BGH,
Beschl. v. 5.11.2002 - 4 StR 304/02
4 StR 304/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 5. November 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5.
November 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Halle vom 12. April 2002 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II 3 bis 12 der
Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer - Jugendschutzkammer - des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Vergewaltigung in 12
Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem
Mißbrauch eines Kindes und einer Schutzbefohlenen" zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren sowie zur Zahlung eines
Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000 Euro an die
Geschädigte verurteilt. Mit seiner Revision rügt der
Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in
dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat hinsichtlich der Schuldsprüche in
den Fällen II 1 und 2 der Urteilsgründe keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Dagegen tragen die zu den Fällen II 3 bis 12 der
Urteilsgründe getroffenen Feststellungen die Verurteilung
wegen jeweils tateinheitlich begangener Vergewaltigung nicht.
a) Hinsichtlich der Fälle II 3 und 12 hat das Landgericht
lediglich festgestellt, daß der Angeklagte die am 16. Juli
1988 geborene Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin im Juni
2001 und am 3. Oktober 2001 zum Oralverkehr mit ihm "zwang" [UA 8, 9];
worin dieser Zwang bestand, teilt das Urteil nicht mit. Es mangelt
mithin an der hinreichenden Feststellung, daß der Angeklagte
bei diesen Taten eines der in § 177 Abs. 1 Nr. 1 - 3 StGB
beschriebenen Nötigungsmittel eingesetzt hat. Daher kann die
Verurteilung wegen Vergewaltigung in diesen Fällen keinen
Bestand haben, was auch zur Aufhebung der - für sich genommen
rechtsfehlerfreien - jeweils tateinheitlichen Verurteilung wegen
schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und sexuellen
Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen führt (vgl.
Kuckein in KK 4. Aufl. § 353 Rdn. 12).
b) Bezüglich der Fälle II 4 bis 11 belegen die
Urteilsfeststellungen nicht, daß der Angeklagte - wie vom
Landgericht angenommen - die Geschädigte jeweils durch Drohung
mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur
Duldung des Vaginalverkehrs bzw. zur Durchführung des
Oralverkehrs genötigt hat.
Das Landgericht hat insoweit lediglich allgemein und ohne Bezug zu
einer bestimmten Einzeltat festgestellt, der Angeklagte habe "mehrmals"
seine Drohung wiederholt, er werde die Geschädigte sowie ihre
Familie umbringen; auch habe er sie "mehrfach" darauf hingewiesen,
daß er Waffen habe und es ihm ein Leichtes sei, diese Waffen
auch zu benutzen [UA 8]. Damit ist nicht belegt, daß der
Angeklagte jeweils das in § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB beschriebene
Nötigungsmittel eingesetzt hat. Schon deshalb ist die
Verurteilung wegen dieser Taten aufzuheben, denn auch bei
Serienstraftaten bedürfen die besonderen tatbestandlichen
Voraussetzungen des Verbrechens der Vergewaltigung wegen der
erfahrungsgemäß nicht gleichen
Handlungsabläufe genauer Feststellungen (st. Rspr.; vgl. BGHSt
42, 107, 111 m.w.N.).
3. Darüber hinaus könnte die Verurteilung in den
Fällen II 4 bis 11 der Urteilsgründe keinen Bestand
haben, weil die Ermittlung der Tathäufigkeit und die
Festlegung auf acht zeitlich zwischen den Fällen II 3 und II
12 begangene Taten rechtsfehlerhaft ist.
Das Landgericht hat die Anzahl der Taten letztlich rechnerisch
ermittelt, was - unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes - gerade bei
über einen längeren Zeitraum begangenen
Serienstraftaten zum Nachteil von Kindern und Schutzbefohlenen nicht
grundsätzlich unzulässig ist. Es stützt
seine Überzeugung, daß von Mai 2001 bis zum 3.
Oktober 2001 insgesamt 12 Taten begangen wurden, auf die Angaben der
Geschädigten und das daraufhin erfolgte "pauschale"
Geständnis des Angeklagten. Die Geschädigte konnte
sich zwar nicht mehr genau erinnern, wie häufig es zu
Mißbrauchshandlungen gekommen war; sie konnte jedoch Beginn
und Ende der Taten anhand besonderer Vorkommnisse, welche ihre Mutter
bestätigt hat, eingrenzen und darüber hinaus angeben,
daß der Mißbrauch "mindestens alle 2 Wochen" (UA
10) stattgefunden habe.
Ausgehend von diesen Angaben und unter Berücksichtigung der
Tatsache, daß zwischen der letzten Maiwoche 2001 [die erste
Tat wurde an einem nicht mehr genau feststellbaren Tag im Mai 2001
begangen] und dem 3. Oktober 2001 18 Wochen liegen, ergeben sich
vielmehr nur 10 Taten, da von den Mindestangaben der
Geschädigten auszugehen ist. Die weitere Feststellung,
daß die Abstände zwischen den einzelnen
Mißbrauchstaten immer kürzer wurden (UA 8), ist zu
unbestimmt, als daß sie zur Bestimmung der Mindestanzahl
herangezogen werden kann. Die Verteidigungsmöglichkeit des
Angeklagten würde unzulässig beschränkt
werden, wenn eine Verurteilung auch auf eine derart vage Angabe eines
Zeugen gestützt werden könnte. Daran ändert
auch die Tatsache, daß der Angeklagte ein pauschales
Geständnis abgelegt hat, nichts. Auch zur Anzahl der Taten
bedarf es daher neuer Feststellungen (vgl. auch BGH StGB § 176
Abs. 1 Mindestfeststellungen 4; StPO § 267 Abs. 1 Satz 1
Sachdarstellung 9).
4. Der Senat hebt auch die für die Taten II 1 und 2
verhängten Einzelstrafen auf, um dem neuen Tatrichter
Gelegenheit zu umfassender Würdigung aller Taten zu geben.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin,
daß der Gesamtstrafausspruch im schriftlichen Urteil um so
eingehender zu begründen ist, je mehr sich die Gesamtstrafe
der oberen oder der unteren Grenze des Zulässigen
nähert (vgl. BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 8).
Insbesondere erscheint es widersprüchlich, wenn der Tatrichter
einerseits von minder schweren
Fällen der Vergewaltigung und des schweren sexuellen
Mißbrauchs eines Kindes ausgeht, andererseits aber eine
Gesamtfreiheitsstrafe verhängt, die nahezu an die
Höchststrafe heranreicht.
Tepperwien Maatz Kuckein Athing Solin-Stojanovic |