BGH,
Beschl. v. 5.5.2004 - 2 StR 383/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 383/03
vom
5.05.2004
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
GVG § 21 g Abs. 1 und 2; StPO § 338 Ziff. 1
Zum Erlaß eines kammerinternen
Geschäftsverteilungsplans.
BGH, Beschluß vom 5.05.2004 - 2 StR 383/03 - LG Frankfurt am
Main
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 5.05.2004 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 26. März 2003 mit den Feststellungen
aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer
räuberischer
Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich seine
auf die
Sachrüge und Verfahrensrügen gestützte
Revision.
Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge nach §
338 Ziff. 1 StPO
Erfolg. Die Revision macht zu Recht geltend, daß die 4.
Strafkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main, die in dieser Sache entschieden hat,
nicht
über die erforderliche spruchkörperinterne
Geschäftsverteilung für das Jahr
2002 verfügt habe.
I. Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Mit der Anklageschrift vom 22. Mai 2002 hatte die Staatsanwaltschaft
gegen den Angeklagten und sechs weitere Mitangeklagte vor der 4.
Strafkammer
des Landgerichts Frankfurt am Main Anklage erhoben. Durch
Beschluß
vom 16. Juli 2002, unterzeichnet von dem Vorsitzenden Richter am
Landgericht
E. , dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. E. und dem Richter
am Landgericht K. , wurde die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren
eröffnet, zugleich wurde beschlossen, daß die Kammer
in der Hauptverhandlung
mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden und
zwei
Schöffen besetzt ist.
In der Hauptverhandlung war die Kammer durch die Berufsrichter
Vorsitzender
Richter am Landgericht E. als Vorsitzenden und Richter am
Landgericht Dr. Sch. als Beisitzer besetzt. Nach Vernehmung der
Angeklagten
zur Person am 8. November 2002 erhob der Verteidiger eines
Mitangeklagten
einen Besetzungseinwand, mit dem er vorbrachte, daß die Kammer
keinen Beschluß zur Geschäftsverteilung für
das Jahr 2002 gefaßt habe. Zudem
würden die Sachen auf die Berichterstatter entsprechend den
Zählkartennummern
der Geschäftsstelle verteilt und nicht - wie in dem
Beschluß zur Geschäftsverteilung
vom 2. Januar 2001 für das Jahr 2001 vorgesehen -
gemäß
einem vom Vorsitzenden zu führenden Register. Dieser
Besetzungsrüge
schloß sich der Angeklagte an.
Durch Beschluß vom 8. November 2002 hat die Kammer den
Besetzungseinwand
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht E. und
die Richter am Landgericht K. und Dr. Sch. zurückgewiesen. Der
Beschluß lautet:
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"Der Antrag vom 5.11.2002 wird zurückgewiesen.
Gründe:
Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 21 g GVG sind durch die
kammerinterne
Geschäftsverteilung gewahrt. Der letzte Beschluß in
dieser Hinsicht datiert
vom 20.11.01. Die Verfügung des im Geschäftsjahr 2002
zur Kammer gekommenen
neuen Vorsitzenden vom 14.2.02 bestätigt lediglich den
Fortbestand
des rechtsgültigen und rechtzeitigen Kammerbeschlusses vom
20.11.01
für das Jahr 2002, für das dieser Beschluß
Geltung haben sollte. Im übrigen
führt der neue Vorsitzende, wie auch seine Vorgänger
die in dem Kammerbeschluß
vom 2.1.2001 erwähnte Liste. Sie deckt sich mangels
außerordentlicher
Vorkommnisse mit der Reihenfolge der Zählkarten. Danach
trägt die
streitgegenständliche Strafsache eine gerade Ordnungszahl
(10)."
Zur kammerinternen Geschäftsverteilung ergibt sich im
übrigen folgendes:
Am 2. Januar 2001 haben die damaligen Mitglieder der 4. Strafkammer
- Vorsitzender Richter am Landgericht P. und die Richter am Landgericht
K. und Dr. Sch. - einen schriftlichen Beschluß zur
Geschäftsverteilung
gefaßt und in den Punkten I. bis VI. u. a. geregelt,
daß der Vorsitzende für alle
bei der 4. Strafkammer eingehenden Anklagen ein Register führt
und daß die
mit ungerader Nummer eingetragenen Sachen auf den stellvertretenden
Vorsitzenden
(BE I), die mit gerader Nummer eingetragenen Sachen auf den weiteren
Beisitzer (BE II) entfallen.
Durch weiteren Beschluß zur Geschäftsverteilung vom
2. April 2001 haben
die Richter am Landgericht Dr. E. , Dr. Sch. und K. - nach Aus-
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scheiden des bisherigen Vorsitzenden - bestimmt, daß der
Richter am Landgericht
Dr. E. die vom Vorsitzenden zu erledigenden Aufgaben, der Richter
am Landgericht K. weiterhin die dem stellvertretenden Vorsitzenden
übertragenen
Aufgaben übernimmt und der Richter am Landgericht Dr. Sch. BE
II
bleibt.
Schließlich wurde am 20. November 2001 erneut ein
Beschluß von dem
Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. E. und den Richtern am
Landgericht
Dr. Sch. und K. gefaßt.
Dieser Beschluß lautet:
"Die Kammergeschäftsverteilung vom 2.1.2001 i. V. m. dem
Beschluß
vom 2.4.2001 wird wie folgt klarstellend ergänzt:
VII.
Anträge im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff.
StPO) sind wie Anklagen zu
behandeln.
Wird in einer Sache eine Anklage oder ein Antrag im Sicherungsverfahren
zurückgenommen bzw. ein Verfahren eingestellt und sodann im
selben
oder in einem späteren Jahr entweder eine neue Anklage erhoben
oder ein Antrag im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff.
StPO) gestellt, ist
diese neue Anklage bzw. der neue Antrag im Register des Vorsitzenden
als neue Sache einzustellen. Berichterstatter bleibt jedoch entsprechend
den Grundsätzen zu VI. der bisherige Berichterstatter."
In Nr. VI. des am 2. Januar 2001 beschlossenen Mitwirkungsplans ist
bestimmt, daß in Verfahren, in denen bereits eine
Hauptverhandlung stattge-
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funden hat, oder die durch Urteil, Einstellung oder sonst beendet
worden sind
und die zu einer weiteren Bearbeitung Anlaß geben, von dem
seinerzeit tätigen
Berichterstatter oder dessen Nachfolger weiterbearbeitet werden.
Ein Beschluß zur Regelung der Geschäftsverteilung
für das Jahr 2002
wurde nicht erlassen. Der Vorsitzende verfügte jedoch unter
dem 15. Februar
2002 wie folgt:
" 1. Kammerinterne Geschäftsverteilung § 21 GVG
Es soll für die weitere Dauer des Geschäftsjahres bei
den bisherigen
bereits schriftlich niedergelegten Mitwirkungsgrundsätzen der
4. Strafkammer bleiben.
2. Herren K. , Dr. Sch. z. K.
3. zur Sachakte."
II. Der Rüge kann der Erfolg nicht versagt bleiben.
Nach den vom Bundesgerichtshof (BGHZ 126, 63) und vom
Bundesverfassungsgericht
(BVerfGE 95, 322 = NJW 1997, 1497f. und BVerfGE 97, 1 =
NJW 1998, 743) entwickelten Grundsätzen zur Garantie des
gesetzlichen
Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG muß die
Zuständigkeit innerhalb des
Spruchkörpers eines Gerichts und der darin bestehenden
Sitzgruppen durch
Mitwirkungsgrundsätze generell im voraus nach objektiven
Merkmalen der anhängigen
Sache bestimmt sein.
Nach § 21 g Abs. 2 GVG sind die Mitwirkungsgrundsätze
für die kammerinterne
Geschäftsverteilung durch Beschluß aller dem
Spruchkörper ange-
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hörenden Berufsrichter vor Beginn des Geschäftsjahres
für dessen Dauer zu
beschließen. Sie haben Geltung nur für das
betreffende Geschäftsjahr und treten
mit dessen Ablauf ohne weiteres außer Kraft (BGH NJW 1999,
796;
BVerwG NJW 1991, 1370).
Eine solche kammerinterne Geschäftsverteilung hatte sich die
4. Strafkammer
für das Geschäftsjahr 2001 durch den
Beschluß vom 2. Januar 2001
und die Änderungs- bzw. Ergänzungsbeschlüsse
vom 2. April 2001 und
20. November 2001 gegeben. Hingegen ist eine schriftliche Regelung
für das
Jahr 2002 unterblieben. Eine Auslegung der Verfügung des
Vorsitzenden vom
14./15. Februar 2002 als eines etwa im Umlaufverfahren ergangenen
Beschlusses
zur Geschäftsverteilung 2002 kommt nicht in Betracht, denn
diese
Verfügung ist den weiteren Kammermitgliedern nicht zur
Billigung, sondern nur
zur Kenntnis vorgelegt worden, so daß es bereits an
entsprechenden Willensäußerungen
der Beisitzer fehlt. Im übrigen gehen sowohl die
Verfügung wie
auch der Beschluß der Kammer vom 8. November 2002, mit dem
der Besetzungseinwand
zurückgewiesen wurde, davon aus, daß die
Mitwirkungsgrundsätze
für das Jahr 2002 bereits durch Beschluß der Kammer
vom 20. November
2001 geregelt worden waren.
In dem Beschluß der Kammer vom 20. November 2001 kann jedoch
- entgegen der Auffassung des Landgerichts - eine Regelung der
kammerinternen
Mitwirkungsgrundsätze für das Jahr 2002 nicht gesehen
werden. Ein entsprechender
Wille der Kammermitglieder ist dem nach allgemeinen Grundsätzen
auszulegenden Beschluß nicht zu entnehmen.
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Für eine Auslegung in diesem Sinne könnte zwar der
Zeitpunkt der
Beschlußfassung - ein Monat vor Beginn des
Geschäftsjahres 2002 - sprechen,
denn nach § 21 g Abs. 2 GVG ist die Regelung vor Beginn des
Geschäftsjahres
zu beschließen. Demgegenüber wird aber das
Geschäftsjahr 2002 in dem
Beschluß nicht erwähnt. Wäre eine Regelung
gewollt gewesen, nach der die
für das Jahr 2001 beschlossenen Grundsätze auch
für das Jahr 2002 Geltung
haben sollten, wäre dies aber zu erwarten gewesen. Im
Eingangssatz wird der
Beschluß vielmehr als klarstellende Ergänzung zur
Kammergeschäftsverteilung
vom 2. Januar 2001 und vom 2. April 2001 bezeichnet. Dementsprechend
wird
den in diesen Beschlüssen niedergelegten
Mitwirkungsgrundsätzen für das
Jahr 2001 auch nur ein weiterer Unterpunkt - "VII." - zugefügt
und auch nur
eine bestimmte Fallgestaltung, nämlich die erneute Erhebung
einer Anklage
oder eines Antrags im Sicherungsverfahren geregelt, nachdem bereits
vorher
einmal die Anklage oder der Antrag zurückgenommen oder das
Verfahren eingestellt
war. Zwar sollte diese ergänzende und klarstellende Regelung,
die auf
Punkt VI. des Beschlusses vom 2. Januar 2001 Bezug nimmt, auch
für erneute
Anklagen und Anträge gelten, die in einem "späteren
Jahr" eingehen. Damit hat
die Kammer das in § 21 g Abs. 2 GVG niedergelegte
Jährlichkeitsprinzip nicht
beachtet, hingegen erlaubt diese Formulierung nicht die Auslegung, die
Kammer
habe damit allgemein auf den für 2001 beschlossenen
Mitwirkungsplan
Bezug genommen und dessen Geltung auch für das Jahr 2002 (und
darüberhinaus?)
beschlossen.
Ob die Kammer, was nahe liegt, jedenfalls mündlich beschlossen
hat,
die Mitwirkungsgrundsätze des Jahres 2001 auch für
das Jahr 2002 anzuwenden,
kann dahinstehen. Denn damit wäre der vorgeschriebenen
Schriftform
nicht genügt, die jedenfalls nach der Entscheidung des
Bundesverfassungsge-
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richt (BVerfGE 95, 322 = NJW 1997, 1497) verfassungsrechtlich geboten
ist.
Soweit in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs NStZ-RR 2003, 14 eine
noch nach § 21 g GVG a.F. ergangene mündliche
Regelung der Mitwirkungsgrundsätze
hingenommen worden ist, betraf dies - worauf in der Entscheidung
auch ausdrücklich abgestellt worden ist - einen Fall in der
vom Bundesverfassungsgericht
gesetzten Übergangsfrist (30. Juni 1997), die den Fachgerichten
eingeräumt war, um sich auf die Verschärfung der
verfassungsrechtlichen Anforderungen
einzustellen.
Ob ein den Anforderungen des § 21 g GVG entsprechender
Mitwirkungsplan
in dem Beschluß vom 8. November 2002, mit dem der
Besetzungseinwand
zurückgewiesen worden war, gesehen werden kann, bedarf hier
keiner
Entscheidung, weil dieser Beschluß jedenfalls nicht
für das vorliegende
Verfahren Gültigkeit haben könnte, da damit
für den konkreten Fall eine unzulässige
Einzelfallregelung getroffen worden wäre.
Durch das Fehlen eines nach § 21 g GVG von den
Kammermitgliedern
zu erstellenden Mitwirkungsplans wird allerdings das Gebot des
gesetzlichen
Richters dann nicht verletzt, wenn ein Spielraum bei der Heranziehung
der einzelnen
Richter nicht besteht, wie es etwa bei dem nicht überbesetzten
Spruchkörper
der Fall ist. Im vorliegenden Fall hat die Kammer aber in reduzierter
Besetzung
nach § 76 Abs. 2 GVG verhandelt. Zwar wird die Reduzierung der
Besetzung
erst mit dem von allen drei Richtern erlassenen
Eröffnungsbeschluß
vorgenommen. In der kammerinternen Geschäftsverteilung
muß aber jedenfalls
geregelt werden, welcher Richter nicht an der Hauptverhandlung
teilnimmt,
wenn die Zweierbesetzung beschlossen werden sollte (BVerfG - Kammer -
Beschluß
vom 3.05.2004 - 2 BvR 1825/02; BGH NJW 2000, 371 = JR 2000,166
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2000,166 m. Anm. Katholnigg). Da eine solche Regelung für das
Jahr 2002
nicht vorliegt, kann das Urteil keinen Bestand haben.
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