BGH,
Beschl. v. 6.8.2002 - 2 BJs 9/02 - StB 14/02
StB 14/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 BJs 9/02 -
vom
6. August 2002
in dem Ermittlungsverfahren gegen
wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6.
August 2002 gemäß § 304 Abs. 5 StPO
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 24. April 2002
aufgehoben.
Die dem Beschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Der Beschuldigte befindet sich seit dem 24. April 2002 aufgrund des
Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom selben
Tag wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 i. V. m.
§§ 211, 212, 306 - 306 c, 308 Abs. 1 - 4 StGB) in
Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, mindestens seit Sommer 2001
einer Gruppierung angehört zu haben, die sich um den in E.
wohnhaften Mitbeschuldigten D. (alias H. alias
A. ) gebildet habe. Diese rechne sich der
jordanisch-palästinensischen Organisation Al Tawhid zu und sei
Teil eines internationalen konspirativen Netzes, das unter anderem die
logistische und finanzielle Unterstützung dieser Organisation
sicherstelle, die ihrerseits auf der Grundlage eines
aggressiv-militanten Islamismus den "heiligen Krieg" aller
Glaubensbrüder weltweit fördere, insbesondere mit
Zielrichtung gegen das jordanische Königshaus und gegen
Israel. Die Gruppierung um D. habe sich zunächst mit
Paßfälschungen, Spendensammlungen und der Schleusung
von Kämpfern befaßt. Vor dem Hintergrund der
militärischen Aktionen der USA und ihrer Verbündeten
in Afghanistan und der Zuspitzung der Lage in den
palästinensischen Autonomiegebieten habe sie sich dann auch
mit der Planung von Anschlägen auf israelische bzw.
jüdische Einrichtungen in Deutschland beschäftigt.
Auf die Beschwerde des Beschuldigten ist der gegen ihn erlassene
Haftbefehl aufzuheben. Zwar besteht gegen ihn aufgrund der bisherigen
Ermittlungen der Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO), er habe
sich mitgliedschaftlich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt.
Jedoch mangelt es an hinreichenden tatsächlichen
Anhaltspunkten, die den für die Anordnung der
Untersuchungshaft erforderlichen dringenden Tatverdacht (§ 112
Abs. 1 Satz 1 StPO) begründen könnten. Ein solcher
liegt nicht schon dann vor, wenn für die Täterschaft
des bestreitenden Beschuldigten eine gewisse Wahrscheinlichkeit
besteht. Vielmehr müssen Beweise vorhanden sein, durch die der
Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit
überführt werden kann (BGH NJW 1992, 1975, 1976).
Solche Beweise sind hier nicht vorhanden.
Dabei kann dahinstehen, ob die Gruppierung um den Mitbeschuldigten D.
nach den bisherigen Erkenntnissen als Vereinigung im Sinne des
§ 129 a StGB angesehen werden kann, es sich also um einen auf
gewisse Dauer angelegten organisatorischen Zusammenschluß von
mindestens drei Personen handelte, die bei Unterordnung des Willens des
einzelnen unter den Willen der Gesamtheit terroristische
Anschläge auf israelische oder jüdische Einrichtungen
planten und unter sich derart in Beziehung standen, daß sie
sich - sei es auch nur als nachgeordnete Teilorganisation der
international operierenden Al Tawhid - als einheitlicher Verband
fühlten (vgl. BGHSt 31, 202, 204 f.; 45, 26, 35; BGH NStZ
1999, 503, 504). Denn selbst wenn dies der Fall ist, fehlt es an
ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten dafür,
daß der Beschuldigte an dieser Organisation
mitgliedschaftlich beteiligt war. Als Mitglied einer (kriminellen oder)
terroristischen Vereinigung kommt nur derjenige in Betracht, der sich
in deren organisierte Willensbildung einordnet. Außerdem
muß er in subjektiver Hinsicht zumindest damit rechnen und
billigend in Kauf nehmen, daß der Zweck oder die
Tätigkeit der Gruppierung auf die Begehung von Katalogtaten
nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 - 3 StGB gerichtet sind (vgl. BGHSt
29, 99, 101 f.). Beides kann für den Beschuldigten nach
bisherigem Ermittlungsstand nicht mit der für die Anordnung
von Untersuchungshaft erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen
werden.
Den Aussagen des Mitbeschuldigten A. , der Auswertung
überwachter Telefonate und den sonstigen Ermittlungen kann im
Sinne eines dringenden Verdachts lediglich folgendes entnommen werden:
Der Beschuldigte unterhielt Verbindungen zu militanten
islamistisch-fundamentalistischen Kreisen bzw. Organisationen,
namentlich auch zu führenden Personen der Al Qaida des Osama
Bin Laden und der Al Tawhid. Er hatte sich im August/September 2000
selbst in Ausbildungslagern dieser Organisationen in Afghanistan
aufgehalten und war spätestens seit diesem Aufenthalt mit
führenden Funktionären der Al Qaida (S. ; T. ; O. )
und der Al Tawhid ( M. ) bekannt. Er stand nach seiner
Rückkehr nach Mü. mit dem Mitbeschuldigten D. in
Verbindung, der - dem M. untergeordnet - eine Gruppe von Al
Tawhid-Anhängern in der Bundesrepublik führte.
Über D. stand der Beschuldigte weiterhin in Kontakt zu M. in
Afghanistan bzw. später im Iran; er führte aber auch
persönlich Telefonate mit M. . Daneben unterhielt der
Beschuldigte in Mü. bis zu einem Streit im Sommer des Jahres
2001 eine engere Bekanntschaft zu dem der Al Tawhid zuzurechnenden
Mitbeschuldigten U. , der zeitweise die Wohnung des Beschuldigten
mitbenutzte. Auch hatte der Beschuldigte Verbindungen zu dem in N.
wohnhaften Mitbeschuldigten Me. (alias u. a. Abd. ), der der
radikal-islamistischen ägyptischen Gruppierung Al Jihad Al
Masria zugehört.
Von dem Beschuldigten wurden konspirative Telefongespräche
geführt, in denen unter Verwendung von Deckbezeichnungen von
gefälschten Pässen und Schleusungen die Rede war. Der
Beschuldigte war (ebenso wie U. ) im Raum Mü. an der Sammlung
von Spendengeldern beteiligt, die vorrangig für die Al Qaida,
zumindest in einem Einzelfall aber anteilig auch für die Al
Tawhid bzw. die Taliban bestimmt waren. Diese Gelder transferierte der
Beschuldigte zunächst direkt an M. . Später wurden
sie über D. und von diesem eingeschaltete weitere
Mittelspersonen an M. weitergeleitet.
Auch wenn diese Umstände die Annahme nahe legen, daß
der Beschuldigte in irgendeiner Weise in strafbare, jedenfalls aber
verbotene Aktivitäten verwickelt war, vermögen sie
den dringenden Verdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer
terroristischen Vereinigung um den Mitbeschuldigten D. nicht zu
begründen. Denn eine Einbindung des Beschuldigten in die
organisierte Willensbildung dieser Gruppe, sei es auch nur in der Form
der absprachegemäßen Unterordnung unter die
Anweisungen des M. , ist nicht belegt. Allein der Kontakt des
Beschuldigten zu Abu M. , D. und - früher - zu U. sowie der
Umstand, daß der Beschuldigte zumindest in einem Fall die von
ihm gesammelten Gelder anteilig auch der Al Tawhid zukommen lassen
wollte, sind hierfür ohne Aussagekraft. Vielmehr stand der
Beschuldigte ersichtlich in Verbindung zu mehreren militanten
islamistisch-fundamentalistischen Organisationen, für die aber
nach bisherigem Ermittlungsstand keine Erkenntnisse vorliegen, die ihre
Einordnung als inländische terroristische Vereinigung im Sinne
des § 129 a StGB erlauben. Die Angaben des Mitbeschuldigten
Ab. deuten darauf hin, daß der Beschuldigte insbesondere der
Al Qaida näher stand als der Al Tawhid und er vorrangig an der
finanziellen Unterstützung der Al Qaida interessiert war.
Entsprechend hat Ab. in den von ihm gefertigten Organigrammen den
Beschuldigten der Al Qaida zugeordnet.
Die Ermittlungen haben darüber hinaus auch keinen Anhaltspunkt
dafür ergeben, daß der Beschuldigte Kenntnis von dem
Auftrag des M. an die Mitbeschuldigten D. , Da. , Ab. und Sh. erlangte,
in der Bundesrepublik einen oder mehrere Anschläge auf
israelische bzw. jüdische Einrichtungen zu begehen. Der zu
diesem Auftrag umfassend geständige Mitbeschuldigte Ab. hat
von einer Unterrichtung des Beschuldigten über diese
Pläne nichts berichtet. Auch die
Telefonüberwachungsmaßnahmen und sonstigen
Ermittlungen haben keine Belege für ein entsprechendes Wissen
oder auch nur eine Vermutung des Beschuldigten erbracht. Damit fehlt es
- zumindest mangels Beweisen zur subjektiven Tatseite - nicht nur an
einem hinreichenden Tatverdacht für eine mitgliedschaftliche
Beteiligung des Beschuldigten an einer (inländischen
terroristischen) Vereinigung um D. . Vielmehr ist auch ein
Unterstützen dieser Gruppierung im Sinne des § 129 a
Abs. 3 StGB nicht belegt. Es kann daher dahinstehen, ob die
Ermittlungen in objektiver Hinsicht überhaupt eine
Unterstützungshandlung des Beschuldigten erkennen lassen. Das
Unterstützen ausländischer terroristischer
Vereinigungen (Sammlung und Übermittlung von Spendengeldern an
M. zur Weiterleitung an die Al Qaida bzw. in mindestens einem Fall an
die Al Tawhid bzw. die Taliban) ist nach geltendem Recht nicht strafbar.
Tolksdorf Winkler Becker |