BGH,
Beschl. v. 6.2.2009 - 1 StR 541/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 541/08
vom
6. Februar 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
__________________________
§ 356a StPO
Gegen die Entscheidung des Revisionsgerichts über einen
Befangenheitsantrag ist allein die - befristete -
Anhörungsrüge gemäß §
356a StPO statthaft.
BGH, Beschl. vom 6. Februar 2009 - 1 StR 541/08 - LG Stuttgart
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
hier: Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Februar 2009
beschlossen:
Die Anhörungsrüge des Verurteilten vom 7. Januar 2009
gegen den Beschluss des Senats vom 18. November 2008
(Zurückweisung eines Befangenheitsantrags) wird auf Kosten des
Verurteilten zurückgewiesen.
Gründe:
1. Der Senat hatte erneut über eine Revision des - damals -
Angeklagten zu entscheiden, nunmehr gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 10. April 2008. Vier der zur Entscheidung berufenen
Richter, die bereits an der ersten Revisionsentscheidung mitgewirkt
hatten, lehnte der Angeklagte mit Anträgen vom 29. September
2008 wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dies hat der Senat in der
Besetzung gemäß § 27 Abs. 1 StPO mit
Beschluss vom 18. November 2008 als unbegründet
zurückgewiesen. Der Senat hat dann in der Besetzung mit den
erfolglos abgelehnten Richtern die Revision des Angeklagten mit
Beschluss vom 2. Dezember 2008 gemäß § 349
Abs. 2 StPO verworfen. Diese Entscheidung wurde von der
Geschäftsstelle am 8. Dezember 2008 versandt. Mit Schriftsatz
seiner Verteidigerin vom 7. Januar 2009, der am 8. Januar 2009 beim
Bundesgerichtshof einging, erhob der Verurteilte gegen die Entscheidung
über das Befangenheitsgesuch
„Anhörungsrüge nach § 33a
StPO“.
1
- 3 -
2. Der Verurteilte erhebt der Sache nach die
Anhörungsrüge gemäß §
356a StPO. Die anderweitige Bezeichnung steht dem nicht entgegen
(§ 300 StPO).
2
Die Geltendmachung einer Gehörsverletzung ist statthaft (unten
a). Maßgeblich ist § 356a StPO (unten b). Danach
wäre die Anhörungsrüge - wohl -
unzulässig (unten c). Den Verurteilten hierauf zu verweisen,
verstieße im vorliegenden Fall allerdings gegen den Grundsatz
der Gewährleistung eines fairen Verfahrens (unten d). Die
Anhörungsrüge ist jedoch unbegründet (unten
e).
3
a) Gegen die Ablehnung eines Befangenheitsantrags im Revisionsverfahren
kann die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
geltend gemacht werden; dies ist statthaft. Der in § 305 Abs.
1 Satz 1 StPO und in § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO (auch im
Beschlussverfahren gemäß § 349 Abs. 2 StPO
entscheiden „erkennende Richter“ i.S. von
§ 28 Abs. 2 Satz 2 StPO [vgl. Siolek in
Löwe/Rosenberg StPO, 26. Aufl. § 28 Rdn. 23])
verkörperte Rechtsgedanke, dass der endgültigen
Entscheidung eines erkennenden Richters vorausgehende Entscheidungen
zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen
grundsätzlich nicht angefochten werden können, steht
der Geltendmachung einer Gehörsverletzung im Zwischenverfahren
über einen Befangenheitsantrag vor einer fachgerichtlich
letztinstanzlichen Entscheidung nicht entgegen. Dies gebietet die
Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Denn andernfalls
entstünde eine Rechtsschutzlücke. Die behauptete
Gehörsverletzung im Zwischenverfahren der Richterablehnung
könnte mit einer Anhörungsrüge gegen die
spätere Sachentscheidung nicht mehr in geeigneter, den
verfassungsrechtlichen Anforderungen genügender Weise geltend
gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschl. vom 23. Oktober 2007 - 1 BvR
782/07; BVerfGE 119, 292, 300 - und dieser
4
- 4 -
Entscheidung folgend BAG, Beschl. vom 23. September 2008 - 6 AZN 84/08
- Rdn. 5 [jeweils zu § 78a Abs. 1 Satz 2 ArbGG, wonach die
Anhörungsrüge gegen eine der Endentscheidung
vorausgehende Entscheidung nicht stattfindet]; BVerfG, Beschl. vom 12.
Januar 2009 - 1 BvR 3113/08 - [zu § 321a Abs. 1 Satz 2 ZPO];
BFH, Beschl. vom 4. Mai 2006 - VI S 5/06 - [zu § 133a FGO]).
b) Bei dem Vorbringen, der Senat habe bei seiner Entscheidung
über die Befangenheitsanträge vom 29. September 2009
den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, handelt es sich
um eine Anhörungsrüge gemäß
§ 356a StPO.
5
Die mit dem Anhörungsrügegesetz vom 9. Dezember 2004
(BGBl. I 3220) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 eingefügte Norm
regelt die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im
strafrechtlichen Revisionsverfahren abschließend. Im
Verhältnis zu § 33a StPO ist § 356a StPO
für das Revisionsverfahren die speziellere Vorschrift
(Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl.
§ 33a Rdn. 28). Zwar ist der Wortlaut der Bestimmung, in der
von einem Anhörungsverstoß „bei einer
Revisionsentscheidung“ die Rede ist, nicht völlig
eindeutig. Schon nach dem Wortsinn ist die Reduzierung des
Anwendungsbereichs des § 356a StPO auf die Urteilsfindung
(§ 349 Abs. 5 StPO) und die Beschlussfassung (§ 349
Abs. 1 bis 4 StPO) aber nicht zwingend. Einer Einschränkung
steht jedoch vor allem Sinn und Zweck der Befristung der
Anhörungsrüge gemäß §
356a Satz 2 StPO (eine Woche nach Kenntniserlangung vom
Gehörsverstoß) entgegen. Damit sollte im Interesse
der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens eine unbefristete
Gefährdung der Rechtskraft der Revisionsentscheidung durch
Anträge des Angeklagten oder Nebenklägers
ausgeschlossen werden (vgl. BRDrucks. 663/04 S. 43; BTDrucks. 15/3706
S. 18). Die Zulassung einer zeitlich nicht begrenzten Rüge der
Verletzung des rechtlichen Gehörs bei einer vorangegangenen
Entscheidung über einen Befangenheitsan-
6
- 5 -
trag gegen die erkennenden Richter ist damit nicht vereinbar.
Über ein entsprechendes Vorbringen muss zur
Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bald,
grundsätzlich vor der endgültigen
Revisionsentscheidung befunden werden. Mit einer nach der
abschließenden Sachentscheidung erhobenen Rüge - sei
es gegen die Entscheidung über den Befangenheitsantrag oder
gegen die Endentscheidung - kann eine behauptete
Gehörsverletzung im Zwischenverfahren der Richterablehnung
kaum mehr in geeigneter, den verfassungsrechtlichen Anforderungen
genügender Weise (vgl. BVerfG, Beschl. vom 23. Oktober 2007 -
1 BvR 782/07; BVerfGE 119, 292, 300) geltend gemacht werden. Wie den
Konsequenzen eines bei der Entscheidung über den
Befangenheitsantrag ausschlaggebenden
Gehörsverstoßes nach der endgültigen
Revisionsentscheidung auf fachgerichtlicher Ebene Rechnung getragen
werden könnte - über den Befangenheitsantrag befindet
ein anderes Richterkollegium als über die in Rechtskraft
erwachsende endgültige Entscheidung -, kann hier dahinstehen
(dies lässt auch - für eine vergleichbare Situation -
der Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 4. Mai 2006 - VI S 5/06 -
Rdn. 11 offen).
c) Die Anhörungsrüge nach § 356a StPO ist
binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen
Gehörs - hier also nach Empfang der Entscheidung über
die Zurückweisung des Befangenheitsantrags - zu erheben (Satz
2). Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (Satz
3) und zwar innerhalb der Wochenfrist (vgl. Kuckein in Karlsruher
Kommentar zur StPO, 6. Aufl. § 356a StPO Rdn. 11 m.w.N.).
Mangels Einhaltung der Frist und schon mangels Glaubhaftmachung vom
Zeitpunkt der Kenntniserlangung wäre die
Anhörungsrüge des Verurteilten nach dem eingangs
geschilderten Ablauf - wohl - unzulässig. Einer weiteren
Klärung bedarf dies jedoch nicht.
7
- 6 -
d) Denn in der besonderen Situation des vorliegenden Falls kann der
Verurteilte nicht auf die Unzulässigkeit der
Anhörungsrüge verwiesen werden. Dies
verstieße gegen das Gebot der Gewährleistung eines
fairen Verfahrens. Die Frage, wie eine behauptete Verletzung des
rechtlichen Gehörs bei der Entscheidung über einen
Befangenheitsantrag im Revisionsverfahren nach der Schaffung des
§ 356a StPO anzubringen ist, war nicht geklärt; sie
war nicht einmal in der Diskussion.
8
Es kann deshalb dahinstehen, ob dem Verteilten im Hinblick auf den -
nunmehr erkannten - Rechtsirrtum seiner Verteidigerinnen
gemäß § 44 Satz 1 StPO Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wochenfrist des
§ 356a Satz 2 StPO hätte gewährt werden
können. Dies ist zwar im Grundsatz nicht ausgeschlossen. An
die Voraussetzungen fehlenden Verschuldens sind im Interesse der
Rechtssicherheit bei § 356a StPO aber hohe Anforderungen zu
stellen (vgl. BGH, Beschl. vom 13. August 2008 - 1 StR 162/08 - Rdn.
17). Ein Verteidigerverschulden ist einem Angeklagten bei
verspäteter Einlegung der Gehörsrüge
gemäß § 356a StPO zuzurechnen (vgl. aaO
Rdn. 21 ff.).
9
e) Die Gehörsrüge ist jedoch unbegründet.
Der Senat hat bei seiner Entscheidung über den
Befangenheitsantrag des Verurteilten keine Tatsachen oder
Beweisergebnisse verwertet, zu denen der Beschwerdeführer
nicht gehört wurde. Sein Vorbringen wurde vom Senat umfassend
zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung
berücksichtigt.
10
Der - von der Verteidigung zitierte - Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 2006 - 2 BvR 836/04 -
betrifft den Anwendungsbereich des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO.
Der Senat hat den Befangenheitsantrag
11
- 7 -
nicht als unzulässig, sondern in der Besetzung
gemäß § 27 Abs. 1 StPO als
unbegründet zurückgewiesen.
Hebenstreit Graf Jäger
Schäfer Sander |