dieser Entscheidung in der Hauptsache ist auch das Rechtsmittel
des Beschwerdeführers gegen die Entscheidung des
Oberlandesgerichts erledigt, die Vollziehung der angeordneten Beugehaft
nicht gemäß § 307 Abs. 2 StPO auszusetzen.
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Sost-Scheible RiBGH Pfister befindet sich Schäfer
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
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