BGH,
Beschl. v. 5.11.2002 - 4 StR 406/02
4 StR 406/02
BUNDESGERICHTSHOF 1
BESCHLUSS 2
vom 5. November 2002 3
in der Strafsache gegen 4
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a. 5
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5.
November 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen: 6
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Paderborn vom 26. August 2002 im Maßregelausspruch mit den
Feststellungen aufgehoben. Der Ausspruch entfällt. 7
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 8
3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. 9
Gründe: 10
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in drei Fällen und wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
drei Jahren verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen,
seinen Führerschein eingezogen und bestimmt, daß ihm
vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden
darf. Die vom Angeklagten gegen das Urteil eingelegte, auf die
allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat zum
Maßregelausspruch Erfolg; im übrigen ist sie
entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 11
Die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis hat
keinen Bestand. Das Landgericht hat die Annahme, der Angeklagte sei zum
Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, allein damit
begründet, daß er seine Fahrerlaubnis "zur Begehung
mehrerer Taten eingesetzt hat, indem er mit seinem Fahrzeug die
Betäubungsmittel abgeholt hat". Diese Erwägung
trägt die Entscheidung nicht. Zutreffend ist allerdings der
rechtliche Ausgangspunkt des Landgerichts, daß § 69
Abs. 1 StGB nicht nur bei Verkehrsverstößen im
engeren Sinne, sondern auch bei sonstigen strafbaren Handlungen
anwendbar ist, sofern sie im Zusammenhang mit dem Führen eines
Kraftfahrzeugs begangen werden und sich daraus die mangelnde Eignung
zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt. Anders als bei der
Begehung einer der in § 69 Abs. 2 StGB aufgeführten
rechtswidrigen Taten begründet jedoch allein der Umstand,
daß der Täter ein Kraftfahrzeug zur Begehung von
Straftaten benutzt hat, nicht bereits eine Regelvermutung für
seine charakterliche Unzuverlässigkeit zum Führen von
Kraftfahrzeugen; deshalb verlangt die Rechtsprechung in diesen
Fällen regelmäßig eine nähere
Begründung der Entscheidung aufgrund einer umfassenden
Gesamtwürdigung (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 69 Abs.
1 Entziehung 5 und 8; zuletzt Senatsbeschluß vom 22. Oktober
2002 - 4 StR 339/02). 12
Allerdings wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die
Auffassung vertreten, daß bei der Durchführung von
Betäubungsmittelgeschäften unter Benutzung eines
Kraftfahrzeugs die charakterliche Zuverlässigkeit "in aller
Regel" verneint werden müsse und "nur unter ganz besonderen
Umständen ausnahmsweise etwas anderes gelten" könne
(BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 3; BGH NStZ 1992, 586; BGH
NStZ 2000, 26). Gegen diese Rechtsprechung hat bereits der 3.
Strafsenat des Bundesgerichtshofes das grundlegende Bedenken geltend
gemacht, daß damit einer spezifischen Deliktsgruppe im
Ergebnis die gleiche Wirkung wie den Katalogstraftatbeständen
des § 69 Abs. 2 StGB beigemessen werde (Urteil vom 28. August
1996 - 3 StR 241/96 = BGHR aaO Entziehung 6). Der Senat teilt diese
Bedenken, zieht darüber hinaus die Rechtsprechung aber
allgemein in Frage, soweit überhaupt unter Benutzung von
Kraftfahrzeugen begangene Anlaßtaten die Entziehung der
Fahrerlaubnis rechtfertigen sollen, die keinerlei spezifische
Verkehrssicherheitsinteressen berühren. 13
Die Maßregel nach § 69 StGB dient nicht der
allgemeinen Verbrechensbekämpfung; vielmehr setzt der nach
dieser Vorschrift erforderliche Zusammenhang zwischen Straftat und dem
Führen eines Kraftfahrzeugs voraus, daß durch das
Verhalten des Täters eine erhöhte Gefahr für
andere Verkehrsteilnehmer eintritt (Geppert in LK 11. Aufl. §
69 Rdn. 34; ebenso Hentschel, Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung,
Fahrverbot, 8. Aufl. Rdn. 582). Ergibt die Anlaßtat keinen
Hinweis darauf, daß der Angeklagte auch die allgemeinen
Regeln des Straßenverkehrs verletzt hat oder zumindest unter
Inkaufnahme ihrer Verletzung die Straftat begangen hat, so entfernt
sich die Entziehung der Fahrerlaubnis von ihrer Rechtsnatur als
Maßregel der Besserung und Sicherung und gewinnt den
Charakter einer Nebenstrafe, die sie jedoch gerade nicht ist (vgl.
Senatsbeschluß vom 22. Oktober 2002 - 4 StR 339/02). Dabei
zeigt gerade der Vergleich mit der Regelung des Fahrverbots in
§ 44 StGB, das Nebenstrafe ist und dessen Anordnung - insoweit
nicht anders als § 69 Abs. 1 StGB - daran anknüpft,
daß der Täter eine Straftat "bei oder im
Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter
Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen
hat", daß die Verwendung eines Kraftfahrzeugs bei der
Begehung einer (auch schwerwiegenden) Straftat für sich allein
noch nicht die für die Maßregel nach § 69
Abs. 1 StGB weiter vorausgesetzte fehlende Eignung begründet.
Eine Beschränkung der strafrechtlichen Entziehung der
Fahrerlaubnis auf die Fälle einer Negativprognose in bezug auf
Verkehrssicherheitsbelange erscheint zudem mit Blick auf die Bedeutung
der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr in einer auf
Mobilität angelegten Gesellschaft unter dem
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der allgemeinen Handlungsfreiheit
(vgl. dazu u.a. Herzog 30. VGT 1992, 25 ff.; Ronellenfitsch DAR 1992,
321 ff. und DAR 1994, 7 ff.; Sendler DAR 1990, 404 ff.) angezeigt. Vor
diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht in seiner
jüngsten Rechtsprechung zur - allerdings
verwaltungsrechtlichen - Entziehung der Fahrerlaubnis die diese
Maßnahme rechtfertigenden charakterlich-sittlichen
Mängel dann als vorliegend erachtet, "wenn der Betroffene
bereit ist, das Interesse der Allgemeinheit an sicherer und
verkehrsgerechter Fahrweise den jeweiligen eigenen Interessen
unterzuordnen und hieraus resultierende Gefährdungen oder
Beeinträchtigungen des Verkehrs in Kauf zu nehmen" (BVerfG,
Beschluß vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96, u.a. NZV 2002,
422, 424). Auf die strafrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis nach
§ 69 StGB bei Nicht-Katalogtaten im Sinne des § 69
Abs. 2 StGB übertragen, verlangt dies deshalb konkrete
Anhaltspunkte für die Gefahr, der Täter werde seine
kriminellen Ziele über die im Verkehr gebotene Sorgfalt und
Rücksichtnahme stellen (Hentschel aaO). 14
Der Senat braucht die aufgeworfene Rechtsfrage jedoch nicht
abschließend zu entscheiden. Denn die pauschale
Würdigung, mit der das Landgericht die Annahme der
Ungeeignetheit im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB
begründet, trägt die Maßregelanordnung
schon nach der bisherigen Rechtsprechung nicht. Dabei kann dahinstehen,
ob die Anlaßtaten schon von ihrem Gewicht her die in der
bisherigen Rechtsprechung zum Teil angenommene Indizwirkung
für die Annahme fehlender Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen entfalten. Zwar war in allen Transportfällen
der Verbrechenstatbestand des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG
erfüllt, doch handelte es sich bei den Mengen, die der
Angeklagte jeweils von seinem Lieferanten in Paderborn abholte, um bis
zu 350 g der "weichen" Droge Haschisch und in einem Fall von
zusätzlich 17 g Marihuana. Schon angesichts dieser Mengen
spielte die Benutzung des Fahrzeugs für das dem Angeklagten
angelastete Handeltreiben nur eine völlig untergeordnete
Bedeutung. Ein Erfahrungssatz, daß jeder Täter, der
- wie der Angeklagte - Betäubungsmittel mit einem
Kraftfahrzeug transportiert, deshalb zu besonders riskanter Fahrweise
entschlossen ist, um sich im Zweifel auch um den Preis der
Gefährdung anderer durch Flucht seiner Feststellung zu
entziehen, besteht in dieser Allgemeinheit nicht. Die
Urteilsfeststellungen ergeben auch nicht, daß der Angeklagte
bei den Fahrten unter der Wirkung des von ihm früher
konsumierten Haschischs stand. Sonstige Umstände, die auf eine
unzureichende Bereitschaft des Angeklagten, den Konsum von Haschisch
von dem Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen (vgl. hierzu
BVerfG aaO; zu diesem Gesichtspunkt BGH bei Tolksdorf DAR 1998, 169 Nr.
15 und BGH NStZ 2000, 26, 27) oder in anderer Weise
Verkehrssicherheitsinteressen zu vernachlässigen,
schließen lassen, sind ebenfalls nicht hervorgetreten. In
diesem Zusammenhang hätte das Landgericht zudem bedenken
müssen, daß die Ungeeignetheit im Sinne des
§ 69 StGB noch im Zeitpunkt des Urteils gegeben sein
muß (st. Rspr.; BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 4
m.w.N.). Dazu bestand umso mehr Anlaß, als sich das
Landgericht ausdrücklich die Überzeugung verschafft
hat, daß der Angeklagte mittlerweile keine
Betäubungsmittel mehr konsumiert. Angesichts dessen
schließt der Senat aus, daß sich aufgrund neuer
Hauptverhandlung noch Umstände ergeben könnten, die
eine Ungeeignetheitsprognose im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB
rechtfertigen und deshalb den Maßregelausspruch tragen
könnten. Dieser entfällt daher. 15
Der geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels gibt keinen
Anlaß, den Angeklagten teilweise von den Kosten seines
Rechtsmittels freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO). 16
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