BGH,
Beschl. v. 6.7.2006 - 4 StR 199/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 199/06
vom
6.7.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6.07.2006
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung der
Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts Paderborn vom 20. Februar 2006 Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gewährt.
Damit ist der Beschluss des Landgerichts vom 12. April 2006, durch den
die Revision des Angeklagten verworfen worden ist, gegenstandslos.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil
aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen versuchter schwerer
räuberischer Erpressung (Fall II. 6 der
Urteilsgründe) verurteilt worden ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in fünf
Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem
rechtskräftigen früheren Urteil zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie wegen
versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer weiteren
Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen
dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der
er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das - nach
antragsgemäßer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist -
zulässige Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel
ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das
Landgericht in den Fällen II. 1 bis 5 der
Urteilsgründe wegen Diebstahls in fünf
Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus der
früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr und drei Monaten verurteilt hat.
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2. Dagegen hält die Verurteilung des Angeklagten wegen
versuchter schwerer räuberischer Erpressung (Fall II. 6 der
Urteilsgründe) der rechtlichen Nachprüfung nicht
stand, weil das Landgericht die Frage strafbefreienden
Rücktritts vom Versuch (§ 24 Abs. 1 StGB) nicht
geprüft hat.
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Nach den Feststellungen verfolgte der Angeklagte am Tattag gegen 10.40
Uhr auf dem Borlinghauser Weg in Paderborn die gehbehinderte,
84jährige Geschädigte. Er hatte beobachtet, wie sie
kurz zuvor von der Spar-
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kasse einen Bargeldbetrag in Höhe von 700 Euro geholt hatte.
Als er sie erreicht hatte, verlangte er die Herausgabe des Geldes,
wobei er ein ausgeklapptes Taschenmesser in Richtung ihrer Schulter
hielt. Als die Geschädigte laut um Hilfe schrie,
flüchtete der Angeklagte.
Bei dieser Sachlage hätte sich das Landgericht mit der Frage
strafbefreienden Rücktritts vom unbeendeten Versuch
auseinandersetzen müssen. Das wäre nur dann
entbehrlich, wenn die Feststellungen ohne weiteres belegten, dass der
Angeklagte die weitere Tatausführung jedenfalls nicht
freiwillig aufgegeben hat. Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn auch
der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt nicht
hinreichend sicher, dass es dem der hoch betagten und gehbehinderten
Geschädigten nahe liegend körperlich
überlegenen Angeklagten nicht möglich gewesen sein
sollte, sein Ziel trotz ihrer Hilfeschreie durch eine
Verstärkung seiner Einwirkung auf das Opfer doch noch zu
erreichen, etwa indem er ihr das Geld entriss. Entscheidend
für die Frage der Freiwilligkeit ist dabei, ob aus Sicht des
Angeklagten für ihn ein zwingendes Hindernis vorlag, die Tat
zu vollenden, oder ob er ihre Durchführung noch für
möglich hielt (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1
Satz 1 Freiwilligkeit 16 bis 18). Dazu verhält sich das Urteil
nicht. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte
befürchtete, dass durch die Hilfeschreie der
Geschädigten Zeugen auf die Tat aufmerksam würden und
er deshalb flüchtete, weil er seine alsbaldige Entdeckung und
Ergreifung befürchtete (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 1996 -
2 StR 187/96). Dazu hätte es aber näherer
Feststellungen zu der Situation am Tatort bedurft, insbesondere zu der
Frage, ob Personen in der Nähe waren, die für den
Angeklagten ein solches erhöhtes Entdeckungsrisiko darstellen
konnten.
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Über den Tatvorwurf im Fall II. 6 der Urteilsgründe
ist deshalb insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden.
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4. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Kostenausspruch
des angefochtenen Urteils ist durch die teilweise Urteilsaufhebung
gegenstandslos (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92).
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Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible |