BGH,
Beschl. v. 5.12.2007 - 5 StR 471/07
5 StR 471/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
5.12.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5.12.2007
beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Chemnitz vom 28. Juni 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Angeklagten hat
Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts kümmerte die
Angeklagte sich allein ohne Unterstützung des Kindsvaters
aufopferungsvoll um ihre geistig behinderte achtjährige
Tochter L. . Durch deren Betreuung und Erziehung fühlte sie
sich jedoch zunehmend überfordert. Sie lebte bis auf die
Unterstützung durch ihre Eltern sozial isoliert. Grund
hierfür war u. a., dass ihre Tochter immer stärker
gegenüber anderen Menschen aggressiv reagierte, so dass diese
den Kontakt zur Angeklagten mieden. Die Angeklagte nahm dies wahr und
gestaltete ihre Freizeit allein mit ihrer Tochter. Im Dezember 2006
wurde ihr eröffnet, dass es für ihre Tochter keine
Aussicht auf Besserung gab. Zudem ging sie davon aus, dass in der
Entwicklung L. s Rückschritte zu verzeichnen seien. Am
Neujahrstag besuchte sie mit L. ein Schwimmbad. Wie häufig in
den letzten Monaten erlitt L. jedoch meh-
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rere epileptische Anfälle, so dass der Ausflug abgebrochen
werden musste. Die Angeklagte war sehr deprimiert. Dies
verstärkte sich, nachdem sie L. gegen 19.30 Uhr zu Bett
gebracht hatte. Sie empfand ihre Situation als hoffnungslos und
beschloss, sich das Leben zu nehmen.
In Umsetzung ihres Entschlusses schluckte sie mehrere
„Frisium- und Betadormtabletten“ und trank dazu in
kleinen Schlucken Weinbrand. Sie schrieb sodann einen Abschiedsbrief an
ihre Eltern und an ihren älteren Sohn, der bei seinem Vater
lebte. Währenddessen rief L. nach ihrer Mutter; in diesem
Moment beschloss die Angeklagte, „aus Sorge, dass L. nach
ihrem Suizid allein dastehe, ihre Tochter mit in den Tod zu nehmen,
weil dies aus ihrer Sicht das Beste für L. sei, die doch so
sehr an ihr hängen würde“. Sie schrieb die
Briefe zu Ende, räumte das Briefpapier weg und nahm weitere
Tabletten und trank Weinbrand. Gegen 21.30 Uhr ging sie zu ihrer
Tochter und gab ihr einige der Tabletten, um sie zu töten. Als
L. nach dem Grund der Einnahme fragte, nahm die Angeklagte die
restlichen Tabletten ein und legte sich neben ihre Tochter. L. starb
aufgrund der Medikamentenvergiftung; die Angeklagte konnte noch
gerettet werden.
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Das sachverständig beratene Landgericht hat festgestellt, dass
die Angeklagte zum Tatzeitpunkt an einer krankhaft zugespitzten
Anpassungsstörung im Sinne einer „schweren anderen
seelischen Störung“ litt und deswegen ihr
Steuerungsvermögen erheblich vermindert war. Eine alkohol- und
tablettenbedingte Beeinträchtigung der
Schuldfähigkeit hat das Landgericht nicht angenommen. Im
Rahmen der Strafzumessungserwägungen ist es unter Heranziehung
des Milderungsgrundes des § 21 StGB von einem minder schweren
Fall des Totschlags gemäß § 213 2. Alt.
StGB ausgegangen.
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2. Die Strafzumessungserwägungen halten revisionsrechtlicher
Überprüfung nicht stand.
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Zunächst begegnet die Strafrahmenwahl des Landgerichts
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bei der Prüfung, ob ein
minder schwerer Fall vorliegt, hat es sogleich auf die
Umstände abgestellt, die die erhebliche Verminderung der
Steuerungsfähigkeit begründen. Ob der Strafrahmen des
§ 213 StGB schon allein wegen der allgemeinen
Strafmilderungsgründe anzuwenden gewesen wäre, hat es
hingegen nicht erkennbar geprüft. Trifft ein besonderer
Milderungsgrund mit allgemeinen Milderungsgründen zusammen, so
ist im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung aller
maßgebenden Strafzumessungstatsachen zunächst -
unter Ausklammerung des besonderen Grundes - allein auf die allgemeinen
Milderungsgründe abzustellen (BGHR StGB vor §
1/minder schwerer Fall, Strafrahmenwahl 7; BGH StV 1992, 371, 372).
Dies war auch vorliegend nicht verzichtbar, denn angesichts der
zahlreichen ersichtlich gewichtigen Milderungsgründe -
verzweifelte Lebenssituation, Geständnis und Reue,
altruistisches Tatmotiv, alkohol- und tablettenbedingte Enthemmung -,
denen als Strafschärfungsgrund lediglich die Ausnutzung der
Arglosigkeit des Opfers bei der Tablettengabe
gegenübergestellt wird, ist es keineswegs fernliegend, dass
diese bereits für sich genommen die Anwendung des minder
schweren Falls gerechtfertigt hätten mit der Folge, dass der
so gefundene Strafrahmen ohne Verstoß gegen § 50
StGB nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hätte
gemildert werden können.
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Zudem sind die Strafzumessungserwägungen nicht
vollständig. Denn angesichts der
außergewöhnlichen Umstände der Tat und der
Persönlichkeit der Angeklagten wäre auf das
festgestellte Motiv für die Tötung - welches der
Sachverständige, dessen Gutachten die Strafkammer folgt, als
Handeln aus „positiven Fremdwertgefühlen“
bei „erheblichen perspektivischen Ängsten“
um ihre Tochter beschreibt - im Rahmen der Strafzumessung besonderes
Gewicht zu legen gewesen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 270, 271). An der
Erörterung dieses bestimmenden Strafzumessungsfaktors, der nur
bei der Darstellung der Voraussetzungen des § 21 StGB kurz
erwähnt wird, fehlt es jedoch.
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Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht auf
eine mildere Strafe erkannt hätte, wenn die vorgenannten
Umstände berücksichtigt worden wären. Da es
sich um Wertungsfehler und Erörterungsmängel handelt,
können die zugrunde liegenden tatsächlichen
Feststellungen bestehen bleiben. Der neue Tatrichter kann jedoch - z.
B. zu der psychischen Situation der Angeklagten nach der Tat -
ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese den bisher
getroffenen nicht widersprechen. Im Übrigen wird in Bedacht zu
nehmen sein, dass die Angeklagte den Tötungsvorsatz erst unter
erheblichem - bisher unter Umständen unterschätzten -
Einfluss von Medikamenten und Alkohol fasste.
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