BGH,
Beschl. v. 6.12.2005 - 4 StR 443/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 443/05
vom 6.12.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung -
zu Ziff. 1 a) auf Antrag - des Generalbundesanwalts und nach
Anhörung des Beschwerdeführers am 6.12.2005
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stralsund vom 14. Juni 2005 a) im Schuldspruch dahin geändert,
dass in den Fällen II. 1 bis 6 die tateinheitliche
Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen
entfällt, b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der
Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende
Revision wird verworfen. Gründe: Das Landgericht hat den
Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit
sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fälle II. 1 bis 6)
sowie wegen Vergewaltigung (Fall 7) unter Einbeziehung einer Strafe aus
einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
sieben Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung
des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung, gestützt auf
§ 66 Abs. 1 StGB, angeordnet. Gegen dieses 1
- 3 -
Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die
Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das
Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur
Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des gesamten
Rechtsfolgenausspruchs. Im Übrigen ist es unbegründet
im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 2 1. In den Fällen
II. 1 bis 6 der Urteilsgründe unterliegt der Schuldspruch der
Änderung dahin, dass der Angeklagte jeweils allein des
sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig ist. Die Verurteilung wegen
tateinheitlich verwirklichten sexuellen Missbrauchs einer
Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) muss entfallen,
weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Die
Verjährungsfrist für § 174 Abs. 1 StGB
beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB).
Nach den Feststellungen beging der Angeklagte die Taten im Jahr 1996
(Fall I. 1), beziehungsweise zu nicht näher feststellbaren
Zeitpunkten nach dem 17. Mai 1997 und vor dem 17. Mai 2000
(Fälle II. 2 bis 6). Die erste
verjährungsunterbrechende Handlung - die Anordnung der
Durchsuchung (§ 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB) - erfolgte am
16. November 2004. Da in den Fällen II. 2 bis 6 nach dem
Zweifelsgrundsatz von der zeitlich frühest denkbaren
Tatbegehung ausgegangen werden muss (18. Mai 1997) waren
sämtliche Verstö-ße gegen § 174
StGB im Zeitpunkt der verjährungsunterbrechenden Handlung
verjährt. Durch den mit dem Sexualdelikts-ÄndG vom
27. Dezember 2003 neu gefassten § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB, in
welchem nunmehr bestimmt ist, dass auch bei Straftaten nach §
174 StGB die Verjährung bis zur Vollendung des 18.
Lebensjahres des Opfers ruht, hat sich an dieser Rechtslage
für den vorliegenden Fall nichts geändert, weil zum
Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 1. April 2004 bereits
Strafverfolgungsverjährung eingetreten war (vgl. BGH NStZ
2005, 89). 3
- 4 -
2. Die Bemessung der Strafen hält in sämtlichen
Fällen sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. 4 a)
Bereits wegen der Änderung des Schuldspruchs müssen
die in den Fällen II. 1 bis 6 ausgeworfenen Einzelstrafen neu
bemessen werden. Der Senat kann nicht völlig
ausschließen, dass sich der Fehler hier in der Strafzumessung
ausgewirkt hat, auch wenn nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs die strafschärfende
Berücksichtigung verjährter Taten in
eingeschränktem Maße möglich ist. 5 b)
Darüber hinaus weisen die Ausführungen zur
Strafzumessung in den Fällen II. 2 bis 5 einen weiteren
Rechtsfehler auf. 6 Das Landgericht hat in diesen Fällen zu
Lasten des Angeklagten entscheidend darauf abgestellt, dass das
Tatopfer bei Begehung der Taten "noch sehr jung", nämlich erst
elf Jahre alt war (UA 53). Es ist dabei davon ausgegangen, dass sich
die Taten nach dem 17. Mai 1997 (dem 11. Geburtstag des
geschädigten Mädchens), jedoch vor dem 26. Januar
1998 ereigneten. Die Feststellungen zum Ende des Tatzeitraums hat das
Landgericht mit Blick auf die Wahl des Strafrahmens aus § 176
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB a.F. auf Grund einer Wertung zu Gunsten des
Angeklagten getroffen (UA 47). Es hat dabei verkannt, dass sich diese
Anwendung des Zweifelssatzes bei der Strafzumessung im engeren Sinne,
nämlich bei der Berechnung des Alters des Tatopfers, zu Lasten
des Angeklagten ausgewirkt hat. Insoweit hätte es deshalb
einer erneuten Anwendung des Zweifelssatzes dahin bedurft, dass der
Angeklagte, was dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe
entnommen werden kann, die Taten (jedenfalls) vor dem 17. Mai 2000
beging, das Tatopfer also bei Begehung der Taten
möglicherweise bereits unmittelbar vor Vollendung ihres 7
- 5 -
14. Lebensjahres stand. Der Senat kann nicht ausschließen,
dass sich in den Fällen II. 2 bis 5 auch dieser Rechtsfehler
bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. c)
Die im Fall II. 7 wegen Vergewaltigung verhängte
(Einsatz-)Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten kann schon
deshalb nicht bestehen bleiben, weil nicht auszuschließen
ist, dass die Bemessung dieser Strafe von den aufzuhebenden Strafen in
den Fällen II. 1 bis 6 beeinflusst worden ist. Im
Übrigen begegnet die Strafzumessung in diesem Fall auch
insoweit rechtlichen Bedenken, als das Landgericht in den
Urteilsgründen nicht erörtert hat, ob trotz
Verwirklichung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr.
1 StGB ausnahmsweise der Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zu
Grunde zu legen ist. Eine entsprechende Erörterung
hätte sich hier aufgedrängt, da nach den
Feststellungen zu den Gesamtumständen der Tat das
Maß der körperlichen Zwangseinwirkung auf das Opfer
im untersten Bereich dessen lag, was das Gesetz in § 177 Abs.
1 Nr. 1 StGB als Nötigung mit Gewalt unter Strafe stellt. 8 3.
Mit der Aufhebung der Einzelstrafen entfällt der Ausspruch
über die Gesamtstrafe und die Anordnung der
Sicherungsverwahrung. 9 4. Zur Frage der Anordnung einer
freiheitsentziehenden Maßregel weist der Senat für
das weitere Verfahren auf folgendes hin: 10 Sollte der neue Tatrichter
ebenfalls zu der Feststellung gelangen, dass der Angeklagte
alkoholabhängig ist und sich seine Alkoholisierung bei
Begehung der Taten jedenfalls bei der Intensität der
Tatausführung auswirkte (UA 49, 54), wird er unter
Berücksichtigung der früheren Straftaten zu
erörtern haben, ob die Anordnung einer Unterbringung des
Angeklagten in einer Entzie-11
- 6 -
hungsanstalt nach § 64 StGB in Betracht kommt. Der bei
§ 64 StGB geforderte symptomatische Zusammenhang zwischen dem
Hang zu übermäßigem Alkoholgenuss und der
Tat sowie der zukünftigen Gefährlichkeit kann -
entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung - auch dann
vorliegen, wenn ein evident gewordener Hang lediglich Einfluss auf die
Qualität der bisherigen Straftaten hatte und ihm ein solcher
Einfluss auch auf die künftigen zu befürchtenden
Straftaten zukommen kann (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang,
symptomatischer 1). Sollten sich in der neuen Hauptverhandlung die
Voraussetzungen für Unterbringungsanordnungen sowohl nach
§ 64 StGB als auch nach § 66 StGB ergeben, wird der
Tatrichter zu prüfen haben, ob ausnahmsweise ein Absehen von
der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf eine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt (vgl. BGHR
StGB § 72 Sicherungszweck 5). 12
Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible |