BGH,
Beschl. v. 5.10.2000 - 4 StR 377/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 377/00
vom
5. Oktober 2000
in der Strafsache gegen
wegen Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. Oktober
2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Halle vom 30. November 1999 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten "der gefährlichen
Körperverletzung und des Raubes in Tateinheit mit
Körperverletzung" schuldig gesprochen. Es hat ihn unter
Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts
Halle-Saalkreis vom 20. April 1999 "zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei (2) Jahren und drei (3) Monaten und einer weiteren Freiheitsstrafe
von drei (3) Jahren verurteilt".
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge zum
Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im übrigen ist sein Rechtsmittel
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Rechtsfolgenausspruch hat insgesamt keinen Bestand, weil das
Landgericht - wie die Revision zu Recht beanstandet - die nach den
Feststellungen gebotene Prüfung einer Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB)
unterlassen hat.
Nach den Feststellungen begann der Angeklagte, der im Jahre 1991 nach
Deutschland gekommen war und Sprach- und
Eingewöhnungsschwierigkeiten hatte, Alkohol zu trinken, um
seinen Problemen zu entfliehen:
"Sein Tagesablauf bestand überwiegend darin, sich mit
Bekannten, die seiner Muttersprache mächtig sind, zu treffen
und mit diesen gemeinsam Alkohol, vorwiegend Wodka, zu konsumieren.
Diese, mit starkem Alkoholkonsum verbundene, Lebensweise dauerte bis zu
seiner Verhaftung an".
Seit 1994 wurde der Angeklagte mehrfach u.a. wegen Eigentumsdelikten zu
Geldstrafen verurteilt, wobei sich die Urteilsgründe nicht
dazu verhalten, ob der Angeklagte auch diese Taten unter
Alkoholeinfluß beging. Am 24. Oktober 1996 wurde er durch das
Amtsgericht Halle-Saalkreis u.a. wegen Vollrausches zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hinsichtlich der hier abgeurteilten
beiden Taten ist das sachverständig beratene Landgericht mit
Rücksicht auf den vorangegangenen Alkoholgenuß (BAK
im Fall II 1 der Urteilsgründe: max. 4,12 g %) jeweils von
einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten ausgegangen.
Bei dieser Sachlage stellt es einen durchgreifenden Rechtsfehler dar,
daß sich das Landgericht nicht mit der Frage des Vorliegens
eines Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB auseinandergesetzt
hat. Zwar muß zwischen dem in § 64 StGB
vorausgesetzten Hang zu übermäßigem
Alkoholgenuß und der Tat sowie der zukünftigen
Gefährlichkeit ein symptomatischer Zusammenhang bestehen (vgl.
BGH NStZ-RR 1997, 231). Ein solcher Zusammenhang kann aber hier nicht
schon deshalb in Frage gestellt werden, weil die gefährliche
Körperverletzung (ein "Fall von Gruppendynamik") und die
Raubtat - wie der Generalbundesanwalt meint - "ihre Wurzel (nicht) in
übermäßigem Genuß von Alkohol,
sondern in der sozialen Situation des Angeklagten als (einem) der
deutschen Sprache kaum mächtigen, von Sozialhilfe lebenden
Asylbewerber" gehabt haben. Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen
den begangenen und den künftig zu befürchtenden
Straftaten einerseits und dem Hang zum
übermäßigen Alkoholgenuß
andererseits ist nämlich auch dann zu bejahen, wenn der Hang
zum Alkoholgenuß neben anderen Umständen mit dazu
beigetragen hat, daß der Angeklagte erhebliche rechtswidrige
Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten
für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH aaO; BGH NStZ 2000,
25; BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1). Die
bisherigen Feststellungen, insbesondere die lückenhaften
Mitteilungen zu den Vorstrafen und den diesen zugrundeliegenden Taten,
bilden keine ausreichende tatsächliche Grundlage für
die sich hier aufdrängende Beurteilung, ob der evident
gewordene Hang des Angeklagten zu
übermäßigem Alkoholgenuß nicht
wenigstens Einfluß auf die Art der bisher begangenen
Straftaten hatte und ob ihm ein solcher Einfluß auch auf
künftig zu befürchtende Straftaten zukommen kann. Den
Urteilsgründen kann auch nicht entnommen werden, daß
bei dem Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines
Behandlungserfolges nicht besteht (vgl. BVerfGE 91, 1 ff.).
Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung auch des
gesamten Strafausspruchs, da der Senat nicht mit Sicherheit
ausschließen kann, daß die Strafen niedriger
ausgefallen wären, wenn zugleich auch die Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden wäre
(vgl. BGHSt 28, 327, 330; BGHR StGB § 64 Ablehnung 6, 7).
2. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung auf folgendes
hin:
a) Da hier mit Rücksicht auf die Zäsurwirkung der
Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Halle-Saalkreis vom
20. April 1999 die Bildung einer Gesamtstrafe aus den beiden wegen der
abzuurteilenden Taten zu verhängenden Einzelstrafen
ausgeschlossen ist, wird ein sich dadurch für den Angeklagten
möglicherweise ergebender Nachteil infolge eines zu hohen
Gesamtstrafübels gegebenenfalls auszugleichen und dazu die
nicht in die Gesamtstrafe einbeziehbare Einzelstrafe herabzusetzen
sein, um eine insgesamt gerechte Bestrafung des Angeklagten zu
erreichen (vgl. BGHSt 41, 310, 313; BGH NStZ-RR 1996, 344).
b) Ist neben einer Gesamtstrafe eine weitere Strafe zu
verhängen, ist die Urteilsformel so zu fassen, daß
sie erkennen läßt, welcher der Taten die jewei-
lige Rechtsfolge zuzuordnen ist (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 260 Rdn.
31).
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |