BGH,
Beschl. v. 5.4.2005 - 4 StR 95/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 95/05
vom
5.04.2005
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 5.04.2005
gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Bielefeld vom 4. November 2004 im Strafausspruch
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Mißbrauchs
eines Kindes in 104 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
sechs
Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der
Angeklagte mit
seiner Revision, mit der er die nicht ausgeführte
Verfahrensbeschwerde erhebt
und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel
hat zum Strafausspruch
Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen entwickelte sich zwischen dem Angeklagten
und der seinerzeit 12jährigen Claudia R. bereits kurze Zeit,
nachdem sie mit
ihren Eltern und Geschwistern in eine dem Angeklagten
gehörende Betriebswohnung
eingezogen war, ein besonders enges und vertrautes Verhältnis.
Der
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Angeklagte unterhielt sich oft mit dem Mädchen, das sich ihm
auch in Bezug
auf familiäre Probleme anvertraute, und tröstete sie,
wenn sie traurig war. Sie
schrieben sich alsbald auch Liebesbriefe und versicherten sich auch
persönlich
tieferer Gefühle für einander. Spätestens ab
März 2003 kam es dann zu den
abgeurteilten Sexualkontakten, die bis zum 18. April 2004 (seinerzeit
war Claudia
R. 13 ½ Jahre alt) andauerten. Dabei übten der
Angeklagte und Claudia
spätestens ab Anfang November 2003 jeweils auch einvernehmlich
den Geschlechtsverkehr
aus. Die Tatserie endete erst, als Claudia R. in der zweiten
Aprilhälfte 2004 vor dem Hintergrund der problematischen
Familienverhältnisse
bei den Eltern auszog und in eine Einrichtung des betreuten Wohnens
wechselte.
Nach eigenem Empfinden ist Claudia R. aber nach wie vor in den
Angeklagten
"verliebt" und kann sie deshalb "die Strafbarkeit der zwischen dem
Angeklagten
und ihr stattgefundenen sexuellen Handlungen nicht wirklich
nachvollziehen"
(UA 11).
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat
zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben.
3. Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
a) Die Jugendschutzkammer hat allgemein strafmildernd
berücksichtigt,
daß die sexuellen Handlungen mit Einverständnis von
Claudia R. stattgefunden
haben. Darüber hinaus hat sich das Landgericht jedoch
gehindert gesehen,
"das Bestehen des auch von Claudia R. bestätigten
'Liebesverhältnisses' zwischen
ihr und dem Angeklagten als solchem im Sinne einer vielleicht autono-
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men Entscheidung zweier Menschen" gesondert strafmildernd zu bewerten.
Hierzu hat es ausgeführt:
"Zum einen entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, im
Hinblick auf das Schutzgut der §§ 176, 176 a StGB -
der von
vorzeitigen sexuellen Erlebnissen ungestörten Gesamtentwicklung
des Kindes - die Strafwürdigkeit der Vornahme sexueller
Handlungen mit einem Kind gerade nicht von dem Willen
bzw. einem eventuellen Einverständnis des Kindes
abhängig
zu machen. Deshalb kann dem Vorliegen eines entsprechenden,
auch im Zusammenhang mit einer
´Liebesbeziehung` zwischen dem Täter und dem Opfer
stehenden
Einverständnisses des Kindes als solchem über den
daraus folgenden und bereits erwähnten Aspekt einer
Einschränkung
der zu erwartenden negativen Tatfolgen hinausgehend
nach Ansicht der Kammer gerade nicht zusätzlich eine
weitere strafmildernde Wirkung zugebilligt werden; dies jedenfalls
dann nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein
ganz erhebliches Alters- und Sozialgefälle zwischen den sich
gerade nicht als ´gleichwertige` Partner
gegenüberstehenden
Beteiligten besteht, wobei hier zu beachten ist, dass die positiven
Gefühle der Claudia zu dem Angeklagten nach den gegebenen
Umständen - auch aus Sicht des Angeklagten - vornehmlich
gerade durch die sehr defizitäre Familiensituation
und die damit verbundene emotionale Vernachlässigung des
Kindes durch die leiblichen Eltern begünstigt worden sind.
Zum anderen würde eine solche Bewertung nach Auffassung
der Kammer ein unter generalpräventiven Aspekten falsches
Signal dahingehend setzen, dass sich ein Missbraucher, der
sich im Rahmen gegen den Willen des Gesetzes durchgeführter
sexueller Handlungen gleichzeitig erfolgreich um die Zuneigung
bzw. ´Liebe` eines Kindes bemüht, massive
Strafmilderung
erlangt, während derjenige, der hierbei erfolglos bleibt
bzw. bei dem Kind in ´Ungnade` fällt, mit einer
deutlich höheren
Bestrafung zu rechnen hätte. Letztlich würde dies auch
bedeuten, dem betroffenen Kind die Verantwortung für die - in
diesem Fall schließlich von seinen Gefühlen
für den Täter abhängige
- Höhe der Bestrafung des Täters zu
übertragen, der
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sich jedoch tatsächlich im Rahmen des Strafverfahrens allein
vor der Gemeinschaft zu verantworten hat"(UA 18/19).
b) Diese Erwägungen lassen besorgen, daß das
Landgericht den Gedanken
der Generalprävention rechtsfehlerhaft zu Lasten des
Angeklagten
verwertet hat. Zwar können generalpräventive
Erwägungen nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs auch bei der Bestimmung der Höhe der
Strafe im Rahmen der Schuld zu Lasten des Angeklagten
berücksichtigt werden
(vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 4;
Tröndle/Fischer StGB
52. Aufl. § 46 Rdn. 11 und 12 m.w.N.). Der Tatrichter darf
aber die Strafe aus
Gründen der Abschreckung potentieller Täter nur dann
höher bestimmen, als
sie sonst ausgefallen wäre, wenn eine
gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher
oder ähnlicher Taten, wie sie zur Aburteilung stehen,
festgestellt worden
ist (vgl. BGHR aaO Generalprävention 7 m.w.N.). Dabei ist
nicht in erster Linie
auf den Deliktstyp als solchen abzustellen, weil damit der Strafgrund
als solcher
gegen den Angeklagten gewendet würde, was unter dem
Gesichtspunkt
des Doppelverwertungsverbots des § 46 Abs. 3 StGB Bedenken
begegnet.
Vielmehr ist auf die jeweiligen konkreten Umstände, die das
Tatbild kennzeichnen,
Bedacht zu nehmen.
Hat die Tat hiernach Ausnahmecharakter, so läßt dies
generalpräventive
Erwägungen eher nicht zu (für Konflikttaten
Senatsbeschluß vom 20. März
2001 - 4 StR 576/00, StV 2001, 453 nur LS). So verhält es sich
auch im vorliegenden
Fall, in dem der Tatrichter sich die Überzeugung verschafft
hat, daß
den einvernehmlichen sexuellen Kontakten ein besonders nahes, auch vom
Tatopfer als „Liebesbeziehung“ empfundenes
Verhältnis zwischen dem Täter
und dem betroffenen Kind der Verurteilung nach §§
176, 176 a StGB, und so-
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mit ein der Verallgemeinerung nicht zugänglicher Sonderfall
zugrunde liegt
(vgl. auch BGHR StGB § 176 Abs. 3 Strafrahmenwahl 5 und 7).
4. Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht der Strafausspruch. Der
Senat kann nicht ausschließen, daß die
beanstandeten Erwägungen die Strafrahmenwahl
und die konkrete Strafbemessung zum Nachteil des Angeklagten
beeinflußt haben. Über den Strafausspruch ist
deshalb neu zu entscheiden.
Die Feststellungen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler, der allein
die Bewertung der festgestellten Umstände betrifft, nicht
berührt; sie können
deshalb bestehen bleiben. Dies schließt ergänzende
Feststellungen, die
zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
VRi'inBGH Dr. Tepperwien Maatz Kuckein
ist krankheitshalber verhindert
zu unterschreiben.
Maatz
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