BGH,
Beschl. v. 5.6.2007 - 5 StR 383/06
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
GG Art. 1; Art. 20 Abs. 3; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1;
BerlLBG § 27 Abs. 3
Zur Abwägung der im Widerstreit stehenden
verfassungsrechtlichen Rechtsgüter bei der
Beschränkung des Rechts auf umfassende Verteidigung aufgrund
beamtenrechtlicher Vorschriften.
BGH, Beschl. v. 5.06.2007 - 5 StR 383/06
LG Berlin -
5 StR 383/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 5.6.2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5.06.2007
beschlossen:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. Januar 2006 werden nach
§ 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten der Revisionen der
Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten hierdurch entstandenen
notwendigen Auslagen. Jeder Angeklagte hat die Kosten seines
Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat das Verfahren gegen die Angeklagten wegen eines
Verfahrenshindernisses durch Urteil gemäß §
260 Abs. 3 StPO eingestellt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der
Staatsanwaltschaft, die - vertreten vom Generalbundesanwalt - die
Aufhebung des Einstellungsurteils und Fortführung des
Verfahrens erstrebt, sowie der Angeklagten, die ihre Freisprechung
erreichen wollen, sind unzulässig.
I.
Mit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassener Anklage
wurde den Angeklagten eine größere Zahl von
Straftaten zur Last gelegt, die sie im Zeitraum von Juni 2001 bis zum
30. Juli 2004 im Zusammenhang mit ihrer bis Sommer 2003 andauernden
Tätigkeit als Polizeibeamte bei der Berliner Polizei im
Bereich der Fahndung, Aufklärung und Observation, insbesondere
2
- 3 -
im Umgang mit Informanten bzw. bei der Führung von
Vertrauenspersonen, begangen haben sollen.
Im Einzelnen handelt es sich um Tatvorwürfe der Beihilfe zum
bandenmäßigen Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einer Vielzahl
von Fällen (alle Angeklagte), der versuchten Strafvereitelung
im Amt (Angeklagter N. ), der Vorteilsannahme und der uneidlichen
Falschaussage (Angeklagte N. und H. ) sowie des Meineides und der
Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten (Angeklagter
H. ).
3
II.
4
Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte N. seit
September 1999 in der Direktion 5 (FAO) der Berliner Polizei als
Teamführer im Bereich der Führung von
Vertrauenspersonen und Informanten eingesetzt. Seine Aufgabenstellung
war die „Strukturerhellung“ von ethnischen Gruppen,
insbesondere arabischen Großfamilien, im Bereich der
Schwerstkriminalität. Der Angeklagte Hö. war seit
1999 im Team des Angeklagten N. mit der Führung von
Informanten und Vertrauenspersonen betraut. Zur Tätigkeit des
Angeklagten H. , der sich weder zu seinen persönlichen
Verhältnissen noch zur Sache eingelassen hat, sind keine
Feststellungen getroffen. Alle Angeklagten sind seit Sommer 2003 mit
einem Verbot der Amtsausübung belegt.
III.
Der Verfahrenseinstellung ging nach den Feststellungen des Landgerichts
folgendes Prozessgeschehen voraus:
5
1. Die Angeklagten N. und Hö. haben die gegen sie erhobenen
Tatvorwürfe bestritten und durch ihre Verteidiger
erklären lassen, sie
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- 4 -
sähen sich als Polizeibeamte wegen ihrer Verpflichtung zur
Amtsverschwiegenheit daran gehindert, sich gegen die nicht zutreffenden
und willkürlich aus dem Zusammenhang gerissenen
Anklagevorwürfe substantiiert zu verteidigen. Auch verbiete
ihnen diese Pflicht, die Sach- und Rechtslage mit ihren Verteidigern zu
erörtern. Insbesondere um Gesamtzusammenhänge und
mögliche Interessen Dritter an ihrer Diskreditierung zu
dokumentieren, seien Angaben zu Sachverhalten unabdingbar, die
grundsätzlich der Geheimhaltung unterlägen. Dazu
gehörten Kriminaltaktik - auch und gerade im Hinblick auf
Einzelfälle -, Polizeiinterna wie der Aufbau der VP- und
Informantenführung bei der Direktion 5 (FAO) und die
spätere zentrale Organisation der VP-Führung bei dem
LKA 15 einschließlich der damit einhergehenden
Kompetenzstreitigkeiten sowie nach dem 11. September 2001 geltende
polizeiinterne Anweisungen und geheime dienstliche Vorschriften zur
Führung von Quellen arabischer Herkunft.
7
2. Der Angeklagte N. hat beantragt, ihm eine
„erweiterte“ Aussagegenehmigung zu erteilen,
hilfsweise erst nach vorherigem Ausschluss der Öffentlichkeit
und Verpflichtung der Prozessbeteiligten zur Verschwiegenheit. Auf
diesen Antrag hin hat das Landgericht für die Dauer der von
dem Angeklagten N. beabsichtigten Sacheinlassung und einer sich
gegebenenfalls daran anschließenden Vernehmung zur Sache
gemäß § 172 Nr. 1 GVG die
Öffentlichkeit ausgeschlossen, die Anfertigung von
Mitschriften durch den Prozessbeobachter des
Polizeipräsidenten untersagt (§ 175 Abs. 2 Satz 1
GVG) und alle nach Ausschluss der Öffentlichkeit anwesenden
Personen zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 174 Abs. 3 Satz
1 GVG).
3. Gleichwohl haben auf Anfragen von Verteidigern, Ersuchen des
Strafkammervorsitzenden und schließlich eine Gegenvorstellung
der Strafkammer, die den Hinweis auf ein andernfalls drohendes
Prozesshindernis enthielt, der Polizeipräsident in Berlin und
sodann auch die Senatsverwaltung für Inneres des Landes Berlin
die Erteilung einer umfassenden Aussagegenehmigung an die Angeklagten
für Angaben gegenüber dem Gericht und
8
- 5 -
gegenüber ihren Verteidigern abgelehnt. Die Angeklagten
könnten sich aufgrund ihnen erteilter eingeschränkter
Aussagegenehmigungen zu allen Punkten der Anklage gegenüber
dem Gericht und ihren Verteidigern äußern, soweit
nicht bislang unbekannte Vertrauenspersonen oder Informanten oder
geheimhaltungsbedürftige polizeiinterne Regelungen zu
Kriminaltaktik und zur Führung von Vertrauenspersonen und
Informanten betroffen seien. Die erteilten Aussagegenehmigungen
umfassten sämtliche rechtlichen Grundlagen der Inanspruchnahme
von Informanten und des Einsatzes von Vertrauenspersonen mit Ausnahme
als Verschlusssache eingestufter polizeiinterner
Geschäftsanweisungen. Für den Fall, dass sich
bestimmte Regelungen hierin doch als verteidigungsrelevant erweisen
sollten, bestehe die Möglichkeit, zu konkreten Fragen eine
erweiterte Aussagegenehmigung zu erhalten. Auch könne ein als
sachverständiger Zeuge benannter Mitarbeiter der Polizei zu
diesen Angelegenheiten befragt werden. Da das vorliegende Verfahren
wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln untrennbar mit der organisierten
Betäubungsmittelszene der Region verbunden sei, komme indes
eine umfassende Aussagegenehmigung nicht in Betracht. Die Belange der
umfassenden gerichtlichen Wahrheitsfindung müssten in einem
solchen Deliktsfeld zurückstehen, soweit dies der Einsatz der
besonderen Ermittlungsmethoden des Einsatzes von Vertrauenspersonen und
Informanten unbedingt erfordere. Denn diese Ermittlungsmethoden seien
unverzichtbar und dürften nicht auf Dauer vereitelt werden.
IV.
Das Landgericht hat das Strafverfahren durch Urteil
gemäß § 260 Abs. 3 StPO mit der
Begründung eingestellt, dass das Grundrecht der Angeklagten
auf umfassende Verteidigung der Fortführung des Verfahrens
entgegenstehe. Denn der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch der
Angeklagten aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 MRK
auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren sei durch die Versagung der
unbeschränkten Aussagegenehmigungen durch die Senatsverwaltung
für Inneres im Kernbe-
9
- 6 -
reich tangiert. Dem könne hier nur durch die Annahme eines
Verfahrenshindernisses von Verfassungs wegen Rechnung getragen werden.
1. Zwar dürfe das Recht auf Verteidigung, dem Verfassungsrang
zukomme, dann eingeschränkt werden, wenn es nur in seinem
Randbereich betroffen werde. Eine Beschränkung der
Aussagegenehmigung, die das Recht auf Verteidigung in seinem
Wesensgehalt antaste, könne dagegen nicht hingenommen werden.
Der Inhalt und die Auslegung polizeiinterner Regelwerke
beträfen hier den Schuldvorwurf gegen die Angeklagten im Kern
und ließen allein die Beantwortung zentraler Fragestellungen
zu. Den angeklagten Amtsträgern sei nicht zuzumuten, ihre
Einlassung Satz für Satz danach abzutasten, ob sie im
Einzelnen fremde Rechte verletzen könnte; sie müssten
ihren Vortrag frei und im Zusammenhang halten und relevante Tatsachen
mitteilen können. Ihnen sei auch nicht zuzumuten, das Risiko
disziplinar- und strafrechtlicher Vorwürfe auf sich zu nehmen,
wenn sie ohne eine umfassend erteilte Aussagegenehmigung Sachverhalte
offenbarten, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen. Zudem sei es in
Ansehung des verfassungsrechtlichen Stellenwerts des
Äußerungsrechts der Angeklagten nicht hinzunehmen,
dass diese vor der Beratung mit ihren Verteidigern mit der
Senatsverwaltung für Inneres oder mit der Polizei
Rücksprache zu nehmen hätten. Dies stelle eine
externe Steuerung des Strafprozesses durch die Exekutive dar, die dem
Rechtsstaat fremd sei. Auch würden den Angeklagten schwere
Straftaten vorgeworfen, so dass ihnen Freiheitsstrafen sowie der
Verlust ihres Amtes und ihrer beruflichen Reputation drohten.
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2. Zwar würden die durch eine verweigerte Aussagegenehmigung
eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten
regelmäßig ein ausreichendes Regulativ durch den
Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß
§ 261 StPO und das Prinzip „im Zweifel für
den Angeklagten“ erfahren. Dies gelte jedoch nur dann, wenn
sich das Strafverfahren trotz der Verkürzung der
Beweisgrundlage in seiner Gesamtheit als rechtsstaatlich und fair
erweise. Das sei hier jedoch nicht mehr der Fall.
11
- 7 -
V.
Die gegen die Verfahrenseinstellung durch Urteil gerichteten Revisionen
der Staatsanwaltschaft sind als unzulässig zu verwerfen, weil
die allein erhobene Verfahrensrüge nicht den Anforderungen des
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.
12
1. Zur Begründung der Verfahrensrüge ist der
Beschwerdeführer verpflichtet, „die den Mangel
enthaltenden Tatsachen“ anzugeben. Diese Angaben haben mit
Bestimmtheit und so genau und vollständig zu geschehen, dass
das Revisionsgericht allein auf Grund der
Revisionsrechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein
Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen
erwiesen wären (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999, 2001; BGHR StPO
§ 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7).
Daran fehlt es hier.
13
14
a) Die Staatsanwaltschaft beanstandet allein, das Landgericht habe
einen Beweisantrag auf Vernehmung von drei Polizeibeamten als Zeugen
mit Unrecht als aus rechtlichen Gründen ohne Bedeutung
(§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) abgelehnt. Sie ist der Auffassung,
die Strafkammer hätte die beantragte Beweiserhebung vornehmen
müssen, da sich hieraus ergeben hätte, dass das vom
Landgericht angenommene Prozesshindernis nicht bestanden habe.
b) Der Senat kann hier nicht allein aufgrund der
Revisionsrechtfertigungsschrift prüfen, ob ein
Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen wahr
wären. Denn die Staatsanwaltschaft hat an mehreren Stellen zur
Darlegung des von ihr geltend gemachten Verfahrensfehlers auf bei den
Akten befindliche Schriftstücke Bezug genommen, ohne diese in
ihrem Wortlaut oder ihrem wesentlichen Inhalt nach in der
Revisionsrechtfertigungsschrift mitzuteilen (vgl. BGHSt 40, 3, 5; BGH
NStZ-RR 2006, 48, 49; BGH, Beschl. v. 30. September 2003 - 4 StR 315/03
- und vom 1. Juni 2006 - 4 StR 75/06, insoweit in NStZ-RR 2007, 107
nicht abgedruckt). Der
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- 8 -
Umstand, dass die Bezugnahme unter Benennung der Blattzahlen in den
Strafakten erfolgt ist, ändert hieran nichts (vgl. BGH NStZ-RR
2006, 48, 49).
Zwar steht eine Bezugnahme auf Aktenteile der Zulässigkeit
einer Verfahrensrüge dann nicht entgegen, wenn die Bezugnahme
ohne Bedeutung für den geltend gemachten
Verfahrensverstoß ist (vgl. BGHSt 40, 3, 5). So
verhält es sich hier indes nicht. Vielmehr hat die
Staatsanwaltschaft erkennbar deswegen mehrfach auf die in den
Strafakten befindliche, in der Revisi-onsrechtfertigungsschrift aber
nicht mitgeteilte schriftliche Einlassung des Angeklagten N. Bezug
genommen, um die nach ihrer Ansicht bestehende tatsächliche
oder rechtliche Bedeutsamkeit bestimmter Umstände für
die Frage zu untermauern, ob - entgegen der Annahme des Landgerichts
bei Ablehnung des Beweisantrags - die Voraussetzungen für ein
Verfahrenshindernis durch die begehrte Beweisaufnahme zu widerlegen
sind. Insgesamt will die Staatsanwaltschaft mit ihren Bezugnahmen die
Richtigkeit ihrer Auffassung belegen, „dass der Zusammenhang
zwischen den in Rede stehenden Straftaten und den internen Regelungen
über die Arbeit mit Quellen fehl(e)“
(Revisionsbegründungsschrift S. 30). Dafür war die
vollständige Mitteilung der in Bezug genommenen Aktenstellen
unverzichtbar.
16
2. Die Sachrüge ist nicht erhoben worden. Zwar genügt
es, wenn sich aus den Einzelausführungen die den Inhalt der
Sachrüge ausmachende schlüssige Behauptung ergibt,
dass auf den im Urteil festgestellten Sachverhalt materielles Recht
falsch angewendet worden sei (BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 1
Revisionsbegründung 2). Dies ist hier indes nicht der Fall.
Vielmehr rügt die Staatsanwaltschaft ausdrücklich nur
die Verletzung formellen Rechts und macht lediglich geltend, das
Landgericht wäre auf der Grundlage des von ihr gestellten
Beweisantrags zu anderen Feststellungen gelangt, die die Annahme eines
Verfahrenshindernisses nicht gerechtfertigt hätten.
Hätte die Staatsanwaltschaft neben ihrer
Verfahrensbeanstandung auch die Sachrüge erheben wollen,
hätte sie diese Angriffsrichtung eindeutig zum Ausdruck
bringen müssen (vgl. BGH NStE Nr. 9 zu § 344 StPO;
vgl. auch zu
17
- 9 -
unklarem Anfechtungsziel BGH NJW 2003, 839 und BGH, Beschl. v. 21. Mai
2003 - 5 StR 69/03).
3. Die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge
führt bei Fehlen der Sachrüge zur
Unzulässigkeit der Revision insgesamt (BGH NJW 1995, 2047;
BGH, Beschl. v. 22. November 2005 - 1 StR 432/05 - und vom 17. Oktober
2000 - 1 StR 413/00). Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind daher
gemäß § 349 Abs. 1 StPO als
unzulässig zu verwerfen. Der Senat ist somit an der
Prüfung gehindert, ob die Strafkammer zu Recht von einem
Verfahrenshindernis ausgegangen ist.
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VI.
19
Auch die Revisionen der Angeklagten sind, wie insoweit vom
Generalbundesanwalt zutreffend beantragt, unzulässig
(§ 349 Abs. 1 StPO). Die Angeklagten sind durch die
Einstellung des Verfahrens durch Prozessurteil gemäß
§ 260 Abs. 3 StPO nicht beschwert. Eine Beschwer wird durch
ein das Verfahren einstellendes Urteil regelmäßig
nicht bewirkt (vgl. BGHSt 23, 257, 259; vgl. auch BGHR StPO §
333 Beschwer 2 betreffend Nebenentscheidungen).
Wollte man aus einer verminderten Rechtskraftwirkung -
Verfahrenseinstellung durch Prozessurteil wegen eines behebbaren
Verfahrenshindernisses (vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl.
§ 260 Rdn. 48) - eine Beschwer der Angeklagten herleiten,
wären die Revisionen aus den vom Generalbundesanwalt
für die Unzulässigkeit angeführten
Gründen - nach einstimmiger Auffassung des Senats -
offensichtlich unbegründet. Ein Fall, in dem der Freispruch
Vorrang vor der Einstellung des Verfahrens hat, liegt nicht vor. Der
Sachverhalt ist infolge des angenommenen Verfahrenshindernisses gerade
nicht abschließend im Sinne eines Freispruchs
geklärt worden (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 44
m.w.N.).
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- 10 -
VII.
Der Senat weist auf Folgendes hin:
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1. Ungeachtet nicht eingetretenen Strafklageverbrauchs bewirkt die
materielle Rechtskraft der Verfahrenseinstellung, dass die Angeklagten
nicht verfolgt werden dürfen, solange sich die
Umstände, die nach Auffassung des Landgerichts zur Annahme des
Verfahrenshindernisses geführt haben, nicht verändert
haben (vgl. dazu Meyer-Goßner aaO Einl. Rdn. 142 ff., 172).
22
Hierfür bedürfte es der Erteilung noch weitergehender
Aussagegenehmigungen für die Angeklagten gegenüber
ihren Verteidigern und gegenüber dem Gericht. Für
diesen Fall müsste das Gericht dann gegebenenfalls zur Wahrung
staatlicher Geheimhaltungsinteressen die in der bisherigen
Hauptverhandlung vorgesehenen Maßnahmen treffen (vgl. zum
strafrechtlichen Schutz § 353d StGB). Die Verteidiger
wären an einer Offenbarung des ihnen von ihren Mandanten
Anvertrauten durch ihre berufliche Verschwiegenheitspflicht gehindert
(vgl. zum strafrechtlichen Schutz § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB),
von der die Angeklagten, soweit deren amtliche Verschwiegenheitspflicht
reicht, sie nicht entbinden dürften (vgl. auch § 353b
StGB).
23
2. Für die Beurteilung von Fällen der hier
vorliegenden Art gilt allgemein Folgendes:
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a) Die Einschränkung der einem Angeklagten erteilten
Aussagegenehmigung aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften kann das
Recht auf umfassende Verteidigung mehr oder weniger
beeinträchtigen. Wie der Grundsatz, dass niemand gezwungen
werden darf, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für
seine strafrechtliche Verurteilung zu liefern, hat dieses Recht
Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 56, 37, 49). Es gehört zu den
fundamentalen Attributen menschlicher Würde und zu den
grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaats. Eine Beschränkung
der Aussagegenehmigung, die
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- 11 -
das Recht auf Verteidigung in seinem Wesensgehalt antastet, kann als
Verstoß gegen die Grundnorm des Art. 1 Abs. 1 GG von
Verfassungs wegen nicht hingenommen werden. Sie träfe einen
obersten in seiner Substanz nicht zur Disposition stehenden Wert (vgl.
BGHSt 36, 44, 48 m.w.N.). Daraus folgt, dass ein Strafverfahren nicht
durchgeführt werden darf, wenn staatliche
Geheimhaltungsinteressen von großem Gewicht nicht anders als
durch die Beschneidung wesentlicher Verteidigungsmöglichkeiten
gewahrt werden können. Die aufgrund dieser Alternative vom
Tatgericht geforderte prospektive Betrachtung wird sich vor allem an
dem bestehenden oder fehlenden argumentativen Zusammenhang zwischen der
von der Aussagebeschränkung betroffenen Thematik und dem
historischen Geschehen, das Gegenstand der Kognition ist, orientieren
müssen (BGH aaO).
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Dort, wo das Recht auf Verteidigung nur in seinem Randbereich betroffen
wird, darf es indes eingeschränkt werden, wenn seine
uneingeschränkte Ausübung die Wahrnehmung sehr
gewichtiger, verfassungsmäßig legitimierter
Aufgaben, die zu ihrer Erfüllung der Geheimhaltung
bedürfen, unmöglich machen oder erschweren
könnte (vgl. BGHSt 36, 44, 48 f.). Hierzu gehört auch
der Einsatz von Vertrauenspersonen zur Aufklärung von
Bandenstrukturen im Bereich des Handels mit Betäubungsmitteln
(vgl. BVerfGE 57, 250, 284). Erforderlich ist aber stets eine
sorgfältige Abwägung der im Widerstreit stehenden
verfassungsrechtlichen Rechtsgüter unter
Berücksichtigung des gesamten konkreten Sachverhalts (vgl.
BVerwGE 66, 39, 44). Denn das Staatswohl und die Wahrung der
öffentlichen Belange erfordern es, sowohl die Grundrechte
Einzelner zu schützen und niemanden einer ungerechtfertigten
Verurteilung auszuliefern als auch den Strafanspruch des Staates
durchzusetzen (BVerfG aaO). Dabei darf nicht aus dem Blick geraten,
dass die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten ein
wesentlicher Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens ist (vgl.
BVerfGE 109, 279, 336; 107, 299, 316; 100, 313, 389; 80, 367, 375; 77,
65, 76).
- 12 -
Die Pflicht zur Abwägung trifft auch und in erster Linie die
Behörde, deren Erklärung oder Entscheidung zu einer
Einschränkung des Rechts des Angeklagten auf umfassende
Verteidigung führt. Sie hat nicht nur die von ihr
wahrzunehmenden Aufgaben zu beachten, die zu ihrer Erfüllung
der Geheimhaltung bedürfen, sondern muss auch dem hohen Rang
des Verteidigungsinteresses Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 57, 250, 283
f.). Diesen Anforderungen genügt § 27 Abs. 3 i.V.m.
Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes (Berlin), der die Versagung der
Aussagegenehmigung für beschuldigte Beamte nur in ganz engen
Grenzen zulässt. Danach darf einem Beschuldigten die
Genehmigung, in einem gerichtlichen Verfahren auszusagen, nur dann
versagt werden, wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines
deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung
öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder
erheblich erschweren würde und wenn die dienstlichen
Rücksichten dies unabweisbar erfordern. Aus diesem Grund
müssen Staatsanwaltschaft und Tatgericht durch entsprechende
Anträge an den Dienstherrn der Angeklagten und vorgesetzte
Behörden sowie gegebenenfalls mit Gegenvorstellungen darauf
hinwirken, dass die für eine umfassende Verteidigung
erforderlichen Aussagegenehmigungen erteilt werden.
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Bleibt solches erfolglos, kommt eine Klage des Angeklagten gegen den
Dienstherrn im Verwaltungsrechtsweg auf Erteilung der
Aussagegenehmigung in Betracht, wenn der Dienstherr auch auf die
Gegenvorstellung des Gerichts hin die beantragte Aussagegenehmigung
nicht erteilt. Um dem zur Klage bereiten Angeklagten hierzu Gelegenheit
zu geben, kann im Einzelfall auch die Aussetzung des Strafverfahrens in
Betracht kommen (vgl. dazu Senge in KK-StPO 5. Aufl. § 54 Rdn.
20 f.). Ob gegebenenfalls in solchen Fällen die Justizorgane
als klagebefugt anzusehen wären (abl. Beulke,
Strafprozessrecht 9. Aufl. Rdn. 190 sowie Pfeiffer, StPO 5. Aufl.
§ 96 Rdn. 4 und HK-Lemke, StPO 3. Aufl. § 96 Rdn. 16;
abw. Ellbogen NStZ 2007, 310), ob sogar ein verteidigungs- und
einlassungswilliger Angeklagter zu einer solchen Klage zu veranlassen
wäre, erscheint höchst problematisch.
28
- 13 -
Jedenfalls gilt, dass eine Verweigerung der Aussagegenehmigung, wenn
der Kernbereich der Verteidigung betroffen ist, angesichts auch
strafrechtlicher Absicherungsmöglichkeiten gegen unbefugte
Offenbarungen nur bei überragend wichtigen
Gemeinschaftsgütern in Betracht käme, so bei einer
erheblichen Lebens- oder Gesundheitsgefährdung von Personen,
etwa auch Vertrauensleuten der Ermittlungsbehörden. Halten
Gericht und Staatsanwaltschaft die Versagung der Aussagegenehmigung
für rechtswidrig, haben sie nach Ausschöpfung aller
sonstigen Möglichkeiten zur Herbeiführung einer
abweichenden Entscheidung die oberste Justizbehörde mit dem
Ziel einzuschalten, an die oberste Innenbehörde eine
Gegenvorstellung zu richten. Die oberste Justizbehörde wird
nach dem Grundsatz, dass über Sperrungen, die eine
ordnungsgemäße Durchführung von
Strafverfahren gefährden, an höchster Stelle zu
entscheiden ist (vgl. BVerfGE 57, 250, 289), bei fortdauernder
Weigerung der Innenbehörde eine Entscheidung der
Landesregierung durch Kabinettsbeschluss herbeizuführen haben.
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Eine Einstellung des Strafverfahrens kommt jedenfalls vor
Ausschöpfung dieser Möglichkeiten nicht in Betracht.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob für den Fall, dass
tatsächlich einmal überragend wichtige
Gemeinschaftsgüter der skizzierten Qualität im
Widerstreit zur unerlässlich gebotenen Durchführung
eines Strafverfahrens stehen sollten, der Angeklagte eine schwer
wiegende Einschränkung seiner
Verteidigungsmöglichkeiten hinnehmen müsste und ihm
als Schutz nur das Gebot zu außerordentlich
zurückhaltender belastender Beweiswürdigung verbliebe
(vgl. BGHSt 49, 112). Von einer derartigen Extremsituation ist das
vorliegende Verfahren sowohl nach der Bedeutung der
Tatvorwürfe als auch nach den in Frage stehenden
Geheimhaltungsbelangen weit entfernt.
b) Zunächst hat der Tatrichter, wenn einem Angeklagten - wie
auch im vorliegenden Fall - mehrere Straftaten zur Last liegen, die
sich in Art und Schwere oder hinsichtlich der Beweislage unterscheiden,
regelmäßig für jeden Tatvorwurf gesondert
zu prüfen, ob die Versagung der Aussagegeneh-
31
- 14 -
migung den Kernbereich oder lediglich den Randbereich des Rechts auf
umfassende Verteidigung betrifft. Dasselbe gilt - wenn lediglich der
Randbereich betroffen ist - für die gebotene Abwägung
der im Widerstreit stehenden verfassungsrechtlichen
Rechtsgüter.
Vorliegend erscheint der pauschale Ansatz des Landgerichts, der nicht
nach einzelnen Tatvorwürfen differenziert, zweifelhaft, weil
es für die einzelnen Straftaten den bestehenden oder fehlenden
argumentativen Zusammenhang zwischen der von der
Aussagebeschränkung betroffenen Thematik und dem Tatvorwurf
(vgl. BGHSt 36, 44, 48) nicht näher in den Blick nimmt.
Besonders schwer nachvollziehbar ist, aus welchem Grund hier
polizeiinterne Richtlinien für die Verteidigung gegen den
Tatvorwurf der Anstiftung zur Manipulation eines privaten
Premiere-Decoders von Bedeutung sein sollen. Jenseits davon liegt es
zwar fern, dass polizeiinterne Dienstanweisungen einen
Verstoß gegen die Strafgesetze und die Strafprozessordnung
erlauben könnten. Gleichwohl erscheint es bei den
übrigen gegen die Angeklagten erhobenen Vorwürfen
jedenfalls im Ansatz nicht ausgeschlossen, dass der Kernbereich der
Verteidigung betroffen sein könnte. Im Bereich von
Betäubungsmitteldelikten - wie auch bei Strafvereitelung - ist
zum wirkungsvollen Einsatz von Vertrauensleuten die Annahme eines
weiten Handlungsspielraumes nicht undenkbar, wonach ein unmittelbar
deliktisch anmutendes Verhalten in Ermangelung der tatbestandlich
verlangten Zielsetzung - u. a. Betäubungsmittelumsatz - als
nicht strafbar bewertet werden könnte. Bei Aus-
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sagedelikten kämen problematische Kollisionen zwischen der
Verpflichtung zu vollständiger Aussage und
Verschwiegenheitspflichten, bei Amtsdelikten relevante dienstliche
Genehmigungen in Betracht.
Basdorf Raum Brause
Schaal Jäger |