BGH,
Beschl. v. 6.6.2001 - 3 StR 177/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 177/01
vom
6. Juni 2001
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 6. Juni 2001
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade
vom 15. Januar 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
- Schwurgericht - des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in
Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer, schwerem
Raub und gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seine Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie bestimmt, daß drei
Jahre Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Mit
seiner nicht näher ausgeführten Revision
rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das
Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Verurteilung wegen versuchten Mordes hat keinen Bestand. Das
Urteil enthält keine ausreichenden Feststellungen zur Frage
eines möglichen strafbefreienden Rücktritts vom
Versuch.
Nach den Feststellungen dirigierte der Angeklagte den Zeugen O. mit
seinem Taxi zur Nachtzeit in eine nur wenig belebte und durch belaubte
Bäume und wegen nur spärlicher Beleuchtung dunkle
Straße. Da er den Fahrpreis nicht entrichten konnte, hatte er
den Entschluß gefaßt, den Taxifahrer unter Einsatz
eines mitgeführten Klappmessers daran zu hindern, ihn zu
verfolgen und der Polizei zu übergeben. Er wollte
außerdem das Geld des Taxifahrers an sich bringen, um sich
alsbald Heroin kaufen zu können. Als der Zeuge O. anhielt um
zu kassieren, stach der hinter dem Zeugen sitzende Angeklagte
für den Taxifahrer unerwartet mit dem Messer, mit zumindest
bedingtem Tötungsvorsatz, zunächst in die rechte
Halsseite und sodann drei weitere Male in den Oberkörper des
Zeugen. Jeder Stich war für sich lebensgefährlich. Es
gelang dem Taxifahrer, sich aus dem Taxi auf die Straße
fallen zu lassen, sich nach kurzer Zeit zu erheben und zu einem nahe
gelegenen Haus zu laufen, um Hilfe zu holen. "Unterdessen stieg der
Angeklagte hinten aus dem Taxi aus, begab sich zur geöffneten
Fahrertüre des Taxis, ergriff die auf dem Fahrersitz liegende
Geldbörse und rannte davon" (UA S. 12).
Das Landgericht hält die Einlassung des Angeklagten, ihm sei
beim Aussteigen aus dem Taxi nicht bewußt gewesen, den
Taxifahrer erheblich verletzt zu haben, zwar mit näherer,
rechtsfehlerfreier Begründung bei der Erörterung des
Tötungsvorsatzes für widerlegt, teilt aber nicht mit,
welche Vorstellungen des Angeklagten vom Zustand des Tatopfers es
seiner Verurteilung zugrundelegt. Die Frage eines möglichen
strafbefreienden Rücktritts vom Mordversuch erörtert
es nicht.
Eine solche Prüfung war jedoch geboten. Nach den getroffenen
Feststellungen ist ein strafbefreiender Rücktritt nicht
ausgeschlossen. Dem angefochtenen Urteil läßt sich
schon nicht entnehmen, ob der Totschlagsversuch unbeendet oder beendet
war. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt
es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch
und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden
Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten
von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt
des tatbestandsmäßigen Erfolgs für
möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl.
nur BGHSt 39, 221, 227 m.w.Nachw.). Feststellungen dazu
enthält das Urteil nicht. Die Ausführungen,
daß der Angeklagte "unterdessen" ausstieg, alsbald wegrannte
und sich danach in einer Entfernung von ungefähr 50 m vom
Tatort in einem Gebüsch versteckt hielt und das Eintreffen des
Rettungswagens beobachtete, lassen offen, ob der Angeklagte die
Verletzungsfolgen und das Weglaufen des Tatopfers wahrgenommen hat.
Zwar liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen nahe,
daß der Täter die lebensgefährdende Wirkung
und die Möglichkeit des Erfolgseintritts kennt (BGHSt 39, 221,
231 m.w.Nachw.; Altvater NStZ 1999, 17, 20 und NStZ 2000, 18, 21 f.).
Diese Kenntnis versteht sich aber nicht von selbst, wenn das Opfer nach
der letzten Ausführungshandlung noch in der Lage ist, sich vom
Tatort wegzubewegen. Damit mußte sich das Landgericht
auseinandersetzen, weil in einem solchen Fall die Vorstellungen des
Täters besonders eingehender Erörterung
bedürfen (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch,
unbeendeter 31). Auch dafür, daß sich der Angeklagte
nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellungen
über die Folgen seines Tuns gemacht hat mit der Konsequenz,
daß ein beendeter Versuch anzunehmen wäre (vgl.
BGHSt 40, 304 f.), geben die bisherigen Feststellungen keinen Anhalt.
Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes
erfaßt auch die übrigen - tateinheitlich begangenen
- Delikte.
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes
hin:
a) Das Landgericht hat mit rechtlich bedenklicher Begründung
eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten wegen Betäubungsmittelabhängigkeit nicht
ausschließen können. Diese Frage wird unter
Beachtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu prüfen
sein (vgl. dazu zusammenfassend Winkler NStZ 2001, 301, 304).
b) Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zum Vorwegvollzug
der Strafe stehen aber in Widerspruch zu der gesetzlichen Wertung des
§ 67 Abs. 1 StGB, wonach im Regelfall zunächst die
Maßregel zu vollziehen ist. Nach der Grundentscheidung des
Gesetzgebers soll möglichst umgehend mit der Behandlung des
süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, da dies
am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Gerade bei
längerer Strafdauer muß es darum gehen, den
Angeklagten frühzeitig zu heilen und seine
Persönlichkeitsstörung zu behandeln, damit er im
Strafvollzug an der Verwirklichung des Vollzugszieles arbeiten kann
(vgl. dazu BGHSt 37, 160, 162; BGHR StGB § 67 Abs. 2
Vorwegvollzug, teilweiser 4, 10, 11, 12; BGH NStZ-RR 1999, 44; NStZ
1999, 613 f.). Eine Abweichung von der Regelabfolge des Vollzuges
bedarf eingehender Begründung (BGHR StGB § 67 Abs. 2
Vorwegvollzug, teilweiser 10). Will sie der Tatrichter darauf
stützen, daß der an die Maßregel
anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg
wieder zunichte machen könnte, so müssen
dafür überzeugende Gründe vorliegen (BGH
NStZ 1986, 428; BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 7,
Vorwegvollzug, teilweiser 13).
Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Landgerichts
nicht gerecht. Die von der Strafkammer für den Vorwegvollzug
für maßgeblich gehaltenen Gründe - der
Angeklagte könne im Vollzug besser beruflich
gefördert werden, seine Sprachkenntnisse eher verbessern und
weiter verinnerlichen, was eine Therapie bedeutet (obwohl er sich
ausweislich der Urteilsgründe bereits jetzt zu einer Therapie
bereit erklärt hat, in der er seine einzige Chance sieht) -
belegen nicht, daß der anschließende Strafvollzug
den Maßregelerfolg
gefährden und wie sich eine Gefährdung bei dem
Angeklagten auswirken könnte (vgl. BGHR StGB § 67 II
Vorwegvollzug, teilweiser 7, 9, 11; BGH NStZ 1986, 427, 428).
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